Ein Gastkommentar von Roderich A. H. Blümel

Lange schien alles so schön. Alice Weidel und die AfD, ein ungleiches Paar und doch in trauter Gemeinsamkeit. Die homosexuelle Frau mit einer dunkelhäutigen Partnerin und einem Goldman-Sachs-Hintergrund war wohl die unwahrscheinlichste Kandidatin für eine Parteikarriere in der neuen konservativen Kraft Deutschlands – und doch schaffte sie es hier ganz nach oben. Alle Fehltritte und Patzer schienen ihr die Mitglieder zu verzeihen. Spendenaffäre, falsche Erstpositionierung in der Coronakrise, komplettes Versagen als Landeschefin, stetige Abwesenheit bei schwierigen innerparteilichen Streitigkeiten, sogar ihr unseliges Festhalten am Zankpunkt Khan-Hohloch, alles tropfte an ihr ab und tat ihrer innerparteilichen Beliebtheit keinen Abbruch – vielleicht auch aus dem nie erwähnten „Wir sind doch gar nicht so“-Feigenblattkalkül heraus.

Die Netzwerkerin
Durch konsequentes Netzwerken innerhalb und außerhalb der Partei gelang es der Wahlschweizerin mit deutschem Pass, die Unterstützung der verschiedensten politischen Ausrichtungen in der AfD für sich zu gewinnen und schließlich konnte sie sogar den eigentlich von ihr verachteten Höcke und seinen Flügel für ihre öffentliche Persona überzeugen. Wenngleich Weidels eigentliche Vita ein wandelnder Widerspruch zu allen Werten der Nationalkonservativen ist, waren sie es jedoch, die sie ganz an die Spitze hievten. Und so erging schließlich nach dem Fortgang von Jörg Meuthen der Ruf an die Spitze der Partei an Alice Weidel. Anstatt an Björn Höcke, der an sich lange auf diesen Ruf gewartet hatte und wohl auch weiter darauf warten müssen wird.

Nach Brüssel?
Die Zeit schleift allerdings alle großen Liebesbeziehungen ab und auch dieser ergeht es kaum anders. Und Alice Weidel spürt das auch. Schon zur Europawahl wollte sie sich eigentlich als Delegationsleiterin nach Brüssel verabschieden. Mehr Geld für weniger Arbeit und Stress, fernab von der Notwendigkeit, sich weiterhin beim ungeliebten Flügel für dessen Unterstützung verbiegen und buckeln zu müssen. Die vorbereitenden Gespräche in Brüssel waren bereits geführt, allerdings scheiterte die Angelegenheit an Umständen, die sie noch nicht einmal selbst zu verantworten hatte. Und so ist sie weiterhin gefangen in der Notwendigkeit, wie bisher weiter zu machen, aber ahnend oder vielleicht sogar wissend, dass ihre Zeit an der Spitze den Zenit überschritten hat. Die Frauen sind wie immer meist die ersten, die wissen, wann eine Beziehung zu Ende geht.

Es ist aus
Der aktuelle Fehltritt Weidels bei einem Kernthema der Konservativen, dem Ausländerproblem, macht eines deutlich, die Schonzeit ist vorüber. Die Reaktionen in allen Teilen der Partei auf das spontane Feuern ihres Mitarbeiters Dr. Roland Hartwig sind für Weidels Ansehen desaströs. Wo vorher nur ihre ewigen Widersacher aus Baden-Württemberg an ihr rummäkelten, kommt in der Remigrationsthematik nun der Beschuss von allen Seiten, eine ungewohnte Situation für sie. Und Alice Weidel hat nur wenige wirklich eigene Truppen, wenn es im Juni auf dem Parteitag hart auf hart kommen sollte. Sie dürfte zur Zeit bemüht sein, überall die Wogen zu glätten, aber ein weiterer großer Fehltritt oder ein weitere große unglückliche Aktion und es sieht schlecht aus.

Zeit für eine Häutung
Jeder politische Beobachter wird sagen, die AfD wäre wahnsinnig, ihr Gesicht nach außen zu demontieren oder sie abzuwählen. Aber genau diesen Wahnsinn führt die AfD alle paar Jahre vor, wenn sie sich wieder einmal eines politisch allzu pragmatisch gewordenen Anführers überdrüssig geworden ist. Man denke zurück an Bernd Lucke, Frauke Petry und Jörg Meuthen. Aus Sicht der außenstehenden Politikexperten waren alle diese Persönlichkeiten für den Erfolg und das Fortbestehen der Partei unersetzlich. Von allen hat sich die Partei verabschiedet und wuchs durch diese Häutungen stetig weiter. Bernd Lucke wurde in Essen abgewählt. Der nächste Bundesparteitag ist wieder in Essen. Ein Omen?

Beitragsbild / Symbolbild: photocosmos1; oben: Juergen Nowack / beide Shutterstock.com

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