Von Roderich A. H. Blümel
Viele Rechte und „Konservative“ haben grundsätzlich ein sehr gutes Bild von der Polizei und versuchen sich regelmäßig, als ihr Interessenvertreter in Stellung zu bringen. Anknüpfungspunkte gibt es dafür weltanschaulich einige: Der Dienst am Staat und der Gemeinschaft, die Durchsetzung des Rechts, die Polizei als Freund und Helfer des Volkes und ihr Einsatz gegen kriminelle Ausländer. Eine kritische Sicht auf die Polizei als Institution und die derzeitige Machtlage gibt es dagegen kaum, viele Konservative kooperieren bei jeder Repression in vorauseilendem Gehorsam zum eigenen Nachteil und nehmen teils sogar die Polizeibeamten in Schutz, die ja schließlich „nur Befehle befolgen“, aber „eigentlich auf unserer Seite stehen“. Was sich bereits in der einzelnen Maßnahme verheerend auswirken kann, wirkt sich auch auf der großen politische Bühne schlecht aus.
Die Polizei als unpolitische Institution
Denn vergessen wird, dass die absolute Mehrheit der Polizisten unpolitisch ist und im Zweifel tatsächlich schlicht die Befehle ausübt, die gegeben werden. Die Hausdurchsuchung bei einem Oppositionellen ist nur eine weitere Routinetätigkeit im Arbeitsalltag, hinterfragt wird es kaum und selbst bei eigenen Zweifeln wird sie vollstreckt – schließlich will man seinen Job behalten. Regelmäßig ist daher auch bei Wechseln der politischen Systeme und sogar bei Revolutionen die Mehrheit der Polizisten nahtlos im Dienst geblieben, einen Wechsel gab es, wenn überhaupt, dann nur an der Spitze und natürlich bei politischen Abteilungen (doch selbst da wurde oft genug mit demselben Personal weitergearbeitet). Es dürfte mehr als einen Polizisten gegeben haben, der im Kaiserreich seinen Dienst begann, ihn von der Weimarer Republik über das Dritte Reich hinweg ausübte und irgendwann in der BRD oder DDR in Pension ging. Tatsächlich gibt es in der Mehrheit der Fälle auch keinen Grund für eine Entlassung oder einen Austausch. Der berühmte Dorfpolizist wird in der Regel kaum mit politischen Sachverhalten konfrontiert, ebenso ist die Tätigkeit eines Kriminalpolizisten in der Abteilung für Sexualdelikte regelmäßig unpolitisch. Ob man nun einen Vergewaltiger im Kaiserreich oder im sozialistischen System jagt, ist sehr unabhängig von dem jeweiligen politischen System. Mit entsprechenden Rahmenbedingungen – bspw. einer notwendigen Parteimitgliedschaft oder entsprechenden ideologischen Phrasen – wird sich in aller Regel arrangiert.
Auf philosophischer Ebene werden Umbruchzeiten und Revolutionen von Peter Sloterdijk in „Die schrecklichen Kinder der Neuzeit“ analysiert. Besonderen Raum nimmt dabei der Tag der französischen Revolution ein, an welchem „der Henker von Paris“ Charles Henri Sanson seinen ehemaligen Dienstherrn Ludwig XVI hinrichtete. „Wenn ein royalistisch gesinnter Henker seinen eigenen vormaligen Herrn hinrichtete, konnte er seine Aufgabe nur erfüllen, indem er seine Loyalität gegenüber König und Monarchie auf deren Nachfolger übertrug, selbstproklamiert und unerwiesen wie sie sein mochten. Die Modalitäten der Übertragung liegen völlig im Dunklen.“
Repression heißt vor allem polizeiliche Repression
Wenn die Repression zunimmt – wie wir es derzeit erleben – so heißt das vor allem, dass die polizeiliche Repression zunimmt. Diese ist nicht auf die politischen Abteilungen, etwa beim Staatsschutz, beschränkt. Es sind nicht nur Staatsschutzbeamte, die die Hausdurchsuchungen wegen eines Meme in sozialen Netzwerken durchführen und es sind vor allem „normale“ Polizisten, die rechte Veranstaltungen stürmen, auf Corona-Demonstranten einschlagen und die die täglichen Repressionsmaßnahmen vollstrecken. Wenn also über neue Befugnisse für die Polizei, eine Erweiterung des strafrechtlichen Schutzes von Polizeibeamten, einer Aufrüstung der Polizei usw. usf. die Rede ist, sollten Oppositionelle genau hinschauen – denn der neue Wasserwerfer wird mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht gegen kriminelle Araberclans, sondern gegen oppositionelle Demonstrationen eingesetzt. Es ist beispielsweise kein einziger Einsatz von Tränengasgranaten gegen dschihadistische Demonstrationen oder sich Massenschlägereien liefernde Araberclans bekannt, dafür aber solche gegen rechte Demonstrationen. Beispielhaft soll dies anhand der bekannt gewordenen Weisungen in verschiedenen Bundesländern im Umgang mit Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte verdeutlicht werden.
