Von Egmont von Sachsen*
Hamburg ist von Freiburg rund 750 Kilometer entfernt. Die Bundesrepublik ist eben nicht ganz so klein wie manch anderes EU-Land. Aber ob in Greifswald, Hof, Freiburg oder Hamburg: Die Mitgliedszahlen der AfD steigen kontinuierlich. Hatte die Partei im Jahr 2021 laut Statista lediglich 30.251 Mitglieder, ist der Zuwachs deutlich spürbar. Im Januar dieses Jahres auf 39.738 Mitglieder angewachsenen, sind es nach Eigenangaben der Partei Ende September bereits 48.994 Mitglieder gewesen. Mittlerweile dürfte das 50.000 Mitglied zur Aufnahme anstehen, „hängen“ doch zum Teil Tausende Kandidaten in der Warteschleife. Immerhin prüft die AfD ihre Aufnahmekandidaten gründlich. Gründlich? Naja, nicht in jedem Fall. Und auch wer schon länger mit an Bord ist, muss nicht unbedingt ein Bürger sein, der vor allem am Schicksal Deutschlands interessiert ist. Das zeigt ein aktuelles Beispiel aus Hamburg.
Die Unvereinbarkeitsliste besteht nach wie vor
Geprüft wird, ob man passt und ob man nicht früher schon im nationalen Lager aktiv war, also vielleicht Mitglied einer „bösen“ rechten Organisation ist oder Partei war. Dabei rächt sich, dass die AfD eine Rechtspartei sein will, aber am besten ohne Rechte. Das ist schon skuril, immerhin kann man sogar als ehemaliger Grüner oder Sozialdemokrat hohe Ämter erreichen, siehe Robert Lambrou in Hessen. Selbst CDUler, die 2015 noch Merkel Beifall klatschten, sind herzlich willkommen. Erst recht, wenn man einen Doktortitel oder sogar Professorentitel hat. Während in den anderen bundesrepublikanischen Parteien der beschwerliche Weg durch die Partei vonnöten, ja selbstverständlich ist, ist es beim „gärigen Haufen“, vielzitierter O-Ton von Alexander Gauland, mitunter leicht, in Amt oder Funktion zu kommen. Das ist nicht in jedem Fall zu begrüßen.
Ein Beispiel aus Hamburg
Für die AfD-Hamburg, Bezirksverband Wandsbek, ging es am vergangenen Freitag in einem kroatischen Restaurant im Stadteil Farmsen um alles oder nichts – und das in mehrfacher Hinsicht. Denn für den Wahlkreis (WK) 12, Farmsen-Berne und Steilshoop-Bramfeld, musste die AfD-Kandidatenliste für die anstehende Bürgerschaftswahl, die kurz nach der Bundestagswahl am 2. März 2025 stattfinden wird, neu gewählt werden. Was war geschehen? In einem ersten Anlauf vor einigen Wochen hatte sich, ohne große Überraschung, die Abgeordnete der Bezirksversammlung Wandsbek, Iris Vobbe (52), deutlich durchgesetzt. Sie gewann die Nominierungswahl gegen zwei Kandidaten, immerhin aus dem Hamburger Landesvorstand, nämlich gegen Peggy Heitmann (Landes-Schatzmeisterin) und Eckbert Sasse (Beisitzer im Landesvorstand), keine „Nobodys“ in der Hamburger AfD.
