Von Achim Baumann

Es ist der mitgliederstärkste Landesverband: Die AfD-Nordrhein-Westfalen müsste in der bundesweiten Wahrnehmung – innerhalb, aber auch außerhalb der Partei – eine gewichtige Rolle spielen, immerhin ist NRW auch das einwohnerreichste Bundesland. Wer allerdings die Internetseite des Landesverbandes öffnet, findet zu aktuellen Themen eine gähnende Leere vor. Dabei befinden sich alle anderen Parteien schon längst im Wahlkampf-Modus, die Reden im Bundestag, in den Talkshows, in den sozialen Medien, zeigen das sehr deutlich. Und nach dem Anschlag auf dem Weihnachtsmarkt in Magdeburg sollte es ein Leichtes sein, den Bundesbürgern nochmals deutlich machen zu können, warum ein schleichender Bevölkerungsaustausch mit kulturfremden Asylforderern eben keine Bereicherung darstellt. Aber warum ist der NRW-Landesverband so schweigsam? Liegt es am Streit innerhalb des Verbandes?

Umfragen mittelmäßig
Wäre jetzt erneut die Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen, käme die AfD landesweit nur auf etwa 13 Prozent, so aktuelle Umfragen. Das ist zum bundesweiten Trend von 18,8 Prozent rund ein Drittel weniger. Dabei dürfte der Bürger auch gerade in NRW über die Zustände und auch die herrschende schwarz-grüne Landesregierung unter Hendrik Wüst nicht übermäßig erfreut sein. Ein Grund, um überall und jederzeit Wahlkampf zu machen, oder? Und der Landesverband dürfte auch über ausreichend finanzielle Ressourcen verfügen, um zumindest eine Wahlkampf-Taskforce aufzustellen und die Medien der Mainstreampresse, aber auch auf allen alternativen sozialen Medien die Kanäle permanent zu bespielen. Macht er aber nicht. Das ist schon eine Form der Arbeitsverweigerung und peinlich für die Verantwortlichen. Man pflegt noch nicht einmal die Internetseite des Landesverbandes ordentlich, so zeigt die Seite beispielsweise derzeit (Stand 22.12. um 12 Uhr) unter dem Menüpunkt „Veranstaltungen“ sage und schreibe genau die Zahl „0“. Das machen die politischen Mitbewerber in NRW weitaus besser, dabei haftet der AfD durch Aktivitäten anderer Verbände doch eigentlich der explizite Ruf an, besonders im Netz sehr aktiv zu sein. Aber beispielsweise verbreitet der X-Account der AfD-NRW zumeist Mitteilungen anderer AfD-Strukturen, was nicht gerade professionell wirkt, kaum Eigenleistung zeigt. Wenigstens der Landesvorsitzende Dr. Martin Vincentz hat X schon entdeckt, die Frequenz der Beiträge kommt aber nicht annähernd an die des ebenfalls aus Nordrhein-Westfalen stammenden Bundestagsabgeordneten Matthias Helferich heran – seines innerparteilichen Rivalen. Wir hätten natürlich gerne gewusst, ob es seitens der Landes-AfD überhaupt irgendwelche Wahlkampf-Aktivitäten gibt, aber die AfD-Landesgeschäftsstelle hat die Presseanfrage des Freiburger Standards nicht beantwortet.

Verfassungstreu nur fallweise?
In Artikel 21 Grundgesetz heißt es:

„Die Parteien wirken bei der politischen Willensbildung des Volkes mit. Ihre Gründung ist frei. Ihre innere Ordnung muss demokratischen Grundsätzen entsprechen. Sie müssen über die Herkunft und Verwendung ihrer Mittel sowie über ihr Vermögen öffentlich Rechenschaft geben.“

