Von Klaus Schäfer

Wohl erstmalig in Freiburg fand in der ersten Septemberwoche im Amtsgericht am Holzmarktplatz ein Prozess wegen versuchter Nötigung im Straßenverkehr durch „Klimakleber“ statt. Zunächst verlas die Staatsanwaltschaft, vertreten durch Staatsanwältin Dreier, die Anklage. Darin wurde ausführlich berichtet, dass die beiden Angeklagten unter Beteiligung von drei weiteren Personen am 3. November 2022 die Bismarckallee auf der Höhe des Zentralen Omnibusbahnhofes für wenige Minuten blockiert hatten.

Was war genau geschehen?
Die beiden angeklagten Damen, Frau P., Mutter von drei Kindern sowie Frau G., Studentin, blockierten unter Mitwirkung von drei weiteren Personen auf der Höhe einer Fußgängerampel beim Zentralen Omnibusbahnhof um 9.35 Uhr die Straße. Zu diesem Zweck warteten sie ab, bis die Fußgängerampel für den Verkehr auf Rot stand, begaben sich dann auf den Zebrastreifen und hielten Plakate hoch, die auf die Klimaerwärmung aufmerksam machen sollten. Die Angeklagten, jeweils am Rande der Fahrbahn stehend, versuchten dann, sich auf der Straße festzukleben. Der einen Dame gelang dies, der anderen nicht. Binnen sehr weniger Minuten kam die Polizei hinzu und löste die Versammlung auf. Dank der unmittelbar darauf hinzugekommenen Spezialisten der Feuerwehr gelang es, den Klebstoff schnell zu lösen. Die Damen wurden von der Polizei zur Seite geführt, die ältere von beiden versuchte ein zweites Mal, sich festzukleben, was misslang und wurde wiederum von der Straße weggeführt. Die Polizei hatte sich mit einem Fahrzeug quer vor die Demonstranten gestellt, um diese zu schützen und eine Trennlinie zwischen dem nun nicht mehr fließenden Verkehr und den Teilnehmern der Kundgebung zu schaffen.

Die Verhandlung
Zunächst gab Richter Dr. Stegmiller den Angeklagten ausreichend Zeit, die Beweggründe ihrer nicht angemeldeten und folglich “illegalen” Aktion darzulegen. Die Argumentation der Angeklagten ähnelte schon fast einer professoralen Vorlesung, die sich schier ins Unendliche zog. Von beiden Damen erfuhr man, wie sie im Laufe der Jahre immer mehr in den Bann der Klimabewegung gezogen wurden und schließlich eine innere, ja moralische Verpflichtung fühlten, etwas gegen die Klimaerwärmung zu unternehmen, da die durch die Regierung veranlassten Maßnahmen hierzu bei weitem nicht ausreichend seien. Als Zeugen wurden zwei Polizisten sowie ein Kripobeamter hinzugezogen, die ihre Beobachtungen vor Ort schilderten. Hieraus ergab sich nichts Neues oder Widersprüchliches.  Die Aussagen der Zeugen, der Verteidigung, vertreten durch Rechtsanwältin Gröbmayr sowie der Angeklagten stimmten in der Sache überein. Fernerhin wurde festgestellt, dass kein Widerstand gegen die Staatsgewalt vorlag, sich die Angeklagten widerstandslos von der Straße wegführen ließen.

