Zum Schutz der Identität der befragten Freiburgerin musste das nachstehende Interview stark gekürzt werden. Sie entstammt dem osteuropäischen Raum.
Eingewandert anno 1992…
Wann sind Sie nach Deutschland eingewandert?
Wir sind im Jahr 1992 nach Deutschland gekommen. Das war eine ganz spontane Entscheidung, weil meine Eltern sich dort nicht mehr wohlgefühlt haben in… Es war einfach kein schönes Leben und dann haben die sich entschieden zum Auswandern.
Und dann sind wir ja als Familie hier her gekommen. Erst mal in die Nähe von Stuttgart und dann wurden wir nach Freiburg verwiesen. Wir wohnten 1,5 Jahre in einer Notunterkunft sozusagen mit weiteren 200 Personen. Das war die schönste Zeit meines Lebens. Als Kind hat man diese große Welt als sehr schön empfunden. Es waren sehr viele unterschiedliche Regionen da…
Das heißt, Sie waren keine Verfolgten, sondern Sie sind aus freiem Willen ausgewandert, d.h. Sie sind mit Visum usw. nach Deutschland gekommen. Und da mussten Sie sich komplett eine neue Existenz aufbauen. Ein mutiger Schritt.
Wir haben einfach alles gelassen und sind eben ausgewandert… Für die Eltern war das schwer, mit 40 Jahren ein neues Leben anzufangen. Mein Papa sprach sehr gut Deutsch, wir einige Worte aus der Familie. Wir haben einfach so immer wieder mitgehört, weil Papa sich mit seiner Mutter immer wieder auf Deutsch unterhalten hat. „Opa, Oma, bitte, danke“. Ein paar Wörter kannten wir, ansonsten gar nichts.
Ein großes Hindernis…
Leider ist unsere Familie nicht sprachenbegabt. Ich hatte enorme Probleme gehabt, mich zu integrieren. Ein Jahr lang habe ich geschwiegen. Ich habe kein Wort weder in meiner Muttersprache noch auf Deutsch gesprochen. Ich habe mich in mich eingeklemmt (verschlossen).
Meiner Schwester ging es besser. Sie ist ein paar Jahre jünger als ich. Sie war 9 zu dem Zeitpunkt, als wir hierher kamen. Das heißt, sie hatte noch keinen so großen Freundesstammkreis sich aufgebaut. Bei mir war das anders. Ich hatte meine Freunde, ich hatte meine Clique gehabt, eine gute Clique. Ich hatte halt das Problem, dass viele Jugendliche geraucht haben, getrunken haben, was Schlimmes gemacht haben. Ich war immer so perfekt und immer so korrekt, dass ich eben auch hier meine Schwierigkeiten hatte.
Was hat Sie dann nach einem Jahr Schweigen dazu gebracht, die deutsche Sprache zu lernen?
Es war ein Fall, den man beschreiben kann mit „Friss oder stirb!“ Und dann nach einem Jahr habe ich verstanden, entweder lerne ich jetzt die Sprache, integriere mich oder geh einfach unter.
Gab es da ein Schlüsselmoment in diesem Jahr?
Ja.
Hinweis der Redaktion: Die interviewte Person möchte nicht, dass dieser Schlüsselmoment veröffentlicht wird. Es war ein Moment starken Leidensdrucks und der Hilflosigkeit, sich nicht ausdrücken zu können, als es dringend erforderlich war.
Aber dann…
Was hat sich danach verändert?
Dann habe ich in der Klasse sehr gute Kontakte aufgebaut. Ich brachte immer Schokolade, Äpfel. Bei uns ist es wichtig zu teilen. Wir sind so erzogen worden. Wenn ich einen Apfel bringe und wir sitzen in der Clique, dann wird das geteilt. Und dann habe ich angefangen, auf so eine Art und Weise mir Freunde zu suchen. Die ganze Klasse stand von einem Tag auf den anderen auf meiner Seite.
Wie ging es dann weiter?
