Ein Debattenbeitrag von Dario Herzog

Vor Weihnachten entschied sich der Bundesvorstand (BuVo) der AfD auf Zuruf des ehemaligen Meuthen-Anhängers und Landesvorsitzenden von Rheinland-Pfalz Jan Bollinger, die eher klandestine identitäre Gruppe „Revolte Rheinland“ auf ihre Unvereinbarkeitsliste zu setzen (wir berichteten). Das führte zu energischen Unmutsäußerungen aus dem Parteivorfeld. Damit hatten die Mitglieder des BuVos, die dafür gestimmt hatten (Tino Chrupalla, Stephan Brandner, Carsten Hütter, Peter Boehringer, Marc Jongen und Roman Reusch), wohl nicht gerechnet. Und dann kam „plötzlich und unerwartet“ auch noch die Schmierenkampagne von Correctiv. Und auch diesmal wird sich fleißig distanziert. Mit Identitären wie Martin Sellner möchte man nichts zu tun haben – anders kann man nicht verstehen, wieso man sich von Seiten der AfD nicht vor ihn stellt. Denn das, was er bezüglich der Remigration vertritt, ist auch die Position der AfD, zumindest der breiten Parteibasis.

Das Vorfeld mit unsinnigen Unvereinbarkeitslisten belasten?
Nun dreht sich bei Diskussionen über den Umgang mit Aktivisten wie beispielsweise der „Revolte Rheinland“ oder rechten Netzwerkern wie Martin Sellner viel darum, ob das Ausgrenzen dieser Kreise gerecht sei, ob es nun gemeinsame Ziele gebe oder nicht, ob man gleichzeitig Teil des Vorfelds, aber auch der Partei sein kann. Ein Negativbeispiel ist der AfD-Landeschef von Nordrhein-Westfalen, Martin Vincentz. Beim WDR distanzierte er sich kürzlich nicht nur von Parteimitgliedern und drohte ihnen durch die Blume mit dem Parteiausschluß, nein, auch der in Wahlen weitaus erfolgreichere Björn Höcke wurde deftigst kritisiert und sich anschließend auch gleich von der „Revolte Rheinland“ distanziert, siehe hier. Eine größere und letztlich peinlichere Anbiederung ist kaum möglich. Man fragt sich ernsthaft, wie es der Humanmediziner zum Landeschef gebracht hat. Dass das Vorfeld eine sinnvolle Ergänzung zum „Parlaments-Patriotismus“ (Martin Sellner) ist, scheint dem Mediziner nicht ansatzweise klar zu sein. Dabei könnte ein Blick nach Links helfen. So verwundert es auch nicht, dass es nicht ein einziges alternatives Medium gibt, das über die Aktivitäten des immerhin größten Landesverbandes regelmäßig berichtet. Martin Vincentz ist innerparteilich auch kaum bekannt. Der Landesparteitag Ende des Monats wird daher auch eine Richtungsentscheidung mit sich bringen. Denn wie es anders geht, zeigt der Vorfeld-affine und äußerst umtriebige Bundestagsabgeordnete Matthias Helferich, ein Unterstützer der freien Medien.

Unvereinbarkeitsliste als Waffe entschärfen
Mittlerweile wurde bekannt, dass der Initiator der Diskussion um die „Revolte Rheinland“, der Landeschef von Rheinland-Pfalz, Jan Bollinger, die Entscheidung auch als Waffe gegen einen innerparteilichen Rivalen einsetzte, was die sich zum Teil selbst widersprechende Verteidigung der Entscheidung seines selbst aus dem Vorfeld stammenden Landesvorstandsmitglieds Robin Clasen ad absurdum führt.Der Fall ist ein exemplarisches Beispiel dafür, wie die Kontaktschuld als Waffe gegen Parteifreunde eingesetzt wird. Offensichtlich wird das beispielsweise im erwähnten Landesverband Rheinland-Pfalz: Landeschef Bollinger geht nicht gegen Parteifreunde des eigenen Lagers vor, die ebenfalls intensive Kontakte zum Vorfeld unterhalten. Das könnte man heuchlerisch nennen. Solch einen Irrsinn sollte die Partei, die sich gerne Rechtsstaatspartei nennt, endlich beenden.

Schwache Verteidigung der Revolte-Entscheidung
Etliche einflußreiche Vorfelddenker haben sich in die Debatte eingemischt, etliche aber auch nicht, was auffällig ist. Und lediglich einer der Unterzeichner hat sich eingelassen, eine öffentliche Begründung abzugeben, die aber äußerst dünn ist und sich im wesentlichen nicht darauf stützt, was man zu konkreten Aktivitäten der „Revolte Rheinland“ sagt, sondern sich lieber der von der Gruppe verwendeten Rune widmet – die man  fälschlicherweise der Waffen-SS zuordnet. Dass aber die gesamte Diskussion aufgrund der unsäglichen Unvereinbarkeitsliste zustande gekommen ist, wurde in der Diskussion zwar allenfalls gestreift, aber nicht konsequent thematisiert.

