Von Jan Ackermeier
Am 16. April 1917 kehrt Lenin nach der Februarrevolution in Rußland aus dem Schweizer Exil nach Petrograd zurück. Die mehrtägige Zugfahrt durch Deutschland, Schweden und Finnland ist mit Unterstützung des deutschen Auswärtigen Amtes zustande gekommen. Die etwa 600 russischen politischen Emigranten in der Schweiz suchten im Frühjahr 1917 nach der Februarrevolution und dem Sturz der Monarchie nach einer Möglichkeit, nach Rußland zurückzukehren. Eine Ausreise über das Territorium der russischen Alliierten Frankreich und Italien erwies sich als unmöglich. Lenin entwickelte abenteuerliche Pläne, um in Verkleidung oder mit einem Flugzeug nach Rußland zu gelangen. Der Menschewik Julius Martow schlug schließlich vor, die deutsche Regierung um eine Transiterlaubnis zu bitten.
Die Transiterlaubnis
Nach Verhandlungen Robert Grimms und Fritz Plattens mit dem deutschen Gesandten in Bern, Gisbert von Romberg, lag deren Einwilligung bald vor. Die Federführung auf deutscher Seite hatte in dieser Angelegenheit das Auswärtige Amt und nicht – wie häufig angenommen – die Oberste Heeresleitung. Unter den 33 Reisenden, die am 9. April 1917 in zwei D-Zug-Wagen am Grenzübergang Gottmadingen aufbrachen, waren 19 Bolschewiki – neben Lenin auch Karl Radek, Grigori Sinowjew, Lenins Frau Nadeschda Krupskaja und seine Geliebte Inessa Armand. Bis zum Juni 1917 fanden noch weitere Transporte dieser Art statt. Insgesamt durchquerten auf diese Weise mehr als 400 russische Emigranten unterschiedlicher politischer Richtungen deutsches Gebiet.
Millionen von Mark für Lenin?
Durch Quellen gesichert ist, dass die deutsche Regierung in den Kriegsjahren Mittel für unterschiedlichste revolutionäre und nationalistische Gruppen in Osteuropa zur Verfügung stellte. Bis heute umstritten ist dagegen, in welchem Umfang die Bolschewiki davon profitierten. Während einzelne Forscher von geringen Beträgen ausgehen, die zudem nie Rußland erreicht hätten oder für die politische Entwicklung im Sommer und Herbst 1917 völlig bedeutungslos gewesen seien, sprechen andere von „Millionen von Mark“, mit denen 1917 insbesondere die Presse der bolschewistischen Partei massiv ausgebaut worden sei. Die weitergehende Behauptung, deutsche Stellen hätten einen direkten Einfluß auf die politische Linie der Bolschewiki gehabt oder Lenin sei gar selbst ein „deutscher Agent“ gewesen, wird in der wissenschaftlichen Publizistik bereits seit Jahrzehnten zurückgewiesen. Der amerikanische Historiker Rex A. Wade nennt diese These einen „Mythos“ und die „langlebigste der vielen Verschwörungstheorien des Jahres 1917“. Fakt ist jedenfalls, dass die Oktoberrevolution durch die Bolschewiki im Jahr 1917 ohne Lenin in Rußland vermutlich nicht stattgefunden hätte.
Beitragsbildild: Lenins Route von der Schweiz nach Petrograd. Urheber: unbekannt.
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