Von Klaus Schäfer

Eine Hauptverhandlung wegen mehrfacher Körperverletzung, Brandstiftung und Sachbeschädigung wurde am Donnerstag, 2. Februar, im Amtsgericht Freiburg geführt. Dem deutschen Staatsbürger V. wurde vorgeworfen, in den beiden zurückliegenden Jahren mehrfach Menschen geschlagen sowie vielfache Sachbeschädigungen begangen zu haben. Die durch die Staatsanwältin vorgelesene Anklageschrift enthielt zahlreiche Straftaten aus den Jahren 2021 und 22, die mit Ort und Datum vollständig aufzulisten hier den Rahmen sprengen würde. Der Autor verzichtet daher auf die detaillierte Schilderung eines jeden der behandelten Fälle. Staatsanwältin Schenke-Büllert begann mit der Verlesung des schwersten Vorwurfs, nämlich einen Behinderten geschlagen zu haben, der in der Folge einen Nasenbeinbruch erlitten habe. Ferner ging es um einen Fall, bei welchem der Angeklagte zusammen mit einem Mittäter einen Böller unter einen Müllbehälter gelegt habe. Schließlich wurde ihm Beamtenbeleidigung vorgeworfen. Es folgte eine Auflistung von Beschädigungen beziehungsweise Zerstörungen zahlreicher Außenspiegel von Fahrzeugen. Die Anklage enthielt auch den Vorwurf, einen Taxifahrer geschlagen zu haben. Schließlich ging es um einen Bürger, der auf dem Rathausplatz ohne jede Vorwarnung von V. zu Boden geschlagen wurde.

Private und berufliche Situation des Angeklagten, Vorstrafenregister
Richter Schuller teilte mit, dass dem Verfahren keine Verständigungsgespräche vorausgegangen seien. Wie üblich befragte er den Angeklagten nach seinen persönlichen Daten. Daraus ging hervor, dass der Mitte-20-Jährige zurzeit bei seinem Pflegevater wohnt. Ferner konnte man den Angaben von V. entnehmen, dass komplizierte Familienverhältnisse vorliegen. Die berufliche Situation von V. ist seinen Angaben zufolge durch kurze Arbeitsverhältnisse mit Kündigungen gekennzeichnet. Derzeit arbeite er bei einer gemeinnützigen Organisation im Rahmen eines 520-Euro-Jobs und betreue dort Obdachlose. Seine kleine Tochter lebe bei der Mutter.

Symbolbild: Salivanchuk Semen / Shutterstock.com

Ein langes Vorstrafenregister
Richter Schuller verlas ein umfangreiches  Vorstrafenregister mit acht Einträgen: Fahren ohne Führerschein, Gefährdung des Straßenverkehrs, Hehlerei, Diebstahl in besonders schwerem Fall, gefährliche Körperverletzung, eine Woche Jugendarrest, Einbruch und Sachbeschädigung, Ausspannen von Spanngurten quer über die Straße, in welchen Fahrradfahrer hätten hängen bleiben können, Schlagen von Fußgängern ohne Anlass, Zerschlagen von Scheiben.

Suchtprobleme
Die Zuschauer konnten dem Wortwechsel zwischen Gericht, Verteidigung und Staatsanwaltschaft entnehmen, dass V. Alkoholprobleme habe, deshalb schon einen zweiwöchigen Entzug hinter sich habe, jedoch einen Rückfall erlitten habe. V. begründete diesen mit Ängsten unter anderem wegen Schulden, Geldstrafen sowie insbesondere der Tatsache, dass die Mutter seiner kleinen Tochter sich einen neuen Lebensgefährten zugelegt habe. Dies habe ihm schwer zugesetzt. Auch mit dem Stiefvater sei es nicht einfach. Dieser habe ihm mehrfach mit Rausschmiss gedroht. Das Rauchen von Cannabis vor dem Einschlafen gab V. ebenso offen zu wie seinen Alkoholkonsum. Auch bemühe er sich, seinen alten Freundeskreis zu verlassen und sich solidere Freunde zuzulegen. Er wird von der Drogenhilfe betreut.