Ich hatte eine sehr gute Lehrerin gehabt. Die hat mich am Anfang nicht gemocht. Und dann durch den Schulausflug hat sie mir sehr viel beigebracht. Wir waren in Italien und sie hat mir beigebracht, wie ich richtig sprechen sollte, sehr viele Einzelheiten, die ich vielleicht mit 14 nicht mehr lernen würde, und das war für mich eine so tolle Erfahrung, dass die Menschen auf mich aufpassen. Und dann habe ich mich nach einem Jahr sofort integriert. Und dann ging es langsam bergauf.
Sie sprechen unglaublich gut Deutsch. Wie haben Sie so die Sprache gelernt?
Durch die zwei Wochen. Wir waren eben auf diesem Schulausflug und die Lehrerin hat zwei Wochen lang sich nur um mich gekümmert. Also es waren fünf Lehrer dabei mit der Klasse und eine war nur mit mir die ganze Zeit. Und sie versuchte einfach nur, mir Sachen beizubringen, die ich nicht einfach so auf der Straße lernen würde.
Und dann habe ich meinen Mann kennengelernt. Ich war 15, ziemlich jung. Dann haben wir geheiratet, dann kam mein Sohn. Dann habe ich Führerschein gemacht, Ausbildung. Dann ging es bergauf. Natürlich habe ich in der Ausbildung sehr viel gelernt, auch sprachlich.
Ausbildung und Beruf
Was haben Sie für eine Ausbildung gemacht?
Ich habe bei der Polizei Reiseverkehrskauffrau gelernt. Nach der Realschule war das eine sehr schwierige Ausbildung, besonders in der Wirtschaft, weil ich nicht viele Wörter kannte. Aber da habe ich viel Glück gehabt, dass die Lehrer immer auf meiner Seite standen.
Ich war ein sehr schwieriges Kind. Ich war sehr hyperaktiv. Man musste sich nur immer um mich kümmern. Ich brauche Aufmerksamkeit. Es war immer so.
Ja in meinem Ursprungsland habe ich alles gemacht: nähen, singen, tanzen, alles. Meine Mama hat wirklich überall mich angemeldet, damit ich wirklich 24 Stunden mich beschäftigen konnte.
Interessant. Und Ihre Kinder sind ja auch so talentiert, haben Sie mir mal erzählt. Auch tänzerisch.
Klar. Das geht weiter. Das hat sich von meiner Mama so weiterentwickelt, dass ich genau dasselbe mit meinen Kindern gemacht habe, weil mein Sohn genauso hyperaktiv ist wie ich.
Auch hypertalentiert, vielleicht nicht mal hyperaktiv, sondern einfach Talente, die gefördert werden müssen.
Genau. Ja genau, und durch eben eine Lehrerin. Sie hat mir die Augen dazu geöffnet, wie ich mein Leben hier aufbauen soll von Anfang an. Wie ich hier weiterleben soll. Wo ich mich einmischen soll, wo nicht. Und sie hat mir wirklich solche Lebenserfahrung gegeben.
Und dann nach meiner Ausbildung habe ich angefangen, in einem Geschäft zu arbeiten. Ich war alleine mit einem Mann sozusagen tätig. Wir sind bis heute befreundet als Familie. Ich bin mit seiner Frau bestens befreundet, er mit meinem Mann. Und er hat mir sprachlich sehr viel gegeben. Er kommt vom Kaiserstuhl – auch diesen Kaiserstuhler Dialekt kann ich perfekt, nach 10jähriger eben solcher Erfahrung „friss oder stirb“.
Klare Worte.
Ich freu mich sehr, dass ich mich auch hier integriert habe. Ich finde, wenn die Menschen auswandern in ein fremdes Land, entweder nehmen die die Kultur auf, integrieren sich, lernen die Sprache, passen sich an oder die brauchen in diesem Land nicht mehr zu bleiben.
Das sind Worte.
Ja. Wir haben das auch erwartet von den Leuten, die von anderen Kulturländern zu uns in mein Ursprungsland kamen.
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Bild: pixabay BiljaST Tafel Lernen Sprache
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