Dieser Vergleich wurde neulich im Sonntagsgespräch des Kontrafunk gewagt.

Johnson wird dort einhellig ein garvierendes Seriositätsdefizit bescheinigt – ganz im Gegensatz zu Draghi.

Das sehe ich anders. Und zwar komplett anders.

Boris Johnson

Man täusche sich nicht. Man wird weder Londons Oberbürgermeister noch der britische Premier ohne politisches Talent. Politisches Talent heißt zunächst eine Machtbasis schaffen, diese ausbauen und verteidigen. Mit politischen Inhalten hat das alles nichts zu tun. Dafür gibt es Klausurtagungen der Partei, auf denen man als wichtiger Kopf mal kurz vorbeischaut, ein Grußwort hält und dann wieder wichtigeren Dingen nachgeht: der Machterhaltung. Dummköpfen gelingt so etwas nicht.

England hatte selten ein glücklicheres Händchen in der Auswahl ihres Führungspersonals als mit Boris Johnson. Ich vergleiche ihn, ohne jemandem zu nahe treten zu wollen, mit Harald Schmidt oder ganz entfernt mit Helge Schneider. Das sind alles Köpfe mit einem weit überdurchschnittlichen IQ. Und sie sind so intelligent zu bemerken, dass dies alles nur noch mit Hohn und Spott zu ertragen ist.

Was der Brite bei ihm bestellte und wofür er antrat, hat er geliefert: einen sauberen Schnitt mit der (nicht nur vom Briten) verhassten EU. Der Brite hasst die EU. Er wollte zwar nur mit knapper Mehrheit austreten – hassen tun sie sie aber so gut wie alle.

Das haben seine verschwurbelten Vorgänger alle nicht hinbekommen. Sei es durch eigenes Unvermögen oder absichtliche Verschleppung.

Nun zu Draghi

Ich weiß nicht, ob die intensive innere Beschäftigung mit der EU grundsätzlich zu solch sauertöpfischem Dreinblicken erzieht, oder ob es ihm angeboren ist. Wikipedia ist es sogar gelungen ein Foto von ihm zu finden, auf dem er, ganz im Mona-Lisa-Stil, wenigstens versucht ein wenig zu lächeln.

Als langjähriger Präsident der Europäischen Zentralbank ist er jedenfalls der Hauptverantwortliche für alle Sauereien, welche die EU in den letzten Jahren geldpolitisch angerichtet hat.

Zumindest die deutsche veröffentlichte Meinung hat ihn geliebt. Und so ist es wie immer, wenn sich die deutsche Presse in ausländische Präsidentschaften einmischt: man ist in den Redaktionsstuben persönlich beleidigt, dass sowohl die amerikanischen, die britischen, die ungarischen, die türkischen und nun auch die italienischen Wahlen nicht allein von den deutschen Haltungsmedien entschieden werden.

Aber nun der eigentliche Hammer: Draghi wurde vom italienischen Volk nie gewählt. Man mache sich auch nichts vor. Anders als die öffentliche Wahrnehmung Draghis als Stabilitätsanker ist seiner Regierungszeit mit 15 Monaten eine der kürzesten in der jüngeren italienischen Geschichte. Und jetzt, da es zu demokratischen Neuwahlen kommen soll, fällt den Medien dazu nur eines ein: es sei das perfekte politische Chaos.

Wenn es noch eines Beweises des merkwürdigen Demokratieverständnisses der deutschen Haltungsmedien bedurfte: dies ist er.

Wechsel von der Downing Street in den Palazzo Chigi?

Hier mein verwegener Gedanke, der aber doch so naheliegend ist, dass ich etwas enttäuscht war, dass die Mitdiskutanten von Burkhard Müller-Ullrich ihn nicht geäußert haben:

Vielleicht wäre Johnson der bessere italienische Politikvorsteher (und Draghi der bessere Britische?). Einfach tauschen und gut iss…

Ich werde Johnson jedenfalls vermissen. Draghi hingegen kann mir gestohlen bleiben.

 

mb

Photo by Mathew Browne on Unsplash

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