Von John Duke of Lancaster
Nur Weniges in unserer Gesellschaft bildet die Veränderung der vergangenen Jahrzehnte so exakt ab wie der Volkssport Nummer eins in Deutschland, der Fußball. ‚Wir waren 10 Hamburger und ein Ausländer. Das war Jürgen Kurbjuhn aus Buxtehude“, scherzte Gert ‚Charly‘ Dörfel vom Hamburger SV bei der Dokumentation der Sportschau vor etlichen Jahren, Die Rot-Hosen mussten zum Auswärtsspiel in Westfalen bei Preußen Münster antreten.
16 Vereine waren bei der Premiere dabei
Am 24. August 1963, exakt vor 60 Jahren, fand der erste Spieltag der Bundesliga statt. Nachdem 1962 bei der Tagung der Verbände in Dortmund die Bundesliga beschlossen wurde, begann das Auswahlverfahren. 46 Vereine bewarben sich für eine Lizenz. Der DFB legte verschiedene Kriterien zugrunde, unter anderem die sportliche Bilanz der letzten zwölf Jahre in der Oberliga (die aktuellen Saisons wurden höher gewichtet) und die Wirtschaftskraft. Im Norden waren der Hamburger SV und Werder Bremen gesetzt. Um den letzten freien Platz stritten die Kicker aus der Landeshauptstadt Hannover (Hannover 96) und Eintracht Braunschweig, zwei Städte, dessen Rivalität nicht größer sein konnte. Am Ende hatten die Braunschweiger Löwen die Nase vorn. Die bayrische Landeshauptstadt München wurde ebenfalls durch die Löwen, dem TSV München 1860, aus dem Vorort Giesing, repräsentiert. Der FC Bayern schaute in die Röhre. Aus dem Ruhrgebiet qualifizierten sich neben den alten Rivalen Borussia Dortmund, der amtierende Deutsche Meister, und Schalke 04, auch der Meidericher SV aus dem Duisburger Süden (heute MSV Duisburg). Hinzu kamen aus dem Westen Vize-Meister 1. FC Köln sowie Preußen Münster und aus dem Süd-Westen der 1.FC Kaiserslautern und der 1. FC Saarbrücken aus dem Saarland. Das Feld komplettierte die ‚Alte Dame‘ Hertha aus Berlin, geographisch getrennt durch die „DDR“, der 1. FC Nürnberg aus Franken sowie die Frankfurter Eintracht, der Karlsruher SC und der VfB Stuttgart (ebenfalls alle aus dem Bereich der Oberliga Süd). Lange Gesichter gab es nicht nur beim FC Bayern München, sondern auch bei den Offenbacher Kickers, denn diese waren immer auf den vordersten Plätzen der Oberliga Süd zu finden und erhielten trotzdem keinen Startplatz.
Der erste Spieltag und das erste Tor
Das Spiel des favorisierten HSV um Kapitän ‚Uns Uwe‘ Seeler in Münster endete 1:1. Das Preußen-Stadion war ausverkauft und viele kletterten auf die nahestehenden Bäume, um das Spiel zu sehen. Heute wäre das undenkbar. Das erste Tor erzielte Timo Konietzka von Borussia Dortmund nach einer Minute (zu schnell für alle Kameras). Das Spiel bei Werder Bremen verlor der BVB trotzdem 2:3.
Mit 4:1 gewann der Meidericher SV bei dem favorisierten Karlsruher SC und war erster Tabellenführer. Der 1.FC Saarbrücken verlor zu Hause mit 0:2 gegen den 1.FC Köln. Mit 2:0 gewannen die Schalker Knappen gegen den VfB Stuttgart. Jeweils 1:1 endeten die Partien 1860 München gegen Eintracht Braunschweig, Hertha BSC Berlin gegen den 1. FC Nürnberg und Eintracht Frankfurt gegen den 1.FC Kaiserslautern.
Die Saison
Erster Meister der Bundesliga war der 1. FC Köln. Die Geißböcke um Hans Schäfer und Wolfgang Overath hatten am Ende sechs Punkte Vorsprung vor den Duisburger Zebras, die Überraschungsmannschaft der ersten Saison. Hinter der Frankfurter Eintracht kam der amtierende Meister, der BVB, auf den vierten Platz. Trotz eines Fehlstarts mit fünf Niederlagen in Folge schaffte der Karlsruher SC und auch die Hertha aus Berlin letztendlich den Klassenerhalt. Absteigen mussten am Ende neben dem chancenlosen 1. FC Saarbrücken auch Preußen Münster. Die Westfalen konnten als einzige der 16 Mannschaften nur diese eine Saison im Oberhaus verbringen. Immerhin gelang aktuell der Aufstieg in die 3. Liga, somit spielt heute keiner der Gründungsmitglieder im Amateurbereich.
