Von Klaus Schäfer
Gegen den Leiter vieler Demonstrationen in Freiburg in Sachen Covid, W., wurde Anklage erhoben wegen „Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit fahrlässiger Körperverletzung“. So war die Verhandlung im Flur des Amtsgerichts Freiburg am Holzmarktplatz am öffentlich zugänglichen Schwarzen Brett betitelt. Tatsächlich ging es um vier verschiedene Vorgänge.
Die Vorstellung des Angeklagten durch die Richterin
Wie üblich wurde der Angeklagte von der Vorsitzenden nach Ehestand und Beruf gefragt. Unmittelbar bevor die Richterin Dr. Herbert, wie üblich, die Adresse des Angeklagten vorlesen wollte, stoppte dieser sie mit dem Hinweis, dass beispielsweise von der „Anarchistischen Bürgeraktion Freiburg“ mehrfach indirekte Aufrufe zur Ausübung von Gewalt gegen ihn ergangen waren. Inhaltlich fielen dort Sätze wie „Zeigen wir, was wir von ihm halten doch auch vor seiner Haustüre“. Er hielt einen dieser Aufrufe in Papierform in der Hand, den er Frau Dr. Herbert übergeben wollte. Diese verzichtete daraufhin auf die Verlesung seiner neuen Adresse. Sodann wies der Angeklagte darauf hin, dass in den Reihen der Zuschauer zwei mit Covid-Mundschutz maskierte männliche Personen saßen, deren Identität aufgrund der Maske optisch nicht eindeutig erkennbar war. Er beantragte, dass die Betroffenen die Maske abnehmen. Die Staatsanwältin sprach sich dagegen aus und die Vorsitzende gab dem Antrag des Angeklagten nicht statt.
Vorstellung des Angeklagten und seiner Aktivitäten durch ihn selbst
Der Angeklagte bemerkte, dass er um Aufschub der Verhandlung gebeten hatte, da er bis unmittelbar vor Verhandlungsbeginn krank gewesen sei und sich so nicht auf die Verhandlung vorbereiten konnte. Ferner habe er dadurch keine Vernehmung von Zeugen beantragen können. Der Bitte war durch das Gericht nicht stattgegeben worden. Wie auch bei anderen, politisch bedingten Verfahren üblich, nahm der Angeklagte zunächst zu seinen Motiven, seinem Hintergrund und seiner Geschichte in der Sache Stellung. Das reichlich gefüllte Auditorium erfuhr, dass sich W. bedingt durch die Einschränkungen der Grundrechte, so auch der Bewegungsfreiheit im Rahmen der von der Bundesregierung erlassenen „Notstandsgesetze wegen einer epidemischen Notlage von nationaler Bedeutung“ motiviert fühlte, nachzufragen, inwieweit denn wirklich eine solche Notlage bestehe. Während der Verhandlung wies er immer wieder auf den Paragraphen 20 Absatz 4 des Grundgesetzes hin: Artikel 20 (Verfassungsgrundsätze – Widerstandsrecht), Absatz 4:
„Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist“.
Es brauche zur Ausrufung einer Notlage einer übergroßen Gefahr, die er nicht erkenne. Ferner seien diese Notstandsgesetze erst nachträglich eingeführt worden. Er wies auch auf die unzähligen Nebenwirkungen der Impfung hin sowie die Tatsache, dass die allgemeine Impfpflicht kurz vor dem Beschluss stand. Und schließlich hätten durch die Maßnahmen nicht wenige Menschen Nachteile, bis hin zur Entlassung, am Arbeitsplatz gehabt. Weiterhin verlas der Angeklagte ein Zitat von Graf Stauffenberg und eines von Willi Brandt, welche belegen sollten, dass ein Aussetzen einer freiheitlich-demokratischen Grundordnung nicht widerstandslos hinnehmbar sei.
