Von Roderich A. H. Blümel

Die Amnestie ist spätestens seit derselbigen von Donald Trump für die Teilnehmer des sogenannten „Kapitolsturms“ sowie der – sehr umstrittenen und die Praxis vor immensen Aufwand stellenden –  Amnestie bei der Legalisierung von Cannabis in Deutschland wieder ins allgemeine Bewusstsein gerückt. Dabei hat die Amnestie auch in Deutschland eine lange Geschichte und wurde zahlreich angewandt. Die meisten Amnestien waren dabei politisch motiviert und regelten Straferlasse nach politischen Wendezeiten. Insbesondere angesichts der derzeitigen Repression gegen Patrioten ist es auch für die Opposition interessant, einen näheren Blick darauf zu werfen. Doch was konkret ist zunächst eine Amnestie?

Amnestie, Straffreiheitsgesetz und Unrechtsbereinigungsgesetz
Eine Amnestie regelt einen Straferlass für bestimmte Delikte in einem bestimmten Zeitraum, unabhängig der Motivation dazu. Die Tatbestände bleiben bestehen, jedoch wird die verhängte Strafe erlassen und Taten aus diesem Zeitraum nicht mehr verfolgt. Rechtlich funktioniert dies in Deutschland zumeist mit einem Straffreiheitsgesetz.

Neben Amnestien im engeren Sinne existieren noch Unrechtsbereinigungsgesetze. Mit solchen werden Strafnormen rückwirkend aufgehoben, da man sie nunmehr als Unrecht bewertet. Bei einer Amnestie saß der Häftling zurecht im Gefängnis, jedoch gewährt man ihm aus einem bestimmten Grund Straffreiheit, bei einem Unrechtsbereinigungsgesetz bewertet man jedoch, dass er zu unrecht im Gefängnis saß. Damit einher entfällt auch die Strafbarkeit, die Wirkung ist daher zunächst die Gleiche, der Unterschied wirkt sich hingegen nach dem Ende der Strafe aus. Während bei einer Amnestie ein Strafgefangener einfach „nur“ entlassen wird, wird bei einem Unrechtsbereinigungsgesetz in der Regel auch die Tilgung des Eintrags aus dem Bundeszentralregister (BZR) sowie eine Entschädigung geregelt. So regelt etwa das  SED-Unrechtsbereinigungsgesetz eine besondere Zuwendung für Haftopfer:

§17a StrRehaG bzw. 3. SED-UnBerG
Die Opferrente in Höhe von 330,00 Euro pro Monat (besondere Zuwendung für Haftopfer) nach § 17a StrRehaG kann beantragt werden, wenn:

  • der/die Antragsteller*in in der ehemaligen DDR in rechtsstaatswidriger Weise mindestens 90 Tage inhaftiert war
  • der/die Antragsteller*in in ein Kinderheim/ einen Jugendwerkhof eingewiesen wurde, sofern eine strafrechtliche Rehabilitierung vorliegt
  • und der/die Antragsteller*in Rentner*in ist oder bestimmte Einkommensgrenzen nicht überschreitet

In der DDR eingesperrte politische Häftlinge kamen also nicht nur frei, sondern wurden für die zu unrecht erlittene Haft auch entschädigt. Das SED-UnBerG regelt mit dem Verwaltungsrechtlichen- und BeruflichesnRehabilitierungsgesetz (bzw. 2. SED-UnBerG) auch Ansprüche bei verwaltungsrechtlichem Unrecht:

„Mit dem VwRehaG wird Opfern von Verwaltungswillkür und Verwaltungsunrecht der ehemaligen DDR und mit dem BerRehaG den im Berufsleben politisch Verfolgten ein Weg eröffnet, sich vom Makel persönlicher Diskriminierung zu befreien und soziale Ausgleichsleistungen in Anspruch zu nehmen.

Wer durch eine willkürliche oder politisch motivierte Maßnahme, die mit tragenden Grundsätzen eines Rechtsstaates schlechthin unvereinbar ist und deren Folgen noch unmittelbar schwer und unzumutbar fortwirken, einen Vermögens- oder Gesundheitsschaden, eine Benachteiligung in Beruf, Ausbildung oder als Schüler erlitten hat oder Opfer einer Zersetzungsmaßnahme wurde, kann auf Antrag rehabilitiert werden.

