Zunächst: ich bin dafür.

Wer das nicht lesen mag – blättern Sie weiter. Ich akzeptiere das.

Viele Autoexperten lehnen ein Tempolimit auf Autobahnen ab. Es sind ja Autoexperten. Wieso sollten sie am eigenen Ast sägen? Sie geben sich (un)redlich Mühe, mit allen möglichen und unmöglichen Zahlenkonstrukten und Statistiken, die sie vielleicht – so wie es sich gehört – selbst gefälscht haben, die Sinnhaftigkeit eines Tempolimits in Frage zu stellen.

Das unsäglichste Beispiel sei hier verlinkt. Der Auto, Motor & Sport Chefideologe Alexander Bloch dröselt alles fein säuberlich auf – aber immer mit dem Impetus, die Angelegenheit in Frage zu stellen oder sogar abzulehnen. Dies in einem so betont sachlichen Ton, dass die vermeintliche Ergebnisoffenheit seiner Darstellung von Anfang an nicht funktioniert.

OK.

Jetzt mal die andere, völlig unideologische Sicht eines Autofahrers, der im Jahr 70.000 Kilometer zu 85% auf deutschen Autobahnen abspult.

Ich mag Autofahren, nein: ich liebe es. Es macht mir wirklich Freude. Nicht Spaß, sondern Freude. Nach einem langen Tag auf Händlerschulung im Rheinland freue ich mich auf die dann noch vierstündige Heimfahrt. Da habe ich meine Ruhe und kann mit Freunden telefonieren. Wo es geht und es erlaubt ist, fahre ich 160 km/h. Das ist mit meinem Wagen eine Geschwindigkeit, die sich mühelos und stressfrei fahren lässt. 180 geht auch noch gut, aber man muss zu oft bremsen. Irgendwie scheinen sich die Außendienstler auf 160 geeinigt zu haben. Außer von ein paar Knallköpfen in ihren Ford Mustangs und jedem erdenklichen Audi wird man kaum überholt. Weder von BMWs noch von Porsches. Nur in diesen unsäglich hässlichen SUV-Coupés à la Mercedes GLS oder BMW X6 sitzen merkwürdige Gestalten, die einen selbst über 200 noch wegdrücken müssen.

Ich bin ein ruhiger Fahrer

Gegenüber der prognostizierten Ankunftszeit des Google-Maps-Navis hole ich so auf dieser Strecke ca. 50 Minuten raus. Nach Frankfurt brauche ich 2 Stunden – ohne Stress, ohne Hektik. Ich überhole nicht rechts, ich gebe keine Lichthupe. Wenn es dann mal Zeit wird, dass der lahme Vordermann (meist Mercedes B-Klasse oder Toyota-Fahrer) zur Seite fährt, verkürze ich kurzzeitig den Abstand. Das merken die dann schon und fahren zur Seite. Und so kommt man ohne Gehupe, Vogelzeigen oder andere Unfreundlichkeiten das ganze Jahr gut durch den Verkehr. Lastwagen lasse ich auch mal überholen, wenn ich sehe, dass weiter vorn sowieso nichts geht und ich die entstehende Lücke eh gleich wieder zufahre.

Ich habe viele Videos von Sascha Fahrnünftig geschaut und kann mich seither in die Lage von LKW-Fahrern hineinversetzen. Das sind mir auch tatsächlich die liebsten Verkehrsteilnehmer. Die können fahren. Die ziehen in Baustellen kaum einen Schlenker und spulen ruhig ihre Kilometer ab. Da gibt es natürlich Ausnahmen, wie die LKWs von Ruud Hagens oder ganz schlimm, die der Freiburger Südstar. Die können sich einfach nicht benehmen. Aber das weiß man irgendwann und kann sich darauf einstellen.

Genauso wie man irgendwann merkt, dass Opel-Corsa-Fahrer grundsätzlich mit 92 km/h hinter den LKWs herzuckeln, exakt wie die meisten Tesla-Fahrer.