Was damals im Raum stand
Der Deutsche Bundestag habe damals mehrheitlich die Vorlagen der Regierung nur abgenickt. Ferner sei das Infektionsschutzgesetz an die Inzidenz gebunden gewesen. Diese wiederum habe jedoch nur die Zahl der Infektionsfälle registriert, diese jedoch nicht an die absolute Zahl der Bevölkerung in dem jeweiligen Gebiet gekoppelt, was völlig unwissenschaftlich sei. Zunächst habe er an Bushaltestellen flächendeckend Papiere geklebt, die auf diesen Missstand hinwiesen, schließlich habe er an verschiedenen Demos teilgenommen. Ferner habe er beim vergangenen Bundestagswahlkampf für „Die Basis“ kandidiert. Er habe sich bis zu 80 Stunden pro Woche für die Sache eingesetzt. Er habe an 500 Bürgermeister geschrieben, ohne dass eine Reaktion erfolgt sei, habe an Autokorsos und bei Infoständen mitgemacht. Insgesamt habe er rund 100 Demonstrationen angemeldet, die Hälfte davon mit bis zu 8000 Teilnehmern. Immer wieder wies er während der Verhandlung darauf hin, dass er stets darum bemüht gewesen sei, den Ablauf der Demonstrationen friedlich zu gestalten. Stets habe er auch in viertelstündigen Abständen die Teilnehmer über Megaphon aufgefordert, die Masken aufzusetzen. Er sei, stets bekleidet mit einem auffälligen gelben T-Shirt, die Demonstrationen auf- und abgegangen, um nach dem Rechten zu sehen. Die Querdenkerbewegung in Freiburg sei stets friedlich geblieben.
Die erste Anklage
Zunächst wurde über ein für den Angeklagten einmaliges und unübliches Verhalten in einem Bus verhandelt. Alle Prozessteilnehmer waren sich darin einig, dass sich W. in einem öffentlichen Bus geweigert hatte, die Maske aufzusetzen und der Aufforderung des Busfahrers, dann den Bus zu verlassen, nicht nachgekommen sei. Die vom Fahrer herbeigerufene Polizei, bestehend aus einem Polizisten und einer Polizistin, habe dann W., nachdem er sich geweigert hatte, auch ihrer Aufforderung nachzukommen, die Maske aufzusetzen, aus dem Bus gezogen, wobei dieser sich an Haltestangen festgehalten hatte. Dies sei für die Polizei kraftaufwändig gewesen. Dabei habe sich der Polizist Hämatome und seine Begleiterin ein Hämatom zugezogen. Die zwei betroffenen Polizisten wurden in den Zeugenstand gerufen. Es ergaben sich in der Beschreibung der Szene zwischen den Polizisten und dem Angeklagten keine nennenswerten Unterschiede. Auf Bitte des Angeklagten wurde in der Verhandlung ein Videofilm der Body-Cam des Polizisten vorgeführt, um zu ermitteln, wie es zu dem Hämatom der Polizistin gekommen sei. Diese Stelle im Film wurde während der Verhandlung jedoch nicht gefunden. Zeugen und Angeklagter waren sich darin einig, dass sich W. nur an Haltestangen und Sitzen festgehalten habe, jedoch keinen aktiven Widerstand gegen die Polizei geleistet hatte. Die Polizistin im Zeugenstand meinte, dass sich ihr Kollege wohl angestoßen habe. Insofern war die Anklage durch die Staatsanwaltschaft nicht nachvollziehbar, der Angeklagte habe mit Gewalt Widerstand geleistet, die Vollstreckungsbeamten tätlich angegriffen und eine schwere Körperverletzung begangen.