Roman Reusch und Co.
Bundesvorstandsmitglied Roman Reusch hat Angst. Er hat Angst davor, dass der Verfassungsschutz die Gesamtpartei als „verfassungsfeindlich“ einstuft. Der ehemalige Oberstaatsanwalt ist dafür bekannt, das Vorfeld als potenzielle Gefahr zu sehen. Das sehen etliche Führungspersönlichkeiten ebenso. Und deshalb gibt es innerhalb der höchsten AfD-Gremien eine Mehrheit, die die Unvereinbarkeitsliste als dringend nötig erachtet. Dabei gibt es unterschiedliche Gründe: man möchte sich Spinner, politische Geisterbahnfahrer und Exoten vom Hals halten. Auch eine Unterwanderung soll vermieden werden. Und zudem möchte man dem Verfassungsschutz keine Argumente an die Hand geben, um als „verfassungsfeindlich“ eingestuft zu werden. Und nicht zuletzt stellen Aktivisten, die sehr häufig reine Idealisten sind, ihre Arbeit unentgeltlich leisten, eine potenzielle Gefahr für Mandatsinhaber dar, die oftmals finanziell gut abgesichert wenig Leistung bringen.

Die Argumente FÜR eine Unvereinbarkeitsliste sind längst hinfällig
Wenn man sich die Argumente aber genau anschaut, wird klar, dass sie nicht ziehen. Mittlerweile ist die Partei auf dem Weg, die 40.000-Mitglieder-Marke zu knacken. Eine Unterwanderung müsste also in sehr großer Zahl erfolgen, um tatsächlich etwas bewirken zu können. Wenn man das aktuelle Beispiel der „Revolte Rheinland“ nimmt, handelt es sich vielleicht um 20 bis 30 Mitglieder, aufgeteilt auf mehrere Standorte – und bei AfD-Eintritt in mehrere Kreisverbände. Eine Unterwanderung ist also kaum möglich. Auch die Hoffnung, Mitglieder mit Biographien bei anderen rechten Parteien und Organisationen zu vermeiden, ist grenzenlos naiv. Wer hofft, der Verfassungsschutz würde sich beknien können, sollte die Politik schleunigst verlassen. Es ist klar, dass die Partei in Kürze auch in ihrer Gesamtheit als „verfassungsfeindlich“ eingestuft wird. Das passiert spätestens bei den nächsten bundesweiten Wahlen.

Partei muss mit schlimmeren Szenarien rechnen
Aber da der Wähler langsam abgestumpft ist, überhaupt nicht mehr zwischen Prüff-, Beobachtungs- oder gesichertem Fall unterscheiden kann, kann sich die Partei mit (hoffentlich bald wieder) steigenden Umfragewerten auf noch viel schlimmere Szenarien einstellen. So merkt man die zunehmende Diskussion über ein Verbot der Partei, hochgeschrieben vom SPIEGEL oder gefordert und im Parlament initiiert vom witzlosen CDU-MdB Wanderwitz. Nein, wer ernsthaft meint, den Regierungsschutz, und nichts andseres ist der Verfassungsschutz heute, durch eine Appeasement-Politik besänftigen zu können, ist fehl am Platze! Die Correctiv-Kampagne hat es deutlich bestätigt. Gefährlich hingegen ist das Argument, man lasse Idealisten in die Partei, die das eigene Fortkommen in der AfD behindern könnten. Das Argument „Konkurrenzverhinderung“ ist somit zwar existent, darf aber nicht dazu führen, andere dauerhaft auszugrenzen. AfD-Vertreter werden sich indes hüten, das offen zuzugeben. Aber so mancher Kandidat der einen oder anderen Beutegemeinschaft dürfte nicht erfreut über eine mögliche Konkurrenz durch einsatzfreudige Aktivisten sein. Das einzige Argument, das letztlich zieht, ist das Bemühen, sich durch eine Unvereinbarkeitsliste Spinner, echte Extremisten und Nutznießer aller Art vom Hals zu halten. Aber die gibt es eben nicht nur jenseits der rechten innerparteilichen Brandmauer, sondern besonders auch bei Ehemaligen aus den links der AfD stehenden Parteien und Organisationen. Erinnert sei daran, wie schnell zu früheren Zeiten Doktoren, Professoren und sonstige angebliche „Honorationen“ einen sicheren Platz auf einer Kandidatenliste bekamen, obwohl sie häufig erst gerade aus CDU oder FDP ausgetreten waren!