Die Plädoyers
In ihrem Plädoyer bestätigte die Staatsanwaltschaft, dass sich die Angeklagten strafbar gemacht hätten, dass das Festkleben zwecks Durchführung der Aktion nicht nötig gewesen wäre sowie dass der Plan, die Aktion bis zum Ende durchzuführen, nur durch das schnelle Eingreifen der Polizei unmöglich gemacht worden sei. Ferner stellte sie ein verwerfliches Handeln der Angeklagten fest. Es habe sich um keine angemeldete Versammlung gehandelt, der Klimaschutz sei hier nachrangig gegenüber der Tatsache, dass ein Verkehrsstau erzeugt wurde. Es handele sich um einen Verstoß gegen das Versammlungsverbot, wofür Bußgelder auszusprechen seien, jedoch Freiheitsstrafen nicht verhängt werden könnten. Sie beantragte 15 Tagessätze zu je 40 Euro für die Angeklagte P. sowie 30 Tagessätze zu je 10 Euro für ihre Mitstreiterin G.
Das Plädoyer der Verteidigung verlas Rechtsanwältin Gröbmayer. Auch ihr wurde ausreichend Zeit zur Argumentation nicht nur zur Sache, sondern auch zu den Beweggründen der Angeklagten gegeben. Mehrere Papiere wurden dem Gericht überreicht. Die Verteidigung verwies auch auf die Einschränkung des Verkehrs durch den Staat in Form von staatlich beziehungsweise städtisch angeordneten Baustellen.

Das Urteil
Richter Dr. Stegmiller verkündete Freispruch. Die Freigesprochenen wies er darauf hin, dass sie nicht unbedingt davon ausgehen könnten, dass die Sache erledigt sei. Die Staatsanwaltschaft habe die Möglichkeit, in Berufung zu gehen, worauf er keinerlei Einfluss habe. Er berief sich auf seine Interpretation des Artikels 20a Grundgesetz, bezogen auf massive Einschränkungen durch den Staat. 

Zahlreiche offene Fragen
Schon während der Verhandlung ließ sich eine Tendenz in Richtung Freispruch erahnen. Offensichtlich war, dass dieser Prozess der erste oder einer der ersten in Freiburg in einer solchen Angelegenheit war. So war es für das Gericht nicht einfach, ein Urteil zu sprechen. Dr. Stegmiller stellte klar, dass es angebracht sei, dass nach so vielen bundesweiten Aktionen dieser Art doch endlich einmal höhere Gerichte hierzu Urteile sprechen sollten; es könne doch nicht Sache nur von Amtsgerichten sein, sich mit einem so neuen Aufgabenbereich zu beschäftigen.

Der Gerichtsreporter stellt sich folgende Fragen
Wie kann es sein, dass die Staatsanwaltschaft nur wegen versuchter Nötigung des Straßenverkehrs anklagte? Alle Parteien waren sich darin einig, dass nur durch das rasche Eingreifen der Polizei die Aktion nach wenigen Minuten abgebrochen wurde. Dies bestätigte die Staatsanwaltschaft explizit. Gibt es also Strafmilderung, wenn davon ausgegangen werden kann, dass eine Aktion schnell durch die Polizei gestoppt wird? Und warum wurden nur diejenigen Teilnehmer der Aktion angeklagt, die sich angeklebt hatten beziehungsweise dies versucht hatten? Ist eine aktiv und bewusst angelegte Behinderung des Straßenverkehrs ohne Ankleben also keine Ordnungswidrigkeit? Wie von der Verteidigung erwähnt wurde, hatten sich bewusst nur die Teilnehmer angeklebt beziehungsweise ankleben wollen, die außen von den fünf Personen standen, wohingegen die drei Inneren nur frei dastanden beziehungsweise saßen. Die Teilnehmer hatten dies so organisiert, um in einem Notfall Ambulanz, Feuerwehr oder Polizei durchfahren zu lassen. Warum wurde diese Tatsache weder von der Staatsanwaltschaft noch vom Gericht als strafmildernd erwähnt? Warum wurde von der Verteidigung die Behinderung des Straßenverkehrs durch Baustellen auf eine Ebene mit der Verkehrsblockade durch diese Aktion gestellt? Warum nahm der Richter entsprechende, von der Verteidigung ihm vorgelegte Zeitungsartikel zur Sache an? Könnte, in einer etwas weiter gefassten Interpretation, das Urteil also als Freifahrtschein für ähnliche Aktionen in Freiburg herhalten?

Beitragsbild / Symbolbild: corgarashu / Shutterstock.com, oben: Salivanchuk-Semen / Shutterstock.com

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