Die zweite Anklage
In der Verhandlung ging es sodann um eine Demonstration am „Platz der Alten Synagoge“. Diese fand zu einem Zeitpunkt statt, als die allgemeine Maskenpflicht bereits aufgehoben worden war. Ein guter Teil der Teilnehmer trug keine Maske. So sei die Versammlung, nachdem die Polizei mehrfach zum Aufsetzen der Masken über Megaphon aufgefordert habe, aufgelöst worden. Die Polizei bildete zwei hintereinander stehende Polizeiketten mit gut einem Meter Abstand zwischen je zwei Beamten in jeder der beiden Ketten. Nach Aussage von W. flüchtete dieser, kam durch die erste Kette hindurch, dann auch durch die zweite und wurde sodann am Rucksack von einem der Beamten in der zweiten Kette festgehalten. W. blieb sofort stehen, ließ sich von diesem zu Boden bringen, weigerte sich, zu einer Erfassungsstelle vor dem Theater zu gehen und wurde daraufhin widerstandslos dorthin getragen. Die beiden betroffenen Polizisten wurden als Zeugen vernommen: der in der inneren Kette stehende Polizist behauptete nun, vom Angeklagten angerempelt worden zu sein, sodass er sich um die eigene Achse gedreht habe. Der Vorgang sei sehr schmerzhaft gewesen. Im Zeugenstand sagte der Beamte: „Ich hatte nicht den Eindruck gehabt, dass es sein Ziel gewesen war, mich umzurempeln“. Auf die Frage des Angeklagten, ob er, der Beamte, ihn, den Angeklagten, denn wiedererkenne, antwortete dieser, dass er sich darin nicht sicher sei. Auch konnte er sich nicht daran erinnern, das auffällige gelbe Trikot an W. gesehen zu haben. Da jedoch sein Kollege, der in der zweiten Polizeikette stand und W. am Rucksack festgehalten hatte, sich sicher sei, dass es der Angeklagte gewesen war, gehe er, der im Zeugenstand Befindliche, davon aus, dass es sich um W. gehandelt haben müsse.
Unklare Erinnerungen
Der Angeklagte befragte den Zeugen, ob er sich daran erinnern könne, dass er ihm, dem Angeklagten, erlaubt hatte, eine Zigarette zu rauchen. Diese habe ihm seine Mutter in den Mund gesteckt. Auch daran erinnerte sich der Zeuge nicht. Im Zeugenstand sagte der Polizist aus der hinteren Polizeikette aus, dass es sich um den Angeklagten handele und dass dieser, nachdem er von ihm am Rucksack gepackt worden war, weiter nach außen gezogen habe. So habe er ihn dann zu Boden gebracht. Er bemerkte auch, dass, nachdem er von der Polizei auf die Stufen vor dem Theater getragen worden war, ein Polizist den anderen gefragt habe, warum W. denn festgenommen worden sei, da er sich doch ruhig verhalte. Die Frage von W. an die Zeugen, ob sie denn den Videofilm, der von Kollegen gedreht worden sei, gesehen hätten, beantworteten sie negativ. Ferner war beiden nicht bekannt, wo eine festinstallierte Kamera am „Platz der Alten Synagoge“ hänge. W. bat während der Verhandlung mehrfach, doch die Aufnahmen dieser Kamera zur Beweisaufnahme hinzuzuziehen. Schließlich wurde noch eine ältere Dame in den Zeugenstand gerufen, die den Angeklagten aus der Szene seit Jahren kennt. Diese sagte aus, dass sie sich nicht vorstellen könne, dass W. gegen Beamte Gewalt anwende.
Die dritte Anklage
Schließlich ging es um eine spontane, nicht angemeldete Versammlung, die entstanden war, nachdem eine größere, offizielle Kundgebung von der Polizei aufgelöst worden war. Hier wurde dem Angeklagten vorgeworfen, als Versammlungsleiter fungiert zu haben, was dieser bestritt. Er habe sein Megaphon aus dem Rucksack nicht ausgepackt, sei einmal vorne, dann in der Mitte oder hinten mitgegangen. Auch diese Anklage wird Gegenstand der Folgeverhandlung sein. Kurz nach Mittag setzte dann das Gericht eine Folgeverhandlung fest.
