Ein Kommentar von Dario Herzog

Der AfD-Parteitag, der zwei Wochenenden dauerte, ist nun etwas über eine Woche vorbei. Tino Chrupalla, seines Zeichens Noch-Vorsitzender der AfD bemerkte gegenüber Journalisten während des Parteitages, dass man endlich geschlossen auftrete, nicht so zerstritten sei wie in den vorherigen Jahren. Man sei auf dem Weg der Stabilisierung und Konsolidierung, hieß es von Parteigranden immerzu. Und der Wähler würde das goutieren, immerhin liegt die AfD bei Umfragen bei rund 20 Prozent plus x. Alles eitler Sonnenschein bei der AfD? Mitnichten!

Das ominöse neue Netzwerk
“Etablierte Strukturen erodieren, während neue Netzwerke an Einfluss gewinnen”, berichtet etwa der Focus und schreibt weiter: “Dabei lassen die jüngsten Ereignisse auf dem Parteitag erahnen, dass sich die Machtstrukturen innerhalb der Partei erneut verändern. So formiert sich laut Medienberichten derzeit ein Netzwerk, das zunehmend strategischen Einfluss nehmen will und den bisher tonangebenden, aber eigentlich aufgelösten rechtsextremen „Flügel“ des Thüringers Björn Höcke in den Hintergrund drängt.” Dieses Netzwerk soll seine eigenen Kandidaten durchgepeitscht haben. Nichts Neues, mag man denken. Einflußgruppen sind in Parteien völlig normal. Man denke nur an den immerwährenden Kampf der “Fundis” und “Realos” bei den Grünen, den Wagenknechtianern bei der Linkspartei, den Merkelianern bei der CDU, oder den Seeheimern bei der SPD. Das Problem: Während die vorgenannten Gruppierungen in anderen Parteien für weltanschauliche Positionen stehen, ist das beim neuen Netzwerk angeblich anders. Der MDR spricht davon, dass sich “Populisten” im Rahmen eines Machtkampfes gegenüber “Ideologen” durchgesetzt hätten. Inhaltsleere also gegen Flügelleute?

Die Schönheitsfehler
Das Netzwerk soll sich bei Absprachen um Kandidaten durchgesetzt haben. Auch das dürfte in Parteien üblich sein, alle möglichen Interessengruppen möchten ihr “bestes Pferd” durchsetzen. Nun gibt es aber einen Schönheitsfehler: Etliche Kandidaten gaben beim Fragebogen, der vor jeder Wahl ausgefüllt vor den Parteitagsdelegierten eingeblendet wurde, falsche Angaben an. Offenbar war es wichtig, angeben zu müssen, ob man der englischen Sprache mächtig sei. Das konnte so ziemlich jeder Kandidat bejahen, dabei wurde keinerlei Unterschied gemacht, wie gut denn die Sprachkenntnisse wirklich sind. Aber bei der geforderten Berufstätigkeit außerhalb der Partei kam es zu teils sehr “seltsamen” Bekundungen. Marie-Thérèse Kaiser beispielsweise, gerade einmal 26 Jahre jung, behauptete, sie habe 21 Jahre Berufserfahrung. Bei 26 Lebensjahren? Auf Nachfragen sagte sie, sie sei erstmals mit vier Jahren als Model aufgetreten und arbeite seitdem in der Modelszene. Das war dann wohl deutlich zu viel des Guten, sie erreichte mit 15,8 Prozent nicht die nötige Stichwahl. Nun ist die berechtigte Frage, was ist eigentlich eine Berufserfahrung? “Der Begriff Berufserfahrung bezeichnet allgemein die Kenntnisse und Erfahrungen, die eine Person in Bezug auf eine bestimmte Tätigkeit und Arbeit dadurch erworben hat, dass sie auf dem jeweiligen Gebiet bereits über einen bestimmten Zeitraum hinweg aktiv war”, heißt es beispielsweise hier recht eindeutig.