Der dritte Satz könnte für den Verfassungsschutz besonders relevant sein. Sollte sich die Behörde das Vorgehen des Landesvorstandes in den vergangenen Monaten genauer anschauen, könnte sie zu der Auffassung gelangen, dass man dem Landesverband NRW, konkret seinem Landesvorsitzenden und Gefolge, durchaus eine undemokratische Vorgehensweise attestieren kann. Was gelegentlich gegenüber Parteimitgliedern anderer Landesverbände unter den eher milden Bezeichnungen „Parteigeplänkel“ und „typisch deutsche Vereinsmeierei“ subsumiert wird, könnte der gesamten AfD in gewissen Prüf- und sogar späteren Verbotsverfahren durchaus das Genick brechen, zumindest nachhaltig schaden. Wenn den Behörden der Nachweis gelingt, dass innerhalb der AfD Streitigkeiten wilkürlich und nicht gemäß den geforderten demokratischen Grundsätzen geregelt werden, ist das Geschrei auch in Berlin usw. groß. Warnungen indes gab es viele. Immerhin scheinen Parteiordnungsmaßnahmen ein beliebtes Instrumentarium zu sein, um die Basis zu disziplinieren (wir berichteten). Das findet auch der für seine Sachlichkeit bekannte Dr. Helmut Waniczek, seines Zeichens Kreissprecher in Bergisch Gladbach, der in seinem aktuellen Video angenehm unaufgeregt nüchtern die Kritik am Landesvorstand um Vincentz bekräftigt.

Zwei Telegram-Kanäle mit Zwist-Faktor
So kann man trotz des Mangels an Wahlkampfaktivitäten nicht davon sprechen, dass es in Nordrhein-Westfalen keinerlei Aktivitäten der verschiedenen Funktionäre, Abgeordneten und nachgeordneten Verbände gibt. Das Engagement ist groß – nur leider innerparteilich. Insbesondere zwei Telegram-Kanäle ringen miteinander um die parteininternen Standpunkte: Der zwar eindeutig Partei ergreifende, aber sich in deutlichen Beschimpfungen zurücknehmende Kanal „Zur Lage 🔔 Rundbrief“ informiert schonungslos, aber detailiert über das Vorgehen des Landesvorstandes gegen Kritiker der Gruppe Vincentz und Co. Wenn allerdings das, was der Kanal regelmäßig behauptet, alles wahr ist, dürfte der Nachweis, dass die innere Ordnung des jetzigen Landesverbandes der AfD-NRW alles andere als demokratisch ist, einfach zu führen sein. Natürlich gibt es auch den Gegenkanal „AfD NRW Basiskanal“. Dieser gibt gleich vor, für die gesamte Basis zu sprechen, arbeitet aber mit dem, was man unter „Hass & Hetze“  verstehen könnte, mit zahlreichen sehr persönlichen Anwürfen. Der Kanal wird dem direkten Umfeld eines Abgeordneten zugerechnet.

Man kann es nicht anders als Wilkür nennen
Höhepunkt der innerparteilichen Diskussion der vergangenen Wochen war das Handeln des Landesvorstandes, der die auf Versammlungen ihrer Kreisverbände gewählten Direktkandidaten Roger Beckamp (Rhein-Sieg-Kreis) und Matthias Helferich (Dortmund) nicht aufstellen möchte und die als Formalie nötige Unterschrift für einen Wahlantritt verweigerte. Da aber der Landesvorstand gemäß Wahlordnung nur einmal intervenieren darf, wurden bereits zwei weitere Versammlungen einberufen, zum Zweck, die beiden als Kritiker des Landesvorstandes bekannten Bundestagsabgeordneten erneut zu Direktkandidaten ihrer Kreise zu wählen. In Dortmund fand diese erneute Versammlung bereits statt, Matthias Helferich wurde erwartungsgemäß gewählt, im Rhein-Sieg-Kreis erfolgt sie nach Weihnachten. Begründet wird die strikte Haltung des Landesvorstandes mit dem Vorgehen der beiden Abgeordneten, die in den sozialen Medien Stellung zu den Beschuldigungen nehmen. Auffällig ist die Kritik am medialen Auftritt der beiden, während der favorisierte Spitzenkandidat der Vincentz-Fraktion Kay Gottschalk ebenfalls die sozialen Medien nutzt, um Parteininternes zu bewerten.