Antrag des Angeklagten auf Ladung weiterer Zeugen
Am Ende der Sitzung beantragte W., weitere Zeugen zu vernehmen. Aus Gründen der Nicht-Einmischung verzichtet der Verfasser dieser Zeilen darauf, die genannten Zeugen namentlich zu benennen. Es bleibt zu hoffen, dass das Gericht dem Antrag von W. entspricht.
Ein paar Gedanken
Zwar sollte man dem zweiten Verhandlungstag nicht vorgreifen und auch keine Mutmaßungen über ein mögliches Urteil anstellen, nichtsdestoweniger fielen einem unbescholtenen Bürger, der nicht vom Fach ist, also nicht aus dem Justizwesen kommt, ein paar Dinge ins Auge: Ist es wirklich ein glücklicher Usus, zu Beginn eines Strafverfahrens die Adresse des Angeklagten öffentlich vorzulesen? Gerade bei Prozessen, in welchen der Angeklagte aus politischen Gründen gehandelt hat, birgt dies doch eindeutig die Gefahr, dass der Angeklagte von politischen Gegnern erhebliche Nachteile, wie Bedrohung von ihm selbst oder seiner Familie erfahren könnte. Bei der Antifa beispielsweise ist es gang und gäbe, Namen und Adressen ihnen unliebsamer Personen ins Internet zu stellen. Eine Löschung dieser Daten ist in der Praxis in der Regel unmöglich. Der so Bloßgestellte, ja häufig Verleumdete, ist so schutzlos der Willkür potentieller Gewalttäter ausgesetzt. Glücklicherweise wird bei Polizisten im Zeugenstand nur deren Dienstadresse verlesen. Bei zivilen Zeugen wird jedoch deren Privatanschrift verlesen. Ist das echte Gleichberechtigung?
Weitere Zeugen?
Der Verfasser dieser Zeilen vernahm auch, dass gegen Ende der Verhandlung der Angeklagte einen Antrag auf Ladung weiterer Zeugen stellte. Kann ein solcher Antrag abgelehnt werden? Damit wäre der Willkür bei einem Prozess Tür und Tor geöffnet. Das Publikum fragte sich, warum dem Antrag von W. nicht nachgekommen wurde, die Verhandlung auf einen späteren Zeitpunkt anzusetzen, um somit der Tatsache Rechnung zu tragen, dass er über eine Woche krank gewesen und noch nicht voll genesen war, also auch keine Zeit hatte, sich vorzubereiten. Als ebenso unverständlich wurde beurteilt, dass die von ihm gewünschten Zeugen nicht geladen werden konnten. Und: Kann die übergeordnete Anklage der Staatsanwaltschaft mit dem Titel „Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung“ nach der Zeugenvernehmung noch aufrechterhalten werden? Keiner der Polizisten im Zeugenstand behauptete dies. Dies wohl berücksichtigend, äußerte die Vorsitzende, das Urteil könne auf „fahrlässige Körperverletzung“ lauten. Dies sei aber keine Zusage. Im Falle des Durchbruchs durch den Polizeikordon, bei welchem der Polizist in der ersten Reihe verletzt wurde, bleibt nach Aussage dieses Beamten offen, ob es sich tatsächlich um den Angeklagten handelte. Mehrere Personen versuchten, den Polizeikordon zu durchbrechen. Der Angeklagte bestand auf Sichtung möglichst vielen Videomaterials der Polizei. Wird dem stattgegeben werden? Das Publikum sieht dem zweiten Verhandlungstag mit Spannung entgegen. Kein unwichtiger Prozess, handelt es sich bei dem Angeklagten doch um denjenigen, der die größten Demonstrationen in der Nachkriegsgeschichte Südbadens initiiert hatte.
Beitragsbild / Symbolbild: corgarashu / Shutterstock.com, ganz oben: Salivanchuk-Semen / Shutterstock.com und weiter unten: icedmocha / Shutterstock.com
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