Die AfD und die Qualität ihrer Kandidaten
Eigentlich fordert die AfD von Kandidaten auf Landes, Bundes- und Europaebene mehrere Jahre Berufserfahrung. Aber gelegentlich können Kandidaten dieses Erfordernis nicht nachweisen. Das hat die AfD bereits in der Vergangenheit hier und da einfach übergangen, was sich eine Partei im Gärungsprozeß zwar leisten kann. Aber umso größer sie wird, umso dringender ist es, gewisse Standards zu setzen. Das heißt, man sollte besonders fähige Kandidaten aufstellen, vom “besten Pferd im Stall” war ja bereits die Rede. Zur Befähigung gehört aber nicht, mit wem man sich das Bett teilt oder welcher innerparteilichen Strömungen man angehört. Hier wurde in der Vergangenheit schon viel falsch gemacht, denn solche Persönlichkeiten haben mittlerweile Posten inne, die sie schamlos ausnutzen und bei denen man den Verdacht haben könnte, sie haben sich die Partei und die Mandate lediglich zur Beute gemacht. Und dies gilt für eher konservativere Strukturen in Mitteldeutschland genauso wie in etlichen liberaleren West-Landesverbänden. Es gibt Landtagsfraktionen, in denen Abgeordnete das Sagen haben, die noch nie außerhalb der Politik einem regulären Beschäftigungsverhältnis nachgegangen sind und dazu noch Mutter, deren Lebensgefährten und auch noch die Ex-Freundin in den Parteistrukturen untergebracht haben. Dass Landesverbände so etwas dulden, spricht nicht für die verantwortlichen Vorstände. Die Presse müsste nur einmal kritisch recherchieren. Auch die alternativen Medien von rechter Seite und des politischen Vorfeldes müssten das Thema eigentlich aufgreifen, aber sind diese etwa schon selbst zu abhängig von Parteistrukturen? Oder will man nicht das kritisieren, was man ansonsten lobt? Was bleibt ist die Erregung bei der Parteibasis. In allen möglichen Runden, Gremien und Chatforen wird sich darüber ausgetauscht. Es gärt im gärigen Haufen.

Baerbockten Khan und Bausemer?
Mittlerweile sprechen in etlichen unteren Ebenen Funktionäre auch offen vom “Brain Drain”, der eingesetzt habe. Klar, Beamte, Waffenbesitzkarten-Inhaber, sonstige Honorationen etc. haben Berührungsängste und die VS-Keule im Nacken, daher tun sie sich mit Eintritten schwer. Dagegen haben einige Parteikader zwar keine formale Bildung (oder wenig), aber helfen sich mit Seilschaften auf Listen. Von den unrühmlichen “Beutegemeinschaften” spricht man gerne, neuerdings vom “Röhrbock-Netzwerk”, das nicht ideologisch getrieben sei. Und das war am Parteitag erfolgreich; es setzte zahlreiche Kandidaten durch Absprachen durch. Mit Mary Khan-Hohloch (Brandenburg) und Arno Bausemer (Sachsen-Anhalt) sind indes bereits zwei Kandidaten bekannt geworden, deren Angaben, die sie bei ihrer Kandidatur machten, regelrecht medial zerpflückt wurden. Und auch andere Kandidaten dürften ihre Angaben zur Berufserfahrung “geglättet” haben, wenn man es “nett” umschreiben möchte. Was decken Medien als nächstes auf? Denn Lügen haben bekanntlich kurze Beine… (Derweil “bohrt” die Mainsteampresse weiter, siehe hier!)

“Wir machen Wahlen nicht rückgängig wie bei Frau Merkel”
Echt jetzt? Denn das soll Alice Weidel dazu gesagt haben, als bereits am Parteitag ein Antrag auf Wiederholung des Wahlganges 14 im Raum stand (Wahl von Mary Khan). Nun ist bekannt, dass Mary Khan eine Weile bei Alice Weidel gearbeitet haben soll. Es dürfte also ein gewisses Naheverhältnis bestehen. Aber Alice Weidel ist Parteivorsitzende. Und diese sollte jedem Verdacht entgegentreten, dass die typischen Allüren der Altparteien nicht auch Besitz von der AfD ergriffen haben. Dagegen muss es eine Auswahl der Besten sein, die die Partei aufbringen kann und die sie in Parlamente entsendet. So sind etliche andere Kandidaten am vergangenen Parteitag förmlich baden gegangen, obwohl sie überaus qualifiziert sind, gute Bewerbungsreden hielten, aber nicht über eine eigene Hausmacht an Delegierten verfügten, um auch über Kandidatenplätze zu verhandeln. Das dürfte zu einem wachsenden Unmut innerhalb der Partei führen – und zu Gegenmaßnahmen und damit neuem Streit der unterliegenden “Beutegemeinschaften”.