Gefahr im Verzug

ist bei allen Rentnerautos. Also Mercedes A- und B-Klasse, alle Toyotas und größere Citroën. Man merkt schon von weitem, dass die, ohne in den Rückspiegel zu schauen, genau „rechtzeitig“ hinter dem LKW rausziehen. Ich sehe das. Ich kann den Verkehr lesen. Mein Autohändler sagt immer: Sie müssen mehr bremsen. Nie zu bremsen ist nicht gut für das Bremsbelagbild. Meine – ACHTUNG Frevel – Ganzjahresreifen halten locker 110.000 km. Trotzdem habe ich eine Durchschnittsgeschwindigkeit über viele tausend Kilometer von 82,5 km/h. Der Verbrauch meines 2-Tonnen-Diesels liegt bei ziemlich genau 7,2 Liter auf 100 km. Das ist alles belegbar.

zwei- und dreispurige Autobahnen

Interessant ist der Unterschied zwischen zwei- und dreispurigen Autobahnen. Wenn Sie die A5 Richtung Norden fahren, öffnet sich kurz vor Offenburg die Fahrbahn auf drei Spuren. Das nützt aber noch nichts. Erst nach der Einfahrt Offenburg (2 Kilometer später) beruhigt sich der Verkehrsfluss so langsam. Natürlich auch bedingt durch die vielen Fahrzeuge, die in Offenburg ab- und auffahren. Aber vor allem, weil erst mal die vielen nervösen Drängler Ihren Druck abbauen müssen, der sich auf den letzten Kilometern aufgestaut hat, wegen irgendeinem Wohnmobilfahrer, der mit 110 stur links geblieben ist. Aber ab da läuft’s. Die Mittelspurschleicher jucken mich nicht – ich fahre immer links. Es sei denn, von hinten kommt was Schnelleres. Dann geht man halt kurz rüber.

Natürlich ist jeder Deutsche der beste Bundestrainer und der beste Autofahrer. Letzteres trifft nun mal auf mich zu – da beißt die Maus keinen Faden ab 😉.

Wer spürt es?

Wir haben noch keine Zeile über ein Tempolimit gesprochen. Ich fahre häufig die Strecke von Basel nach Freiburg. Für Ortsunkundige: Zwischen dem Grenzübergang Weil am Rhein und der Ortschaft Rheinweiler (ca. 15 km) und zwischen Freiburg Süd und Freiburg Mitte (knapp 6 km) gibt es kein Tempolimit. Die restliche Strecke (ca. 38 km) ist mit einem Tempolimit von 120 km/h belegt.

Wissen Sie, wo es am besten läuft? Auf dem Teilstück mit dem Tempolimit.

Es handelt sich durchgehend um eine zweispurige Strecke. Und nach dem Grenzübergang müssen alle Schweizer erst mal sehen, ob ihr Gaspedal noch richtig funktioniert. Das führt jedes Mal, und zwar immer, zu unglaublich gefährlichen Situationen, die einen zwingen, fast auf 80 km/h runter zu bremsen. Kaum ist man am Toilettenhäuschen von Rheinweiler vorbei (da beginnt das Tempolimit 120 km/h), ist alles ruhig und friedlich. Und das Tempo steigt sogar an. Vorher, in der freien Zone ist man froh, wenn man mal 100 fahren kann. Das ist jeden Tag so. Ich lade gern zur Mitfahrt ein.

Nach der Ausfahrt Freiburg Süd, nach der man wieder Gas geben kann, dasselbe Schauspiel. Auch wenn Sie dann weiter fahren über Freiburg Nord, Teningen, Riegel usw. wird es nicht besser. Stress pur. In Rust wollen dann alle abbiegen. Und da es logischerweise meist ortsfremde Besucher des Europaparks sind, vor allem die, die tief im Südschwarzwald wohnen und das System Autobahn und deren Gepflogenheiten nur aus dem Fernsehen kennen, kommt es zwischen Herbolzheim und Rust immer zu wahnsinnig gefährlichen Situationen und auch schweren Unfällen. Und eigentlich sollte es doch ein schöner Tag werden…

Δ v – der Geschwindigkeitsunterschied

Das ist das Hauptproblem. Es wird mit zu großen Geschwindigkeitsunterschieden gefahren. Das macht alles so gefährlich. Und deshalb ist Autofahren in den USA auch so entspannt. Da fahren sogar die LKWs das PKW-Tempo.