Die Argumente GEGEN eine Unvereinbarkeitsliste überwiegen
Gibt es eine andere Partei, in der mit Unvereinbarkeitslisten gearbeitet wird? Nein! Warum macht es sich die AfD dann so schwer? Dabei gibt es zahlreiche Argumente, die gegen eine Unvereinbarkeitsliste sprechen: So heißt es im Artikel 20 des Grundgesetzes, dass die Parteien bei der politischen Willensbildung des Volkes mitwirken. Es könnte also möglich sein, dass eine pauschale Unvereinbarkeit verhindert, dass man sich bei der Partei seiner Wahl engagieren darf. Wohlgemerkt, man hat sicherlich kein Anrecht auf Parteimitgliedschaft, aber die wilkürliche Ablehnung aufgrund einer möglicherweise Dutzende Jahre zurückliegenden Mitgliedschaft in einer anderen Partei/Organisation könnte diskriminierenden Charakter haben. Und auch die Liste selbst ist ein Kuriosum. Da sind Parteien und Gruppen genannt, die ewig nicht mehr existieren. Ein ehemals prügelnder Linksextremist, in dessen PKW die Tatwaffe des Mordes am hessischen Wirtschaftsminister transportiert wurde, kann dagegen ohne Probleme Außenminister werden (siehe Joschka Fisher). Warum sollte man einem heute 45-Jährigen, der in seiner Jugend einmal Mitglied der rechten Wiking-Jugend oder der HDJ war, nicht abnehmen, dass er heute altersgemäß milder, reifer und realitätsnaher geworden ist? Und eine Rechtspartei ohne Rechte ist ohnehin nicht authentisch.

Resozialisierung auch im Strafrecht üblich
So ist es auch im Strafrecht üblich, Strafen verjähren zu lassen. Wer in der Jugend einmal Mist gebaut hat, erhält nochmals eine Chance, seine Strafe wird aus dem (einfachen) Bundeszentralregister getilgt. Wer sich nicht erneut strafbar macht, sich resozialisiert, wird belohnt. Die AfD ist da härter: wer einst woanders rechts aktiv war – und immerhin ist die Partei erst im Jahr 2013 gegründet worden – wird nur schwerlich Parteimitglied werden können. Aber es gab nun einmal auch eine politisch rechtsstehende Szene vor dem Jahr 2013. Zudem mutet es eigenartig an, dass man dem Verfassungsschutz hier als Instanz vertraut, aber die eigene Beobachtung durch ebendiesen vehement kritisiert.

Der Blick zu den anderen
Es wurde bereits erwähnt, dass die Linke solche Unvereinbarkeitslisten nicht kennt. Kontaktschuld ist ihr fremd. Ja, die Medien thematisieren halt nur rechte Kontaktschuld. Aber es ist das Problem der AfD, dass Angsthasen nach jeder Öffentlichmachung von Kontakten sofort einknicken und sich distanzieren. Aber wie ist das beispielsweise in der ID-Fraktion üblich, immerhin ist die AfD dort Mitglied? Da kann man als positives Beispiel die FPÖ nennen. Auf den aktuellen Verzicht von Parteichef Kickl, die Identitäre Bewegung anzugehen und sich von ihr eben nicht zu distanzieren, soll gar nicht erst groß eingegangen werden. Aber auch Parteifunktionäre, deren pubertäres Gehabe weit zurückliegt, werden klipp und klar geschützt. Es wird sich nicht distanziert. Ein Beispiel: Als Fotos vom ehemaligen Parteichef Strache aus dessen Jugendzeit in Militärkleidung und mit waffenähnlichen Gegenständen und in Anwesenheit von echten Rechtsextremisten bekanntwurden, hat die FPÖ das mediale Gewitter damals einfach ausgesessen. Kontaktschuld ist eben nur solange schlimm, wie man sich einen Fehler einreden und damit erpressen lässt! Das muss auch langsam die AfD einsehen. Dem Wähler ist das nämlich völlig egal, er wählt die AfD aus anderen Gründen – und auch trotz der medialen Beschimpfung. Man sieht es an der mittlerweile völlig abgestumpften VS-Keule. Die Binnensicht ist hierbei eben nicht maßgeblich!

Weg mit der Liste!
Die Liste, so wie sie heute existiert, gehört deshalb auf den Misthaufen der Geschichte. Das heißt nicht, dass man nicht dennoch ein Instrument schafft, mit dem sich Glücksritter, echte Extremisten und Verrückte abgeschreckt fühlen. Fördermitgliedschaften oder Probemitgliedschaften für einen angemessenen Zeitraum, ohne die vollen Mitgliedsrechte, wären ein gangbarer Weg. Mandatsverbot für einen gewissen Zeitraum wäre auch denkbar – bis man weiß, mit wem man es zu tun hat. Was könnte man sich für innerparteiliche Debatten ersparen? Nur Mut! Es ist auf jeden Fall Zeit, über die Unvereinbarkeitsliste zu sprechen, ganz offen!

Beitragsbild / Symbolbild: fitzkes; Bild oben: SvetaZi, Mitte Brian A Jackson / alle Shutterstock.com

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