Wirtschaftliche Verhältnisse und Stars zum Anfassen
500 Mark bekam ein Spieler als Grundgehalt und mit entsprechenden Prämien konnten es bis zu 2.000 DM sein. Der Spieler Jürgen Werner vom HSV hat mit Beginn der Bundesliga die Karriere beendet, da er 400 bis 500 DM als angemessen ansah, mehr aber nicht für gerechtfertigt erachtete. Trotzdem waren die Spieler sehr nahe an ihren Fans. Beim 1. FC Köln war selbst ein Spieler aus Essen eher ein Fremdkörper und eine Verpflichtung musste genau überlegt werden. Und auch die BVB-Mannschaft der damaligen Zeit war ‚zum Anfassen‘. Meine Mutter ist ein echtes Kind des Ruhrgebiets und in einer Zechensiedlung in Dortmund-Dorstfeld aufgewachsen. Der Nachbarsjunge hieß Lothar Emmerich und Mama Emmerich hat sich bei meiner Oma oft beschwert: ‚Regina, stell Dir vor, jetzt ist der Junge wieder nicht zum Klavierunterricht gegangen, weil das Pöhlen (Anmerkung: Ruhrgebiets-Ausdruck für Fußball spielen) wichtiger war.‘ Ein großer Pianist wurde Lothar nicht, aber ein exzellenter Fußballer mit 279 Toren in Meisterschaftsspielen verschiedener Ligen (Oberliga, später Bundesliga und erste österreichische Liga). Solche Geschichten gab es überall in den Bundesliga-Städten und es wäre undenkbar gewesen, dass ein Nachwuchskicker für seinen Clan ein ganzes Lokal mietet oder ein Star-Friseur für eine ganze Mannschaft tätig wird. Dabei werden heute Kosten fällig, die ein normaler Fan in einem Jahr kaum erwirtschaften kann.
Die gemütliche Zeit der Oberligen
Vor der Bundesliga gab es vier Oberligen plus der isolierten Oberliga Berlin, nämlich Nord, West, Süd und Süd-West (In der „DDR“ gab es übrigens bis zum Ende ihres Bestehens die Oberliga). Die jeweils Erst- und Zweitplatzierten spielten zunächst in Gruppen die Halbfinal-Teilnehmer aus und dann ging es im k.o.-System weiter. Es gab dann ein richtiges Endspiel. Als Schalke 04 mit Bernie Klodt und Willi Koslowski 1958 Deutscher Meister wurde, hielt der Zug in Dortmund und die Spieler ließen sich auf dem Friedensplatz feiern. Heute wäre auch das undenkbar. Auch 1962 hielt das ganze Ruhrgebiet zum BVB bei dem Endspiel gegen den 1.FC Köln. Die Oberligen waren auch die Zeit der kleinen Vereine. So erreichte der Herner Vorortverein SV Sodingen die Endrunde zur Deutschen Meisterschaft 1955. Der VfR Mannheim wurde 1949 Deutscher Meister und spielte niemals in der Bundesliga. Beim Essener Bergarbeiterverein Sportfreunde Karternberg, der Heimatverein von Weltmeister Helmut Rahn (‚dem Boss‘) hielt manchmal der Güterzug mehr als eine Stunde lang, damit der Zugführer das Spiel gegen einen der ‚Großen‘ Schalke, BVB oder den großen Lokalrivalen Rot-Weiß verfolgen konnte.
Selbst Schneeboden nicht zu hart
Am 27. Januar 1952 kam es in der Oberliga West zum Spiel zwischen dem amtierenden Deutschen Meister Rot-Weiß Essen und der abstiegsbedrohten SpVgg Erkenschwick auf tiefgefrorenen Schneeboden. Die ‚Himmelsstürmer‘ aus Erkenschwick traten mit in Petroleum getränkten Fußballschuhen an und führten aufgrund dieses Vorteils zur Halbzeit mit 5:0. Da die Jungs von der Essener Hafenstraße auch auf die Idee mit dem Petroleum kamen, wurde es am Ende noch knapp, aber der 6:4 Sieg sicherte der Spielvereinigung die Punkte, die sie am Ende für den Klassenerhalt benötigten. In der Oberliga Süd blieb der fränkische Provinzverein FC Schweinfurt O5, die ‚Schnüdels“, in den 16 Jahren stets erstklassig, während sowohl der FC Bayern München wie auch der Rivale TSV 1860 München jeweils Abstiege hinnehmen mussten.
Fußball heute
Sicherlich hat der Fußball viel an Identität und Glaubwürdigkeit verloren, nicht nur wegen den wahnsinnigen Gehältern und Ablösesummen. Die WM in Katar und die Politisierung durch das links-liberale Establishment sowie die aktuelle Anmaßung des Managements einiger Vereine wie zum Beispiel jüngst beim BVB, haben zu einer Entfremdung beigetragen und zur Kaperung des Volkssports durch politischen Lobbyismus geführt. Es ist nicht hinnehmbar, dass ein Fußball-Verein offen gegen eine demokratisch legitimierte Oppositionspartei polemisiert. Auch die unvermeidliche Regenbogen-Fahne, die wie eine Monstranz präsentiert wird, hat dem Fußball in Deutschland schwer geschadet. Trotzdem möchte ich den Artikel versöhnlich beenden: Ein Leben ohne die Bundesliga und ‚König Fußball‘ ist zwar möglich, aber sinnlos!
Beitragsbild / Symbolbild: Design Rage / Shutterstock.com; ganz oben: HB Foto / Shutterstock.com
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