Die seltsame Unterbrechnung der Parteitags-Übertragung
Hinzu kam noch, dass der Live-Stream des Parteitages genau dann unterbrochen wurde, als ein junger Delegierter aus Freiburg einen kritischen Antrag zur Causa Khan einbringen wollte. Auch hier soll die Parteichefin die Fäden gezogen haben, vermuten Parteitagsinsider. Das hätte man bei jeder anderen Partei erwartet, aber nicht bei der AfD. Denn zahlreiche Mitglieder verfolgten zuhause am TV den Parteitag. Was für ein Bild hat die Funktionselite der Partei dem einfachen Parteimitglied damit gezeigt? Ganz einfach: Ein Bild einer Partei, bei denen sich Beutegemeinschadften die lukrativen Posten zuschustern – ob sie qualifiziert sind oder nicht. Das steht einer Partei, die bislang für eine gewisse politische Hygiene angetreten ist, nicht gut zu Gesicht.

Das ist der Weg
Man kann nur hoffen, dass die Parteiführung nachträglich alle Kandidaten auffordert, ihre getätigten Angaben nachzuweisen, wenn sich die Parteiführung nicht der Lächerlichkeit preisgeben möchte. Das Streichen der Kandidaten, die “geflunkert” haben, wäre zwar durch die Vertrauensleute der Partei möglich, aber schwierig. Im Prinzip müssten die Wahlen dann ab dem Wahlgang des zu streichenden Kandidaten wiederholt werden. Es ist verständlich, wenn die Parteiführung das aus Termin-, Kosten- und Organisationsgründen vermeiden möchte. Möglich wäre es indes, die fraglichen Kandidaten zu verpflichten, nach der Wahl auf ihre Abgeordnetensitze zu verzichten. Aber ist das realistisch? Wenn sie ehrlich sind, ja. Wenn genug Druck aufgebaut werden würde, ja! Das könnte für Ärger sorgen, aber das ist trotzdem besser, als Hochstapler und Lügner nach Brüssel zu schicken.

Lieber auf Patrioten und nicht Paytrioten setzen
Des weiteren muss die Partei Kandidaten künftig vorab prüfen und am besten durch ein eigenes Schulungs- und Kompetenz-Center lotsen, das evaluiert, ob die Kandidaten intellektuell in der Lage sind, den Anforderungen eines Abgeordneten für das deutsche Volk zu entsprechen. Das erspart der Partei Abgeordnete, die vergessen, parlamentarisch mitzuarbeiten, die vergessen, sich Themen wirklich zu widmen, und die nur über ein rudimentäres Allgemeinwissen verfügen. Wer nun meint, dies seien ziemlich verwegene Forderungen, greife sich eine der AfD-Abgeordnetenlisten für Bund, Länder oder EU heraus und recherchiere, welcher Abgeordnete was genau gemacht hat. In jeder AfD-Fraktion auf Länder-, Bundes- und Europaebene gibt es Abgeordnete, die offensichtlich eher schlechte parlamentarische Arbeit geleistet haben. Dem muss gegengesteuert werden, wenn sich die Partei nicht dem Vorwurf der Vetternwirtschaft aussetzen möchte.

Für die Zukunft
Auch sollte die Partei ernsthaft darüber nachdenken, eine Trennung zwischen Partei und Fraktionen herbeizuführen. Ämterhäufung sollte unterbunden werden. Und auch über die Begrenzung von Mandaten kann man nachdenken. Wenn die Zeit im Parlament begrenzt ist, beispielsweise zwei Legislaturperioden, sorgt man vielleicht schon früher für eine ordentliche Berufsausbildung, die einem garantiert, auch im Falle des Mißerfolgs wieder ganz normal im bürgerlichen Leben existieren zu können. Andere Rechtsparteien, beispielsweise die FPÖ in Österreich, haben gezeigt, dass nur die Besten ihrer Parteien ein Amt verdienen – und nach Ablauf ihrer Parlamentszeit problemlos wieder in ihre alten Berufe zurückfinden können.

Beitragsbild / Symbolbild: nitpicker / Shutterstock.com; Bild ganz oben: Henryk Dietze / Shutterstock.com

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