Von John Duke of Lancaster

Verbrechen an Deutschen werden in der alternativen Presse in jüngster Zeit zurecht thematisiert. Sowohl die Klardenken-Produktion ‚Der runde Tisch‚ als auch das Compact-Magazin aus Berlin widmeten jüngst diesem Thema komplette Sendungen beziehungsweise Ausgaben. Hier standen vor allem die Vertreibungen durch die Polen und das Gefangenenlager der Amerikaner in den Rheinwiesen im Fokus.

Die Vertrreibung der Deutschen aus Ostpreußen hatte mehr Aspekte als den Untergang der ‚Wilhelm Gustloff‘
Viele verbinden die Vertreibung der Deutschen aus Ostpreußen mit der Flucht über das zugefrorene Königsberger Haff oder den Untergang des Flüchtlingsschiffs ‚Wilhelm Gustloff‘.
Am 30. Januar 1945 versenkte ein sowjetisches Torpedo das Flüchtlingsschiff. Durch den Einbruch im nicht ganz zugefrorenen Haff und durch Entbehrung, Kälte und Hunger schätzt man die Zahl der Toten dieser Flucht auf etwa 50.000 Landsleute. Das Buch ‚Das Wolfsmädchen‘ schildert noch einen anderen Bereich der schrecklichen Ereignisse ostpreußischer Geschichte

‚Das Wolfsmädchen – Flucht aus dem Königsberger Hungerwinter 1946‘
Ursula Buttgereit (heute Ursula Dorn) wurde am 19. April 1935 in Königsberg geboren und ist die Protagonistin des Buches von Christian Hardinghaus (erschienen im Europa-Verlag). Das Buch verbindet die persönlich schwierige Mutter-Tochter-Beziehung mit dem Schicksal und der Geschichte der Wolfskinder in Ostpreußen, insbesondere Königsberg. Bis 1945 war Königsberg vom Kriegsgeschehen relativ verschont geblieben. Mit der Einnahme durch die Rote Armee vom 06. bis 09. April 1945 und zahlreichen Toten sowie dem Ende des Krieges begann für die Königsberger eine noch entsetzlichere Zeit mit Vergewaltigungen, erzwungenen Todesmärschen und schrecklichen Hunger. Das Buch ist nichts für Zartbesaitete und es werden drastische Dinge bis zum Kannibalismus geschildert.

Das ‚Gelobte Land‘
Durch einen Zufall gelangte Ursula schließlich nach Litauen. Obwohl sie selbst eine litauische Großmutter hatte (was sie erst in den 90erJahren begriff), war ihr nicht bewußt, dass in der unmittelbaren Nähe Ostpreußens, das Land mit der eigenen nicht-deutschen und auch nicht-slawischen Kultur existierte. Durch Mund zu Mund-Propaganda wurde Litauen für die hungernden Königsberger das ‚gelobte Land‘ und die gastfreundlichen Einwohner des kleinen katholischen Landes haben den deutschen Kindern, zum Teil auch Frauen, geholfen, so weit sie es konnten. Kinder wurden sogar adoptiert und manche, die bis 1948 nicht in die DDR transferiert wurden, vergaßen ihre deutschen Wurzeln. Ursula hat ihre litauische Gastfamilie verlassen, bleibt aber bis heute dem baltischen Volk voller Dankbarkeit verbunden.

Die vergessenen Wolfskinder
Der Rest des Buches widmet sich dem Leben Ursulas in der DDR und der Bundesrepublik. Warum die Litauer den deutschen Kindern so geholfen haben, liegt sicherlich auch an der Beziehung Litauens zur Hanse und einer jahrhundertelangen Westorientierung. Die Ostpreußen haben ethnisch neben den deutschen, auch baltische Wurzeln. Darüber hinaus spielt hier das Motto ‚Der Feind meines Feindes ist mein Freund‘ eine Rolle, denn in Litauen tobte bis 1953 ein Partisanenkampf gegen die sowjetische beziehungsweise russische Besatzung. 37 Jahre nach dem Ende des verlorenen Kampfes hat der baltische Staat diese Unabhängigkeit tatsächlich errungen (übrigens als erstes Volk der Sowjetunion). Im memelländischen Mikieten (litauisch: Mikytai) wurde 1992 ein Denkmal für die Wolfskinder errichtet.

Die andere Sicht auf den Ukraine-Krieg
Ursula hat direkt nach der Unabhängigkeit mit dem damaligen, litauischen Präsidenten Landsbergis Kontakt aufgenommen und eine schnelle Antwort erhalten: Ein Besuch in Königsberg wurde für sie zur ‚Tour de Force‘. Litauen hat sie im vergangenen Jahr hochbetagt besucht und zu Vytautas Landsbergis (mittlerweile über 90 Jahre alt) hat Ursula immer noch Kontakt. In dem Buch kommen auch andere Stimmen der Wolfskinder zu Wort, sowohl von deutscher Seite als auch litauischer Seite. Es ist zum Teil problematisch, wenn sich Geschwister nach vielen Jahren wiedersehen und keine gemeinsame Sprache haben, denn fast alle in Litauen aufgewachsenen Kinder haben ihr Deutsch komplett verlernt. Der Verein ‚Edelweiß‘ kümmert sich um die Betroffenen auf beiden Seiten. Bis heute gibt es kaum staatliche Hilfe seitens der Bundesregierung und auch keine Anerkennung durch Rentenzahlungen oder ähnliches.

Ressentiments verständlich
Auffällig sind die Ressentiments der Wolfskinder gegen die Russen, nicht nur der Sowjets. Ausnahmslos alle Stimmen in dem Buch, die sich dazu äußern, sehen die Rolle Rußlands im Ukraine-Krieg kritisch. Das sollte einen Denkanstoß an diejenigen sein, die vielleicht kein Verständnis der Ressentiments gegenüber Rußland (auch der benachbarten Völker wie Finnen und Balten) haben. Alles hat zwei Seiten!

„Das Wolfsmädchen“ von Dr. phil. Christian Hardinghaus, Europa Verlag, 272 Seiten, gebunden mit Schutzumschlag, mit zahlreichen Fotos und Abbildungen, 22 Euro (D.) / 22,70 Euro (Ö.), ISBN 978-3-95890-402-6, erhältlich unter anderem hier.

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