Vobbe – bekannt aus der BILD-Zeitung
Sie hatten nicht mit dem konzertierten Vorgehen von Vobbe gerechnet, die bereits vor 23 Jahren als eines der Seite-1-Mädchen in der Hamburger BILD-Zeitung für kurze Zeit lokale Berühmtheit erlangte. Damals war sie von ihrem Arbeitgeber, der Oberfinanzdirektion Hamburg (OFD), dienstrechtlich getadelt worden. Wegen der Zurschaustellung ihrer Brüste in der berühmt-berüchtigten Boulevard-Zeitung hatte sie einen Verweis erhalten. Das OFD störte sich unter anderem daran, sie habe ihre „Pflicht zu einem beamtenwürdigen außerdienstlichen Verhalten in einer für das Ansehen des Berufsbeamtentums bedeutsamen Weise verletzt“, wie man auch im damaligen SPIEGEL süffisant nachlesen konnte. Ihr damaliger Anwalt Corvin Fischer, ein berühmt-berüchtigter Itzehoer Rechtsanwalt und Rechtsbeistand des damaligen Innensenators Ronald Barnabas Schill unter der Ägide des Ersten Bürgermeisters Ole von Beust (CDU), hatte gegen den dienstrechtlichen Eintrag geklagt. Spitzfindig und teuflisch raffiniert hatte er einen Gleichbehandlungsanspruch auf gewissermaßen exhibitionistische Betätigung zwischen seiner Mandantin, Iris Vobbe, und dem damaligen Bundesfinanzminister, Hans Eichel (SPD), angemahnt. Denn Eichel hatte, kein Witz, bei seinem Besuch im gleichen Jahr bei der Hamburger BILD-Redaktion freimütig zugestanden, er schaue sich als erstes jeden Morgen die Brüste der Seite 1-Mädchen an. Das war unter anderem auch Iris Vobbe gewesen, obgleich nur für einen Tag. Der Rechtsanwalt argumentierte geschickt: was er, Eichel, tadellos tun dürfe, das dürfe seine Untergebene in Hamburg, Vobbe, immerhin auch tun. Das Verfahren ging bis ans Bundesdisziplinargericht.
Mehrheiten das A und O in der Partei
Die damaligen Erfahrungen mit Presse, Politik und Soft-Erotik hat Iris Vobbe offenbar nicht vergessen. Außerdem hat zumindest sie innerhalb der Hamburger AfD verstanden, dass es bei Wahlen darauf ankommt, vor diesen entsprechende Mehrheiten zu organisieren. Ihr Rezept: Wenn sie denn nur genügend Männer und Frauen dazu bewegen könne, mit der passenden Anschrift Mitglied der AfD-Hamburg zu werden, dann könne ihr der Sieg für den ersten Direktkandidatenplatz im Wahlkreis 12 nicht genommen werden. Womöglich hat sie, so munkeln einige, sogar Schützenhilfe von einigen Parteigranden erhalten. Wie geplant, so umgesetzt. In den vergangenen Monaten stieg die Mitgliederzahl gerade in „ihrem“ AfD-Bezirk Wandsbek merklich an. Mit Personen aus ihrem persönlichen Umfeld, aber auch mit solchen, wo sich andere langgediente Parteimitglieder ernsthaft die Frage stellten, wo die denn plötzlich herkommen. Denn immerhgin geht es vor Ort mächtig rau zu: So ist es bereits bezirksintern zu verbalen Bedrohungen und körperlichen Übergriffen gekommen. Es wurden sogar Strafanzeigen gestellt.
Zurück zu Iris Vobbe
Sie hatte also zunächst ihr Ziel erreicht, denn der ersehnte Listenplatz 1 im Wahlkreis 12 war ihr inne. Doch zumindest Teile des Hamburger AfD-Landesvorstands um AfD-Hamburg-Chef Dirk Nockemann waren „not amused“. Denn die Wahl von Iris Vobbe stellt für nicht wenige Hamburger Parteisoldaten natürlich eine besondere Peinlichkeit dar, da man sich doch seit Jahren seitens der AfD-Hamburg bemüht, eine gewisse bürgerlich-konservative Aura zu geben – bisher vergebens. Nun, oh Schreck, Iris Vobbe auf dem AfD-Ticket in die Bürgerschaft? Das konnte doch nicht wahr sein. Zumal sie nicht gerade für schweißtreibende Mitarbeit in der Bezirksversammlung Wandsbek oder in Parteigremien bekannt sein soll. So ein „faules Ei“ wolle man sich nicht ins blaue Bürgerschaftsnest legen, so etliche Hamburger AfD-Politgrößen.