Bei den momentanen Gepflogenheiten auf deutschen Autobahnen muss viel zu viel gebremst werden. Dabei wird wertvolle Antriebsenergie vernichtet.

Rücksicht auf die “schlechteren” Autofahrer/innen

Wir müssen eines lernen. Das gilt für alle gesellschaftlichen Bereiche. Es gibt gute Autofahrer und weniger geübte Autofahrer/innen. Alle haben (so hofft man) eine Fahrerlaubnis. Dann muss man auch akzeptieren, dass es schwächere Glieder der Kette gibt und auf diese Rücksicht nehmen. Mir wäre eine Tempovorschrift (nicht Limit) von 160 auch lieber – aber das geht einfach nicht. Daher bin ich für ein Tempolimit nach Schweizer Vorbild – innerorts sogar ein wenig verschärft.

120 / 80 / 40 km/h

Und zwar überall, durchgehend und am besten alle 400 Meter strengstens überwacht. 130 funktioniert nicht. Das ist für viele bereits zu schnell und sie fahren dann lieber 110. Schon wieder Geschwindigkeitsunterschied. 120 (und drei vier km/h mehr) schafft jeder. Und wenn alle dasselbe Tempo fahren, was über die Abstandsregeltempomaten bald eh flächendeckend funktioniert, können sich alle entspannen.

Ich weiß, dass mich viele dafür hassen werden. Aber es wird viel zu wenig kontrolliert. Ich bekomme bei 70.000 km im Jahr vielleicht ein oder zwei Knöllchen.

Innerorts sind wir Freiburger ja mit den fast überall geltenden 30 km/h viel gewohnt. Fährt man dann mal durch ein Dorf, in dem man noch 50 km/h fahren darf, muss man eigentlich zugeben, dass das zu schnell ist. Plötzlich auftretende Gefahrensituationen können mit diesem Tempo nicht von jedem beherrscht werden. 30 km/h müssen es ja nicht sein und sind allein aus Umweltsicht eine Katastrophe, da der Wagen in diesem Tempobereich einen viel zu hohen Verbrauch hat.

Tja und Außerorts ist man ja froh, wenn man 70 fahren kann – bei all den LKWs.

Mir geht es in dieser Betrachtung überhaupt nicht um Umweltthemen. Das kauen andere ja schon bis zum Erbrechen durch. Aber durchaus um die Sicherheitsfrage.

die Autoindustrie

Und um die Autoindustrie. Wenn nirgends mehr schneller als 120 km/h gefahren werden darf, und dies auch mit drakonischen Strafen belegt ist, können Autos ganz anders gebaut werden. Allein die Bremsanlage kann in Ihrer Dimension um 50% reduziert werden. Ganz zu schweigen vom Antrieb, den Fahrwerkskomponenten und den Reifen. Dann könnte man wieder massenweise Neuwagen aus deutscher Produktion für 12 – 18.000 Euro anbieten, die dann auch gekauft würden. Heute muss man sich über unseriöse Leasingangebote irgendein 60.000 Euro-Auto leasen und kann keinen Besitz mehr daran erwerben – weil es schlicht zu teuer ist.

Und nein, das schränkt nicht die Ingenieurskunst der Autohersteller ein. Ganz im Gegenteil. Die große Kunst ist es für einen Entwickler doch, unter klaren Zielvorgaben ein passendes Produkt zu kreieren. Und dass ein Hummer H2 oder ein Mercedes G-Klasse nicht nur nicht in die Zeit passen, sondern auch schlicht schlechte Autos sind, steht für mich außer Zweifel. In jedem Golf haben Sie mehr Platz als in einer G-Klasse.

Ich erwarte keine Zustimmung. Das ist mir schon klar. Aber in der heutigen Zeit muss auch mal Platz für ein vernünftiges Argument sein.

mb

Photo by Markus Winkler, Charles Postiaux and Denny Müller on Unsplash

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