Von Ernst Schmid

In einem Organstreitverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht erzielte die Partei Alternative für Deutschland (AfD) nun einen juristischen Teilerfolg. Es ist aber überaus fraglich, ob dieser sich in einen konkreten politischen ummünzen lässt.

Die AfD als Antragstellerin rügte, dass die Desiderius-Erasmus-Stiftung e.V. (DES) bislang an der staatlichen Bezuschussung politischer Stiftungen auf Bundesebene in den Haushaltsjahren 2018 ff. nicht beteiligt wurde. Antragsgegner waren der Deutschen Bundestag, der Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages, die Bundesregierung, das Bundesministerium des Innern und für Heimat, und das Bundesministerium der Finanzen. Gegenstand des Organstreitverfahrens war die Frage, ob die AfD durch die bislang fehlende staatliche Förderung einer ihr nahestehenden Stiftung in ihrem Recht auf Chancengleichheit aus Art. 21 I 1 GG iVm Art. 3 I GG verletzt ist.

Der Senat stellte dazu für das Haushaltsjahr 2019 fest, dass die konsequente Übergehung der parteinahen Stiftung bei der Zuschussvergabe in das Recht auf Chancengleichheit im politischen Wettbewerb eingreift. Ohne gesetzliche Grundlage ist ein solcher Eingriff verfassungswidrig und verletzt daher die Antragstellerin in ihren Rechten.  Der Senat schließt sich somitt der seit langem vorgebrachten Kritik an der rechtsstaatlichen Intransparenz der Förderungsvergabe an, und fordert den Gesetzgeber damit zugleich auf, diese auf eine klare rechtliche Grundlage zu stellen. Die übrigen Anträge wurden zurückgewiesen beziehnungsweise vom Verfahren abgetrennt.

Folgender Beitrag möchte zunächst den rechtlichen Hintergrund beleuchten, um dann aufzuzeigen, an welcher Stelle die künftigen politischen und rechtlichen Auseinandersetzungen wohl geführt werden.

Hintergrund

Die entscheidungserhebliche Vorschrift findet sich im Grundgesetz in Art. 21 I 1 GG. Hier heißt es lakonisch:

„Die Parteien wirken bei der politischen Willensbildung des Volkes mit.“

Doch entnahm die ständige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts dem Wortlaut mehr als eine bloße Mitwirkungsfunktion der Parteien. So heißt es beispielhaft in einem späteren Urteil:

„Die Parteien sind  … nicht bloße Wahlvorbereitungsorganisationen, und nicht nur in dieser Funktion sind sie für die demokratische Ordnung unerlässlich.“

Diese quasi-institutionelle Scharnierfunktion zwischen staatlichem Handeln und politischer Willensbildung des Volkes ist auch im Hinblick auf die staatliche Parteienfinanzierung wie auch der Förderung parteinaher Stiftungen von Bedeutung. Denn wegen ihrer unerlässlichen (!) Rolle bei der politischen Willensbildung kann die Offenheit des demokratischen Willensbildungsprozesses nur gewahrt werden, wenn die Parteien gleiche Chancen bei der politischen Mitgestaltung haben. Das Demokratieprinzip des Grundgesetzes sieht vor, dass sich der politische Wille des Volkes „von unten nach oben“ bildet. Es ist daher grundsätzlich rechtswidrig, diesen durch von oben angeordnete staatliche Maßnahmen, wie etwa willkürliche Ausschlüsse von Wahlen oder der Parteienfinanzierung, zu manipulieren.

Die staatliche Praxis
In Anbetracht dieses hohen Verfassungsguts stand die staatliche Praxis der Förderung parteinaher Stiftungen bisher auf rechtlich wackliger Grundlage. Als Referenzentscheidung für das gegenwärtige Zuwendungssystem diente ein Urteil des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 1986 und die gemeinsame Erklärung zur staatlichen Finanzierung der politischen Stiftungen vom 6. November 1998. Auf Grundlage dieser Erklärung erfolgte die jährliche Festlegung der Globalmittelförderung im Zuge direkter Verhandlungen der Stiftungen mit den Berichterstattern des Haushaltsausschusses; die Ergebnisse dieser Verhandlungen wurden vom Bundesministerium dann in den Haushaltsplanentwurf übernommen. Zuständig für die Entscheidung über das „Ob“ und das „Wann“ der Aufnahme einer neuen Stiftung in die Globalzuschussförderung war bislang somit der Haushaltsgesetzgeber selbst.