Was dann geschah
Die zunächst noch hinter Vobbe auf der AfD-Wahlkreis-Liste (WK) 12 platzierten Kandidaten zogen aus taktischen Gründen ihre Nominierung zurück. So stand sie plötzlich alleine auf der Liste. Schlecht für sie. Denn üblicherweise bedeutet eine Solo-Kandidaten-Liste beim komplexen Hamburger Wahlrechtssystem ein erheblicher Nachteil hinsichtlich des finalen Wahlausgangs zur Erlangung eines Direktmandates über die Erststimme. Eine Erklärung dafür lautet, die statistisch unterfüttert werden kann, der Wähler goutiere keine Listen, auf denen nur ein Kandidat stehe. Dieser Liste, also der Partei, gebe er insgesamt gesehen weniger Stimmen, als wenn mehrere Kandidaten auf dem Wahlzettel für die Erststimme stehen würden. Nach der Wahl werden alle Stimmen aller Kandidaten einer Partei bei der Ermittlung der glücklichen Wahlkreis-Gewinner für ein Bürgerschaftsmandat zusammengezählt, mit der Gesamtzahl aller im Wahlkreis abgegeben Stimmen aller Parteien dividiert und mit der Anzahl der feststehenden zu vergebenden Sitze für diesen Wahlkreis für die Bürgerschaft multipliziert (Stichwort „Sitz-Zuteilungszahl“). Da geht es auch um Nachkommastellen, die manchmal entscheidend dafür sein können, ob die Partei einen Kandidaten in die Bürgerschaft schickt oder nicht. Hamburger Wahlrechtsmathematik. Klingt kompliziert? Ist es aber – zumindest für daran gewöhnte Hamburger – eben nicht (mehr)!
Erst einmal Rücktritt vom Antritt, dann erneuter Erfolg
Vobbe agierte geschickt, zog also nach entsprechendem Coaching ihre soeben noch gewonnene Kandidatur zurück. Nun war die ganze Wahlkreisliste Farmsen-Berne und Steilshoop-Bramfeld (WK 12) für die Erststimme für die AfD jungfräulich, also vakant. Schlecht für die AfD-Hamburg, zumindest für diesen Wahlkreis. Um diesen Makel zu beheben, wurde eine neue, also eine zweite Nominierungsversammlung für diesen Wahlkreis anberaumt, die bereits erwähnte, die am vergangenen Freitag in Farmsen stattfand. Und – wer hätte es gedacht – Iris Vobbe und Co. hatten mal wieder maximal mobilisiert. Der Saal platzte aus allen Nähten, 18 wahlberechtigte Mitglieder und zahlreiche Schaulustige blickten gebannt auf den Wahlgang für den Listenplatz 1. Das Duell: Iris Vobbe gegen Dr. Dr. Joachim Körner, immerhin seit Jahren auch Landesvorstandsmitglied. Man höre und staune: Vobbe gewann die Wahl für den Listenplatz 1 für den WK 12 klar mit 11 zu 7 Stimmen. Ihre Mobilisierung hatte gefruchtet. Sie freute sich diebisch, so etliche Anwesende. Dr. Dr. Joachim Körner, in seinem Dietrich-Genscher-vintage-Pulli-Look, schaute seinerseits stumm um den ganzen langen Tisch herum. Was wohl die Bürgerschaftspräsidentin Carola Veit (AfD) dazu sagen wird? Gerade sie, die besonders auf Contenance und properem Hamburger Kleidungsstil großen Wert legt. Erst die Sorgen um Olga Petersen, nun möglicherweise die um Iris Vobbe. Sie hat es wirklich nicht einfach mit der AfD. Die kommenden gut 100 Tage bis zur Bürgerschaftswahl bleiben spannend. Und am Ende darf man fragen, wer in der Partei wirklich falsch ist!
* Nach Veröffentlichung des Beitrages erreichte die Redaktion der Hinweis, dass Herr Eckbert Sachse, Mitglied im Landesvorstand Hamburg der AfD, ausdrücklich feststellt, nicht der Autor des obigen Beitrages zu sein. Dieser redaktionelle Hinweis erfolgt auch öffentlich, da das gewählte Pseudonym durchaus zu Spekulationen über den tatsächlichen Autor führen könnte. Dieser ist aber nicht Herr Eckbert Sachse, sondern ein anderes Mitglied der AfD Hamburg, das verständlicherweise anonym bleiben möchte. Wir bitten um Berücksichtigung und Verständnis!
Beitragsbild / Symbolbild: anweber; Bild oben: Westlight / beide Shutterstock.com
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