Im Weg stehen als Widerstand
Der „Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte“ des § 113 StGB wird von den Strafverfolgungsbehörden ohnehin weit über jede Grenze hinaus ausgelegt. Oft reicht bereits ein „im Weg stehen“ für eine Anklage, selbst wenn man sich – etwa in einer Menschenmenge – gar nicht wegbewegen kann, also vollkommen unfreiwillig im Weg steht. Gerade bei den rechten Demonstrationen und solchen gegen die Corona-Politik wurde nahezu alles als Widerstand ausgelegt; die Akten oppositioneller Anwälte sind gut gefüllt mit haarsträubenden Fällen. Doch selbst in Alltagssituationen wird oft jede Handlung, die kein reines Abnicken von polizeilichen Anweisungen darstellt, als Widerstand verfolgt – auch wenn es gegen polizeiliches Unrecht geht. Bereits zu viel Körperspannung bei einer rechtswidrigen, brutalen Festnahme kann für eine Tatbestandserfüllung aus Sicht der Staatsanwaltschaft ausreichen.
Denn ein Widerstand wird definiert als eine aktive Tätigkeit gegenüber dem Vollstreckungsbeamten, mit der eine Vollstreckungsmaßnahme verhindert oder erschwert werden soll. Anders als etwa bei der Nötigung ist es nicht erforderlich, dass es zu einem erfolgreichen Widerstand kommt (BGH NStZ 13, 336), vielmehr erfasst der § 113 StGB entsprechend sowohl erfolgreiche wie auch erfolglose und sogar untaugliche Widerstandshandlungen (Schönke/Schröderder/Eser StGB § 113 Rn. 40, 41). Der Widerstand gegen rechtmäßige Vollstreckungshandlungen wird als grundsätzlich illegitim bewertet (Schönke/Schröder/Eser StGB § 113 Rn. 48), hingegen ist der Maßstab für die Rechtmäßigkeit einer Diensthandlung umstritten. Die herrschende Meinung ist dabei – wenig überraschend – sehr polizeifreundlich und geht von einem strafrechtlichen Rechtmäßigkeitsbegriff ohne strenge Bindung an die Regeln des Verwaltungsrechts nach spezifisch strafrechtlichen Kriterien aus (Schönke/Schröder/Eser StGB § 113 Rn. 21, 22). Dies könnte, konsequent zu Ende gedacht, dazu führen, dass das Verwaltungshandeln der Polizei von einem Verwaltungsgericht als rechtswidrig bewertet wird, jedoch auch der Widerstand dagegen von einem Strafgericht als rechtswidrig. Trotz dieser Paradoxie wird in der Praxis dennoch zum Teil eine Klage auf Feststellung der Rechtswidrigkeit des Polizeihandelns bei einem Verwaltungsgericht beantragt, um dies in die Verteidigung bei einem Strafprozess einfließen zu lassen. Für den Angeklagten heißt dies jedoch zunächst einmal zusätzliche Kosten (Anwalts- und Gerichtskosten hat er, auch bei einem späteren Obsiegen, im Vorschuss zu leisten) und die Belastung mit einem zusätzlichen Verfahren.