Äußerlich ruhig
Während der gesamten Verhandlung machte V. einen äußerst ruhigen, gesetzten Eindruck, blieb ausgesprochen höflich, entschuldigte sich bei zwei Zeugen, die er geschlagen hatte, gab abgesehen von wenigen Details alle Vorwürfe zu und hinterließ bei der Öffentlichkeit so gar nicht den Eindruck eines Rowdys oder Schlägers. Es ist vielmehr sein Alkoholproblem, das ihm und den Geschädigten das Leben erschwert. Alle Taten wurden offensichtlich unter Alkoholeinfluss begangen, wobei, wie Richter Schuller anschließend in seinem Urteil feststellte, die nach jeder Straftat gemessene Promillehöhe jeweils zugenommen habe. Interessant war auch die Anwesenheit des Bewährungshelfers von V. im Zuschauerraum, der einmal von Richter Schuller in den Zeugenstand gerufen wurde, um Fragen zum allgemeinen Zustand des Angeklagten, seinen Gewohnheiten und seinem Umfeld zu beantworten. Nach der Verlesung der Anklageschrift informierte Rechtsanwalt Stephan Althaus darüber, dass zu dem Vorfall mit dem Behinderten keine Angaben gemacht würden. Richter Schuller hatte zuvor, wie stets üblich, den Angeklagten darauf hingewiesen, dass ihm in allen behandelten Fällen das Recht zustehe, keine Angaben zur Sache zu machen. So wurden mit Ausnahme des erwähnten Falles alle anderen Taten behandelt. Wie üblich wurden, wenn Photos nach den Straftaten gemacht worden waren, diese von allen Parteien  im Gerichtssaal gemeinsam begutachtet sowie daraus, wenn möglich, Schlüsse gezogen.

Die Straftaten
Als Zeuge wurde ein junger Mann aufgerufen, der angeblich von V. ohne jede Vorwarnung auf dem Freiburger Rathausplatz geschlagen worden war. Der Betroffene konnte im Zeugenstand zu diesem Vorfall kaum etwas äußern, da die Tat urplötzlich geschehen war. Der junge Mann fand sich nach eigener Aussage mit blutender Nase auf dem Boden wieder. Ein Vorderzahn war abgebrochen, auch ein blaues Auge wurde laut Bericht des behandelnden Arztes im Krankenhaus attestiert. Der Zeuge bestätigte, dass die Sache relativ schnell verheilt sei. Die Öffentlichkeit hatte den Eindruck, dass der Betroffene den Vorfall vergleichsweise gelassen nimmt. Ein Polizeibeamter wurde in den Zeugenstand gerufen. Seine Befragung ergab, dass die Täter – V. wurde durch einen Zweiten begleitet – nach der Tat flüchtig waren, jedoch von der Polizei schnell aufgegriffen wurden. Beide seien stark alkoholisiert gewesen.

Im Fall mit dem Böller unter dem Müllcontainer wurde ein Polizeibeamter als Zeuge aufgerufen, der für den Fall zuständig war. Aufgrund des Vergleichs eines Photos, das vom Mittäter gemacht worden war, mit einem anderen Lichtbild, konnte der Zeuge aus einem Detail der beiden Aufnahmen schließen, dass V. den Böller gezündet haben müsse. Diese Aussage beantwortete die Frage von Richter Schuller, wer von den beiden Männern die Tat begangen hatte.

Schließlich ging es auch um den Vorfall, bei welchem ein Behinderter von V. geschlagen worden sein soll. Hierzu wurden ein Zeugenbericht vorgelesen sowie Lichtbilder angeschaut. Die Anklage wurde nach §154, Absatz 2 STGO mit Blick auf die übrigen angeklagten Vorwürfe eingestellt.

Behandelt wurde auch ein Vorfall mit zwei Taxifahrern. Hierzu wurden der betroffene Taxifahrer sowie sein Kollege, der von V. wenigstens einmal ins Gesicht geschlagen wurde, befragt. Laut Aussagen der Taxifahrer im Zeugenstand hatte sich der Angeklagte nach einer kurzen, kostenfreien Fahrt zum Hauptbahnhof Freiburg geweigert, das Taxi zu verlassen, verließ dieses schließlich doch und schlug dem zu Hilfe gerufenen Kollegen des Taxifahrers ins Gesicht. Dieser Ablauf der Geschehnisse ergab sich nach Aussagen der Taxifahrer sowie von zwei Polizeibeamten im Zeugenstand. Laut Aussagen der Zeugen war V. so stark betrunken, dass er zunächst kaum noch gehen konnte.

Schließlich ging es auch um einen Vorfall, bei welchem V. gemeinsam mit einem Freund bei einer Reihe geparkter Personenkraftwagen die Seitenspiegel stark beschädigte beziehungsweise abschlug. Die Täter schlugen so brutal zu, dass diese von Passanten, die den Vorfall beobachtet hatten, sowie von der herbeigerufenen Polizei mit blutenden Händen vorgefunden wurden. Auch in diesem Fall führte starker Alkoholkonsum zur Enthemmung der Täter.

Die persönliche Situation von V.
Nach Behandlung all dieser Geschehnisse wurde der Bewährungshelfer in den Zeugenstand gerufen. Dieser bestätigte, dass der Kontakt des Angeklagten zu seiner früheren Lebensgefährtin stark leide. Dass diese ein Kind von ihm habe und zusammen mit dem Kind in einer neuen Beziehung lebe, erschwere das Verhältnis zwischen V. und ihr zusätzlich. V. habe zwar gute Vorsätze, schaffe es jedoch nicht, diese umzusetzen. So greife er immer wieder auf den Kontakt mit Jüngeren, in der Tendenz Unreiferen, noch in der Ausbildung Befindlichen, zurück, wohingegen Männer seines Alters oft schon im Beruf stünden und Familie hätten. Mit diesen könne er nicht mithalten. Vincents Hauptproblem sei der Alkohol. Er empfehle eine längere Entwöhnungstherapie.