Das maßstabsbildende Urteil des Bundesverfassungsgerichts im Jahr 1986 war die Folge einer Organklage der Fraktion DIE GRÜNEN. Diese brachten nicht nur vor, in ihrem Recht auf freien politischen Wettbewerb verletzt worden zu sein, sondern begehrten zugleich auch, die Praxis staatlicher Stiftungsförderung insgesamt als verdeckte Parteienfinanzierung für verfassungswidrig zu erklären. Im Ergebnis hat der Senat trotz der formalen organisatorischen und rechtlichen Trennung von Stiftungen und diesen nahestehender Parteien eine ausreichendes Näheverhältnis angenommen. Dieser Kunstgriff ermöglichte dabei zugleich die Anwendbarkeit des sich aus Art. 21 I 1 iVm Art. 3 I GG ergebenden Grundsatzes der Chancengleichheit der Parteien.

„Mit Rücksicht auf die dargelegten Berührungspunkte zwischen der Tätigkeit der Stiftungen einerseits und den langfristigen politischen Zielvorstellungen einzelner politischer Parteien andererseits gebietet es allerdings der Gleichheitssatz, daß eine solche Förderung alle dauerhaften, ins Gewicht fallenden politischen Grundströmungen in der Bundesrepublik Deutschland angemessen berücksichtigt. Nur wenn die staatliche Förderung der pluralen Struktur der gesellschaftlichen und politischen Kräfte Rechnung trägt, wird sie dem verfassungsrechtlichen Gebot gerecht, Gleiches gleich und Ungleiches seiner Eigenart entsprechend verschieden zu behandeln.“

In Ansehung dieser Verpflichtung zur gleichmäßigen Berücksichtigung aller relevanten politischen Kräfte vermag das Urteil des Bundesverfassungsgerichts nicht zu überraschen. Es ist dabei zu begrüßen, dass den Senat die „förmelnde“ Argumentationslinie der Antragsgegner, es sei in den jeweiligen Haushaltsjahren nicht gesichert erkennbar gewesen, ob es sich bei der AfD um eine dauerhafte und gewichtige politische Strömung handele, nicht überzeugte. Doch liegt auch hier der Teufel im Detail, genauer gesagt darin, worüber in dem Urteil nicht entschieden wurde.

Noch zu entscheiden
So wurde der auf das Haushaltsjahr 2022 bezogene Antrag vom Verfahren abgetrennt. Grund hierfür war, dass die Begründung für die Verweigerung der Bezuschussung wechselte. So sollen diesmal die materiellen Bedenken hinsichtlich der Verfassungskonformität der Partei den Ausschlag gegeben haben, weswegen aus der Sicht des Bundesverfassungsgerichts der Antragsgegenstand sich im Hinblick auf die rechtliche Fragestellung verändere. Für die AfD ist aber gerade dieses Verfahren von größerer Bedeutung. Denn ob und inwieweit eine nicht für verfassungswidrig erklärte Partei in der staatlichen Förderung aus politischen Erwägungen benachteiligt werden darf, steht damit nach wie vor offen. Denn die Entscheidung könnte sich durchaus als ein politisches Eigentor entpuppen. Denn das Bundesverfassungsgericht beauftragt nicht nur den Gesetzgeber mit einer Regelung, sondern gibt zugleich auch zu verstehen, wie deren Ausgestaltung sein könnte.

Ampelkoalition muss Gesetz auf den Weg bringen
So darf die Vergabe von Stiftungsgeldern an das materielle Kriterium der Verfassungstreue oder darüberhinausgehend an den aktiven Einsatz für die freiheitlich-demokratische Grundordnung geknüpft werden. Es steht daher zu erwarten, dass die regierende Ampelkoalition ein solches Gesetz auf den Weg bringt. Die darin konkretisierten Förderungsvoraussetzungen werden dabei aller Erwartung nach weitere juristische Auseinandersetzungen nach sich ziehen. Insbesondere steht es zu befürchten, dass diese im Gleichlauf mit der verfassungschutzrechtlichen Praxis einen möglichst weiten Verdachtstatbestand der „Verfassungsuntreue“ schaffen. Dabei wird sich die AfD in künftigen juristischen Auseinandersetzungen auch Gedanken über ihre Verteidigungsstrategie machen müssen. So muss sich ein Bewusstsein dafür bilden, dass Begriffe wie Rechtsstaat, Demokratie, Volk, Menschenwürdegarantie etc. auch einen eminent politischen Gehalt haben. Qua Prämie der Superlegalität (Carl Schmitt) liegt die Definitionshoheit nicht bei der AfD, sondern bei den politischen Gegnern, die diese auch nutzen werden.

Diesen Umstand wenigstens klar zu benennen, wäre ein erster Schritt im Kulturkampf um das Volk (Martin Wagener).

Beitragsbild / Symbolbild: nitpicker / Shutterstock.com

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