Zweierlei Recht für Bürger und Polizisten
Zu dieser materiell-rechtlichen Problematik kommen nun auch noch prozessuale: Da ist das altbekannte Problem, dass Polizeibeamten sich regelmäßig gegenseitig mit Aussagen decken und durch Aktenstudium auf die Prozesse weit besser vorbereiten können, als jeder normale Zeuge. Ebenso ist es ein Problem, dass auf Anzeigen gegen Polizeigewalt regelmäßig Gegenanzeigen kommen. Während bei den Anzeigen gegen Polizeibeamte meist keine ernsthaften Ermittlungen erfolgen, sind die gegen die Anzeigenerstatter von umso größeren Eifer geprägt. Und schließlich wurde nun eine bereits lang vermutete Weisung an die Staatsanwaltschaften in Nordrhein-Westfalen durch das Portal „frag den Staat“ veröffentlicht. Wer denkt, dass die deutsche Justiz Besseres zu tun hätte, als Verfahren zu führen wegen zu viel Körperspannung bei einer Festnahme, denkt vollkommen im Sinne der Strafprozessordnung. Genau dafür gibt es den § 153 StPO, die Einstellung wegen Geringfügigkeit, sowie den § 153a StPO. Doch genau jene Möglichkeiten ist den Staatsanwaltschaften laut Recherchen von „frag den Staat“ in neun Bundesländern durch interne Weisungen genommen. In der bekannt gewordenen geheimen Rundverfügung des Justizministeriums Nordrhein-Westfalen von 2021 heißt es dazu, dass bei Straftaten gegen Amts- und Mandatsträger eine Einstellung nach den beiden Paragrafen „regelmäßig nicht in Betracht“ komme. Heißt: Jeder noch so geringfügige Widerstand wird zur Anklage gebracht – für Fälle von Polizeigewalt gilt dies im Übrigen nicht.
Demonstranten sind mehr betroffen als Kriminelle
Davon sind eben nicht nur Kriminelle, sondern zahlreiche gesellschaftliche Gruppen betroffen und dies oft weitaus mehr, als etwa Strukturen der organisierten Kriminalität. Fußballfans etwa dürften weitaus mehr Fallzahlen von vermeintlichem Widerstand aufweisen als Rockerclubs oder arabische Clans. Denn die Praxis des § 113 StGB ist regelmäßig nicht von Polizeieinsätzen gegen tatsächliche Strukturen der organisierten Kriminalität geprägt (gegen die Festnahme durch ein SEK oder MEK ist schon praktisch kaum Widerstand möglich) sondern von Alltagsgeschehen und Massenveranstaltungen mit Polizeikontakt – wie eben oppositionelle Demonstrationen. Wer praktische Fälle erlebt, wird sehr schnell die ausufernde Dimension dessen erkennen. Um nur eines der zahlreichen Beispiele aus der Praxis zu schildern:
Ein Bus voller Demonstrationsteilnehmer wurde von der Polizei willkürlich für rechtswidrige Identitätskontrollen angehalten. Der Wortführer der Demonstranten wurde, nach dem Öffnen der Bustür, ohne vorherige Aufforderungen o. ä. von den Polizeibeamten an seiner Kleidung rabiat die Treppenstufen des Busses heruntergezerrt. Dermaßen überrascht, hat er sich instinktiv am Handlauf festgehalten, um nicht kopfüber die Stufen herunterzufallen. Die Folge (neben dem gewaltsamen Herunterzerren, auf dem Boden fixieren und Handschellen anlegen): Eine Anklage wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte, die nur dank eines erfahrenen oppositionellen Anwalts und einer neutralen Richterin mit einem Freispruch endete.
In zahlreichen anderen Fällen müssen Oppositionelle dagegen Verurteilungen oder angesichts des Strafmaßes Einstellungen gegen hohe Geldauflagen hinnehmen. Neben der allgemeinen Weisung, entsprechende Verfahren nicht einzustellen, werden solche gegen Oppositionelle natürlich besonders repressiv verfolgt.
Oppositionslage und Idealstaat
Die Polizei ist zwar eine notwendige Institution in jedem Staat und die Rechte wird regelmäßig weltanschaulich wie auch praktisch für eine starke Polizei sein (gleichzeitig jedoch für eine Polizei eintreten, die tatsächlich Freund und Helfer des Volkes ist). Jedoch leben wir nicht nur weit entfernt von jedem rechten Idealstaat, sondern sind auch (noch) weit entfernt von jeder Gestaltungsmacht. Bei einer Verschärfung des politischen Kampfes, der durch die Herrschenden vor allem mit einer Zunahme der Repression beantwortet wird, muss sich stets vergegenwärtigt werden, dass die Polizei das Repressionsmittel par excellence ist. Jede entsprechende Gesetzesverschärfung und tatsächliche Aufrüstung muss daher von der Opposition auch hinsichtlich des möglichen Missbrauchs gegen die Opposition betrachtet werden. In der derzeitigen Lage muss ein kritisches Verhältnis zur Polizei als Institution und ihren Befugnissen gelten, denn jeden Tag sind es zunehmend mehr die Türen von Oppositionellen, die von Polizeibeamten eingetreten werden.
Beitragsbild / Symbolbild und Bild oben: Alexandros Michailidis; Bild in der Mitte: Heiko-Kueverling / beide Shutterstock.com
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