Das Urteil
Das Gericht verhängte eine Bewährungsstrafe mit Auflagen. Aus den vielen behandelten Strafsachen ergaben sich eine Vielzahl von Tagessätzen zu je zehn Euro, die umgesetzt in einer Haftzeit von acht Monaten resultieren. Die Strafe beinhaltet auch die aufgelaufenen Strafen aus früheren Gerichtsverfahren. Die Kosten des Gerichts müssen vom Angeklagten übernommen werden. Darüber hinaus wurden folgende Auflagen ausgesprochen: 80 Stunden gemeinnützige Arbeit, regelmäßiger Kontakt zur Suchtberatungsstelle, langfristige Suchttherapie, danach Gespräch mit Rechtsanwalt und Staatsanwaltschaft. Richter Schuller begründete seine Entscheidung mit Vincents Alkoholproblem. Er stellte fest, dass die jeweils nach den Straftaten gemessenen Promillewerte von einem Prozent im Mai 2021 sukzessive auf 2,5 Promille bei der letzten Straftat gegen die Taxifahrer im Herbst des vergangenen Jahres gestiegen seien. Das Problem habe sich also verschärft. Während V. als Jugendlicher mit Taten im Bagatellbereich aufgefallen sei, habe seine Gewalt in den vergangenen Jahren zugenommen und sich die Abstände zwischen den einzelnen Begebenheiten immer mehr verkürzt. Der Alkohol könne nicht als Entschuldigung hingenommen werden, zumal es schon viele Vorstrafen gebe. Zwar könne man ab einem Blutalkoholwert von zwei Promille auf verminderte Schuldfähigkeit prüfen, andererseits habe der Angeklagte aber, als er bei der Tat mit den Taxifahrern  mit mehr als zwei Promille angetroffen wurde, schon unter Bewährung gestanden. Das Gericht hielt ihm zugute, dass er alle behandelten Fälle zugegeben habe und sich bei den Geschädigten während der Gerichtsverhandlung entschuldigt habe.

Ein gerechtes Urteil?
In den Zeitungen liest man häufig von Straftätern, die trotz eines langen Vorstrafenregisters wieder nur eine Strafe auf Bewährung, eine Arbeitsauflage, nur eine Geldstrafe oder ganz einfach nur Auflagen erhalten. Zu Recht gibt es Menschen, die das erregt. Schließlich stellt jeder, der mehrfach straffällig wurde, eine Gefahr für die Öffentlichkeit dar. Die Erfahrung lehrt, dass häufig der Versuch einer Resozialisierung der Straftäter scheitert. Dies ist umso bedenklicher, als derartige Fälle in den vergangenen Jahren immer häufiger auftraten. Also kann man meinen, dass nur eine harte, eine echte Strafe den Straftätern eine Lehre sein wird. Nun, in vielen Fällen wird dies der Fall sein. Es gilt, unterschiedliche Straftaten in verschiedene Register einzugruppieren; Körperverletzung sowie Sachbeschädigung können nicht mit Vergewaltigung, Totschlag, Mordversuch oder gar Mord auf eine Ebene gesetzt werden. Andererseits kann nicht bedingungslos das in solchen Fällen durch Gewalt gezeichnete Vorleben der Betroffenen als Entschuldigung für deren Vergehen genommen werden. Es gilt, Grenzen zu setzen.

Der konkrete Fall
Im beschriebenen Fall handelt es sich um jemanden, der unter schwierigen, belastenden Familienverhältnissen und folglich mangelnder Liebe gelitten hat. Beruflich und in einer Beziehung gescheitert, als Stütze immerhin den Stiefvater hinter sich, greift er schließlich zur Flasche. Nur alkoholisiert begeht er alle beschriebenen Straftaten. Ein langes Vorstrafenregister schleppt er hinter sich her. Hier stellt sich die Frage: könnte die Umsetzung der ausgesprochenen Haftstrafe sofort, also ohne Bewährung, zu einer Heilung führen? Nach Ansicht des Verfassers hat der Richter mit seiner Entscheidung, die Haftstrafe zur Bewährung auszusetzen, richtig gehandelt. Er entschied sich für die einzige Auflage, die Hoffnung auf Änderung geben könnte: einen langfristigen Alkoholentzug mit Überwachung des Erfolgs durch staatliche Institutionen. Leider lehrt die Erfahrung, dass nur ein Bruchteil von Alkoholikern mittel- bis langfristig durch Entzug von ihrem Laster befreit werden können. Es bleibt zu hoffen, dass der Entzug im beschriebenen Fall von Dauer sein wird. Dem Bewährungshelfer wünscht der Verfasser eine glückliche Hand beim Umgang mit seinem Probanden!

Beitragsbild / Symbolbild: corgarashu / Shutterstock.com

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