Von John Duke of Lancester

Am 3. Oktober 2025 hielt Bundeskanzler Friedrich Merz seine Rede zum Tag der Einheit. Die Erwartungen waren hoch – nicht nur wegen der Feierstimmung, sondern auch wegen der Parallelen zur berühmten „Ruck-Rede“ vom 26. April 1997. Der damalige Bundespräsident Roman Herzog hatte an dem Tag eine kraftvolle Ansprache gehalten, die die Deutschen wachrüttelte. Viele hofften, Merz würde ähnlich auftreten. Stattdessen blieb es lau und er strotzte vor Allgemeinplätzen. Die Junge Freiheit fasste es trocken zusammen: „Das war nicht einmal eine Rückchen-Rede, Herr Bundeskanzler.“ Merz hatte zudem mit dem Franzosen Macron wieder einen Gast geladen, der seine Rolle als Außenkanzler untermauerte, statt einen Ostdeutschen ins Boot zu holen.

Meine Erlebnisse während der Zeit der beiden deutschen Staaten
Als Kind der Einheit trage ich mütterlicherseits westdeutsche und väterlicherseits ostdeutsche Gene in mir. Ich bin 1967 in Dortmund geboren und dort, im tiefsten Westdeutschland, aufgewachsen. Mein Vater ist kurz vor seinem 19. Geburtstag 1958 über Berlin in den Westen geflüchtet – „rüber gemacht“, würde der Sachse sagen. 13 Jahre lang hat er seine Eltern nur sporadisch gesehen, jahrelang überhaupt nicht. Doch Freiheit, vor allem wirtschaftliche, konnte nur der Westen bieten.

Grenzkontrollen statt südlicher Strände
Nachdem mein Großvater als Kriegsversehrter in der DDR die Frührente durchgesetzt hatte, konnten meine Großeltern nach Dortmund ziehen. Im Westen musste er allerdings noch ein paar Jahre arbeiten. Bei meinen Schulkameraden galt ich in einer Hinsicht als Exot: Jedes Jahr fuhren wir zusammen nach Sachsen-Anhalt, in die DDR. Meine Mitschüler verbrachten den Urlaub in Italien, Spanien oder wenigstens in den Bergen oder an der Nordsee – ich lernte die griesgrämigen Zollbeamten des real existierenden Sozialismus kennen. Man hatte den Eindruck, dass die unfreundlichsten Charaktere der ganzen Republik an der Grenze zum „Klassenfeind“ Dienst tun mussten.

Die Wende mit dem Fall der Mauer
Die Lieblingscousine meines Vaters hatte genau ausgerechnet, wann sie uns im Westen besuchen konnte. Ich freute mich jedes Jahr auf meinen Großcousin, der ein halbes Jahr jünger als ich ist. In der Endphase der DDR tat sich etwas, denn da durften zu bestimmten Anlässen auch weit vor dem Rentenalter Besuche im Westen stattfinden.

Der Tag des Mauerfalls
Man sagt, dass man Jahre später genau wisse, was man an geschichtsträchtigen Tagen gemacht habe. Ich habe keine Ahnung, wo ich am 3. Oktober 1990 gewesen bin. Aber am 9. November 1989 war ich bei einem Konzert der amerikanischen Band „The Rainmakers“ aus Milwaukee in Dortmund. Der Band-Leader mit dem auf deutsche Vorfahren hindeutenden Namen Bob Walkenhorst schilderte mit schönen und aufrichtigen Worten das große Ereignis dieses Tages. Ich realisierte, dass heute Geschichte geschrieben wurde. Als eine Woche später mein Großcousin den Urlaub bei der Nationalen Volksarmee (!) zu einem Besuch in Dortmund nutzte, realisierte ich endgültig, dass sich etwas Großes – und noch vor einigen Wochen scheinbar Unmögliches – ereignet hatte.

Ein anderer Tag der Deutschen Einheit?
Meine Familiensituation führte dazu, dass ich im Gegensatz zu vielen Westdeutschen schon immer eine Beziehung zu dem anderen Deutschland hatte. Der 3. Oktober ist ein eher formaler Feiertag, und ich denke, dass viele Deutsche in Ost und West lieber den 9. November, den 17. Juni (Tag des Volksaufstands 1953, vor allem in Ost-Berlin) oder einen ganz neuen Tag sehen würden. Der gestrige Tag war von offizieller Seite sicherlich ein gebrauchter Tag – aber persönlich bleibt er mir als Mahnung an die wahre Einheit in Erinnerung, die nicht mit Reden, sondern mit Leben gefüllt ist.

Beitragsbild / Symbolbild und Bild oben: LarichD / Shutterstock.com

Abonnieren Sie auch unseren Telegram-Channel unter: https://t.me/Freiburger74Standard

Treten Sie dem Freiburger Standard bei

Wir senden keinen Spam! Erfahren Sie mehr in unserer Datenschutzerklärung.