Die Auffälligkeiten
Es gibt keine Alternative zur Alternative! Derzeit hat lediglich die AfD parteipolitisch die Möglichkeit, die politische Schieflage in der Republik zu korrigieren. Dafür benötigt die AfD aber auch Personal, das Vertrauen vermittelt, dem man abnimmt, für das Wohl des Volkes zu streiten. Das ist derzeit nicht bei jedem Funktionär der Fall. Auffällig sind nämlich bestimmte Personalien, die den aktuellen und wahlkämpferisch untätigen Landesvorstand prägen: Da gibt es Dr. Martin Vincentz, der regelmäßig meint, man könne in absehbarer Zeit eine Regierungskoalition eingehen. Oder zwei Landesvorständler, die kommunalpolitische Ämter innehaben oder innehatten, die kommunalpolitisch aber nicht in Erscheinung traten, dies sind Prof. Dr. Hans Neuhoff (wir berichteten) und Kay Gottschalk, der von der Mainstreampresse sogar die Bezeichnung Das Kreistags-Phantom“  erhielt. Und in der Tat, es ist schon eine Leistung, kein einziges Mal an einer Kreistagssitzung teilzunehmen, obwohl man dafür gewählt wurde, sofern die Vorwürfe stimmen. Das passt nicht zu einem Spitzenkandidaten. Aber auch der Umgang mit dem Fall Klaus Esser, der mutmaßlich ein Zeugnis- und Lebenslauffälscher ist, lässt aufhorchen. Gegen Klaus Esser laufen nach Informationen aus Parteikreisen nach wie vor mehrere Anzeigen, wegen einer großen Zahl von Sachverhalten. Das Festhalten der Landtagsfraktion und des Landesvorstandes an der Person Esser scheint folglich kaum nachvollziehbar. Gerade für eine Partei, die sich die politische Hygiene und Rechtsstaatlichkeit auf die Fahnen schreibt, macht sich der Landesverband NRW durch seine aktuellen Führungspersönlichkeiten sehr angreifbar – und im schlimmsten Fall nicht wählbar.

Showdown Bundestagsaufstellungsversammlung
So läuft alles auf einen finalen Streit auf der Bundestagsaufstellungsversammlung in Marl vom 2. bis 6. Januar hinaus. Ein Eventzentrum in Marl-Sinsen wird Schauplatz der Kandidatenkür für die Bundestagswahl sein. Politische Beobachter gehen davon aus, dass die Ergebnisse knapp sein werden und es auf diejenigen ankommt, die keinem der beiden rivalisierenden Lager angehören. Die kommenden beiden Wochen werden vermutlich spannend: Auf der einen Seite ein Landesvorstand, der durch die Parteistruktur über zahlreiche hauptamtliche Funktionsträger verfügt und der oftmals am längeren Hebel sitzt, sich deshalb aber dem Verdacht der Wilkür aussetzt, wenn er eigene Anhänger schützt, aber rigoros gegen andere Parteimitglieder der Basis vorgeht. Auf der anderen Seite u.a. zwei Rechtsanwälte, Beckamp und Helferich, die auch im Zivilberuf bestehen könnten, was sie unabhängig macht. Dazu eine Basis, die immer mehr aufbegehrt, beispielsweise über die Causa Klaus Esser. Wie sich künftig der stärkste Landesverband entwickeln wird, wird auch Implikationen auf die Gesamtpartei haben, immerhin stellt der Landesverband NRW in der Bundestagsfraktion die zahlenmäßig stärkste Landesgruppe. Wird es also künftig im Bundestag Abgeordnete aus NRW geben, die Klartext reden oder eher Bundestagsabgeordnete, die sich am zurückhaltenden Wahlkampf des amtierenden Landesvorstandes orientieren und damit eher „leise“ auftreten? Am Abend der Heiligen Drei Könige wird man mehr wissen…

Beitragsbild / Symbolbild: Andrii Yalanskyi / Shutterstock.com; Bild oben: Screenshot AfD-Internetseite; Bild darunter: Freer / Shutterstock.com; Bild unten: Kim-Kuperkova / Shutterstock.com

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