Auch wer in der ehemaligen DDR eine rechtsstaatswidrige Haftzeit erlitten hat, kann Ansprüche nach dem Beruflichen Rehabilitierungsgesetz geltend machen, soweit ein Rehabilitierungsbeschluss des Landgerichtes bzw. eine Bescheinigung nach § 10 Abs. 4 Häftlingshilfegesetz (HHG) vorliegt.

Die Rehabilitierung kann zu Folgeansprüchen führen, wie zum Beispiel:

  • Beschädigten-, Hinterbliebenenversorgung bei Gesundheitsschäden nach dem Bundesversorgungsgesetz
  • Zahlung einer Entschädigung wegen einer Maßnahme, die der Zersetzung diente
  • Ausgleich von verfolgungsbedingten Nachteilen in der Rentenversicherung
  • Anrechnung von Kindererziehungszeiten aufgrund einer rechtsstaatswidrigen Inhaftierung
  • bevorzugte berufliche Fortbildung und Umschulung nach demArbeitsförderungsgesetz
  • bevorzugte Förderung nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz(keine Altersgrenze, Erlass der Darlehensrückzahlung)
  • soziale Ausgleichsleistungen bei besonderer Bedürftigkeit, wenn die dauerhafte Wiedereingliederung in das Erwerbsleben nicht möglich ist,und die Verfolgungszeit mindestens 3 Jahre beträgt oder bis zum 02.Oktober 1990 andauerte (hierzu zählen auch verfolgte Schüler*innen)
  • Leistungen nach dem Vermögensgesetz bei Eingriffen in Vermögenswert“

Unrechtsbereinigungsgesetze sind damit weitergehender als Amnestien und greifen auch andere erlittene Nachteile an. So kann es beispielsweise keine Amnestie, also Straffreiheit, für unrechtmäßige geheimdienstliche Beobachtungen geben oder dafür, dass man im Berufsleben wegen der Tätigkeit für eine oppositionelle Partei benachteiligt wurde. Welche Nachteile aber Unrecht sind, liegt immer im Auge des Betrachters: Die legitime Repression der Einen ist das Unrecht der Anderen.

Geschichte der Amnestie und Unrechtsbereinigung in Deutschland
Wenig überraschend ist daher die Geschichte von Amnestie und Unrechtsbereinigung vor allem eine Geschichte politischer und gesellschaftlicher Umbrüche und Krisenzeiten. Bereits in Ziffer 6 des Aufrufs des „Rates der Volksbeauftragten“ vom 12. November 1918 wurde unmittelbar nach der Novemberrevolution eine „Revolutions-Amnestie“ verkündet:

„Für alle politischen Straftaten wird Amnestie gewährt. Die wegen solcher Straftaten anhängigen Verfahren werden niedergeschlagen.“

Mitnichten die einzige Amnestie der Weimarer Republik. So kam es 1920 zu einer „Kapp-Amnestie“ für die Teilnehmer des Kapp-Putsches, 1921/22 zu Amnestien für verurteilte Teilnehmer an den kommunistischen Märzaufständen und 1925, 1928, 1930 und 1932  zu Amnestien des Reichspräsidenten Hindenburg für politisch motivierte Straftaten. Die Motivation dahinter war nicht nur die Befriedigung der politischen Lage, sondern auch die massive Überlastung der Justiz: Allein die Amnestie von 1925 bezog sich auf 25.000 politische Straftäter. Bei der sogenannten Schleicher-Amnestie von 1932 waren sogar rund 52.000 Fälle politischer Straftaten umfasst – bei insgesamt rund 157.000 anhängigen Verfahren! Die Begünstigten waren vor allem Angehörige der nationalsozialistischen Sturmabteilung (SA) und des kommunistischen Rotfrontkämpferbundes (RFB), die sich täglich militante Auseinandersetzungen lieferten.

Wenig überraschend ist daher, dass auch die Nationalsozialisten schon kurz nach der Machtergreifung ein entsprechendes Gesetz erließen. Die „Verordnung des Reichspräsidenten über die Gewährung von Straffreiheit vom 21. März 1933“ regelte die Strafbefreiung für Straftaten, die „im Kampf für die nationale Erhebung des deutschen Volkes, zu ihrer Vorbereitung oder im Kampf für die deutsche Scholle“ begangen worden waren. Für die Beamten wurde am 23. Juni 1933 mit dem Gesetz über die Aufhebung der im Kampf für die nationale Erhebung erlittenen Dienststrafen und sonstigen Maßregelungen ein Pendant auf verwaltungsrechtlicher/Disziplinarrechtlicher Regelung erlassen.

Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs griff man auch relativ schnell zu entsprechenden Amnestien. Dabei zielte das Straffreiheitsgesetz von 1949 darauf ab, kleineren Taten Straffreiheit zu gewähren,  „weil sich der Täter infolge der Kriegs- oder Nachkriegszeit in einer unverschuldeten Notlage befunden hat oder weil er einer solchen Notlage anderer abhelfen wollte“. Damit bestand Straffreiheit für Straftaten und Ordnungswidrigkeiten, die mit Gefängnis bis zu sechs Monaten beziehungsweise bis zu einem Jahr auf Bewährung bestraft werden konnten.

Noch im Jahr 1970 erließ man auf Druck der SPD zusammen mit der Änderung des Demonstrationsstrafrechts ein Straffreiheitsgesetz, das vor allem Angehörigen der APO zugutekam. Insgesamt wurden etwa 5.000 Strafverfahren wegen „Demonstrationsdelikte“ damit hinfällig. Auf die beiden SED-Unrechtsbereinigungsgesetze wurde bereits eingegangen. Doch auch noch in jüngster Zeit gab es entsprechende Gesetze. Zuletzt gab es zum einen das „Gesetz zur strafrechtlichen Rehabilitierung der nach dem 8. Mai 1945 wegen einvernehmlicher homosexueller Handlungen verurteilten Personen“ von 2017, mit dem entsprechende Urteile aufgehoben wurden und Entschädigungen festgelegt wurden. 2021 wurde noch ein Entschädigungsgesetz für homosexuelle Soldaten, die aufgrund einer solchen Verurteilung Nachteile hatten (das Gesetz zur Rehabilitierung der wegen einvernehmlicher homosexueller Handlungen, wegen ihrer homosexuellen Orientierung oder wegen ihrer geschlechtlichen Identität dienstrechtlich benachteiligten Soldatinnen und Soldaten“ mit einem der wohl sperrigsten Titel der deutschen Rechtsgeschichte). Wie bereits erwähnt, enthält auch das 2024 in Kraft getretene Cannabislegalisierungsgesetz eine Amnestie für Delikte, die nun nach dem neuen Gesetz legal sind.

Unrechtsbereinigungsgesetz nach einer patriotischen Wende
Die absolute Mehrzahl der Amnestien waren politisch motivierte Amnestien. Meist dienten sie dazu, die eigenen Anhänger oder aber Teile des eigenen Milieus zu rehabilitieren und den eigenen ideologischen Standpunkten auch „ex post“ zum Sieg zu verhelfen. Nach einer patriotischen Wende entsprechendes Unrecht aufzuheben, ist daher nicht nur für sich genommen bereits legitim, sondern wurde auch durch die Altparteien bereits für ihr eigenes Klientel angewandt.

Auch nach einer patriotischen Wende kann daher ein entsprechendes Unrechtsbereinigungsgesetz samt Entschädigungen erfolgen. Dies kann zum Beispiel in der Form geschehen, dass nachträglich der § 130 StGB (Volksverhetzung) und § 188 StGB (Gegen Personen des politischen Lebens gerichtete Beleidigung, üble Nachrede und Verleumdung) durch ein Unrechtsbereinigungsgesetz aufgehoben wird. Ebenso können verwaltungsrechtliche Maßnahmen – etwa Entziehungen von Jagdscheinen, Ausreiseverbote, Organisationsverbote – aufgehoben werden und es können Entschädigungen für erfolgte Nachteile geregelt werden. So liegt es beispielsweise nahe, auch ein „Gesetz zur Rehabilitierung der wegen ihrer patriotischen Haltung dienstrechtlich benachteiligten Soldaten“ zu erlassen, um eine ganz konkrete Parallele zu finden. Ähnlich dem SED-UnBerG kann beispielsweise auch eine Entschädigung für eine Beobachtung durch den Verfassungsschutz und dadurch verbaute Lebenswege erfolgen. Dies alles ist durch einfache Bundesgesetze möglich und kann nach einer patriotischen Wende, die notwendige Mehrheit vorausgesetzt, unverzüglich umgesetzt werden.

Beitragsbild / Symbolbild und Bild oben: r.classen; Bild unten: sebra / beide Shutterstock.com

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