Von Dario Herzog

Friedrich Merz, CDU-Parteivorsitzender von Klingbeils Gnaden und, was Wirtschaftspolitik angeht, ein ultraliberaler Vordenker, bringt mit seinen jüngsten Überlegungen zur Anhebung des Renteneintrittsalters und der Wochenarbeitszeit eine uralte Debatte in neuem Gewand zurück. Was er als notwendigen Realismus angesichts des demografischen Wandels darstellt, offenbart sich bei genauerem Hinsehen als einseitiges Belastungsmodell für deutsche Arbeitnehmer, während Millionen andere in der sozialen Hängematte gehätschelt und getätschelt werden. Was Merz verlangt, würde die tief verwurzelte Schieflage im deutschen Sozialsystem noch weiter zementieren.

Merz’ Lösungsvorschläge – einseitig und sozial blind
Die Idee, sowohl das Rentenalter als auch die Wochenarbeitszeit anzuheben, basiert auf dem Gedanken, dass nur so das umlagefinanzierte Rentensystem zukunftsfähig gehalten werden könne. Merz verkennt dabei, dass viele Beschäftigte bereits jetzt physisch und psychisch ausgelastet sind – nicht nur in klassischen körperlichen Berufen, sondern zunehmend auch im Dienstleistungs- und Pflegebereich. Die Vorstellung, Menschen müssten über das 67. Lebensjahr hinaus arbeiten, kollidiert mit der Realität abnehmender Gesundheit, zunehmender Belastung und einer Arbeitswelt, die längst nicht mehr auf lebenslange Vollzeitkarrieren zugeschnitten ist. Mit anderen Worten: Malochen bis zum Umfallen, während bestimmte „Personenkreise“, die nie oder zumindest kaum in die Sozialsysteme eingezahlt haben, weiterhin kräftig staatlich alimentiert werden.

Deutschland im europäischen Vergleich – Schlusslicht mit System
Ein Blick ins europäische Ausland zeigt, dass Deutschland mit seiner Rentenpolitik keineswegs Vorreiter, sondern vielmehr Nachzügler ist. Während hierzulande das Rentenniveau – also der Anteil der Rente am früheren Bruttolohn – unter 50 Prozent liegt, kommen Länder wie Österreich, Frankreich, Italien und die Niederlande auf deutlich höhere Werte zwischen 70 und 80 Prozent. Diese Länder zeigen, dass ein solidarisch finanziertes System auch unter dem Druck des demografischen Wandels tragfähig sein kann, wenn es politisch gewollt ist. In Österreich etwa zahlen auch Selbstständige, Beamte und Politiker in ein einheitliches öffentliches Pensionssystem ein. Frankreich schützt seine Rentner mit einem deutlich höheren Mindestpensionseinkommen. Die Niederlande setzen auf eine Grundrente plus arbeitnehmerfinanzierte Zusatzrente – transparent, solidarisch und nachhaltig. Deutschland hingegen hat in den vergangenen Jahrzehnten auf private Vorsorge gesetzt, mit Produkten wie der Riester-Rente, die sich in der Praxis als ineffizient, teuer und renditeschwach erwiesen haben und letztlich nur die Versicherungsmakler „versorgt“ haben.

Strukturelle Ursachen für Deutschlands Rentenmisere
Die Ursachen für die schlechte Ausgangslage in Deutschland liegen tief: Entnahmen aus dem Rententopf für fremde Bereiche. Und ein weit verbreiteter Niedriglohnsektor sorgt dafür, dass viele Menschen trotz jahrzehntelanger Arbeit kaum ausreichende Rentenansprüche aufbauen. Teilzeitarbeit, vor allem bei Frauen, verschärft diese Situation zusätzlich. Hinzu kommt, dass hohe Einkommen durch die Beitragsbemessungsgrenze privilegiert werden und somit anteilig weniger zur Finanzierung des Systems beitragen. All das führt dazu, dass das Rentensystem in Deutschland sozial unausgewogen und strukturell unterfinanziert ist.

Mehr arbeiten heißt nicht besser leben!
Die Vorstellung, durch längere Arbeitszeiten und ein späteres Rentenalter die Rentenkassen zu stabilisieren, verkennt nicht nur die in manchen Berufen nicht leistbare Belastung der Beschäftigten, sondern auch die gesellschaftlichen und technologischen Entwicklungen. In einer Arbeitswelt, die zunehmend von Automatisierung, Digitalisierung und Fachkräftemangel geprägt ist, müsste der Fokus eigentlich auf einer gerechteren Verteilung von Arbeit liegen – nicht auf ihrer Ausweitung. Denn wie Hubertus Heil, der ehemalige und nun aufs Abstellgleis geschobene Arbeitsminister der SPD, verprach: Die Künstliche Intelligenz ist die neue Industrielle Revolution. In wenigen Jahren werden ganze Berufszweige wegfallen. Zudem widerspricht Merz’ Vorschlag dem weit verbreiteten Wunsch vieler Menschen nach mehr Zeit für Familie, Bildung, Ehrenamt oder schlicht für Erholung. Die Rückkehr zur 40-Stunden-Woche und darüber hinaus wirkt wie ein Rückgriff in eine Arbeitskultur vergangener Jahrzehnte – während viele Länder längst über kürzere Wochenarbeitszeiten als Zukunftsmodell diskutieren.

Die Alternativen sind längst erprobt
Statt die Belastung der arbeitenden Bevölkerung weiter zu erhöhen, müsste Deutschland endlich strukturelle Reformen anpacken, die auf mehr Solidarität und weniger private Risikomodelle setzen. Aber Solidarität mit „Personenkreisen“, die hier alles ohne eine besondere Herausforderung förmlich „abgreifen“? Das widerspricht dem Gerechtigkeitssinn der autochthonen Bürger – und ist Wasser auf den Mühlen der AfD. Eine Anhebung des Rentenniveaus, die Einbeziehung nahezu aller Einkommensgruppen in ein gemeinsames System und der Abbau von Niedriglöhnen wären erste Schritte, um die Rente wieder zu dem zu machen, was sie sein sollte: eine verlässliche und gerechte Absicherung im Alter. Und auch die Remigration sollte man als Instrument nutzen, um Ansprüche von Fremden, Stichwort Ukrainer, Afghanen, Sudanesen etc., zu minimieren.

Den Kuchen gerechter aufteilen!
Die Vorschläge von Friedrich Merz mögen aus Sicht wirtschaftsliberaler Ordnungspolitik logisch erscheinen – und sie sind das, was weltweit von Konzernkapitalisten immer wieder gefordert wird. Für eine Gesellschaft, die sich soziale Gerechtigkeit, Gesundheitsschutz und generationenübergreifende Solidarität auf die Fahnen schreibt, früher sprach man von einem gesunden Volksempfinden, sind sie jedoch nicht zukunftsfähig. Erst recht nicht, wenn das Heer derjenigen, die von staatlichen Transferleistungen leben, immer größer wird. Wer in einer alternden Gesellschaft dauerhaft und stetig steigend auf Mehrarbeit und weniger Rente setzt, versündigt sich am deutschen Arbeitnehmer zugunsten nichtarbeitender Transferleistungsempfänger, die häufig noch nicht einmal aus Deutschland stammen!

Beitragsbild / Symbolbild und Bild oben: PhotographyByMK; Bild unten: photocosmos1 / beide Shutterstock.com

Abonnieren Sie auch unseren Telegram-Channel unter: https://t.me/Freiburger74Standard

Treten Sie dem Freiburger Standard bei

Wir senden keinen Spam! Erfahren Sie mehr in unserer Datenschutzerklärung.