Von Dario Herzog

Mit der am gestrigen Mittwoch bekannt gewordenen Entscheidung, die Strompreise lediglich für industrielle Großverbraucher zu senken, nicht jedoch für private Haushalte oder Handwerksbetriebe, hat die innenpolitisch angeschlagene Merz-Regierung ein weiteres zentrales Wahlversprechen gebrochen. Noch im Wahlkampf war vollmundig angekündigt worden, dass „Energie bezahlbar für alle“ werden müsse. Was nun – wieder einmal – geliefert wird, ist das glatte Gegenteil: Eine einseitige Entlastung für große Unternehmen der Industrie – während Millionen Bürger und der Mittelstand, vor allem Handwerksbetriebe, mit weiterhin hohen Stromrechnungen kämpfen müssen. So wird das mit einer Belebung der Binnenkaufkraft und auch generell des Wirtschaftsstandorts Deutschland nix! Die Liste der gebrochenen Wahlversprechen wird indes länger und länger!

Wahlkampf versus Wahrheit
Schon im Wahlkampf hatte Friedrich Merz versprochen, mit seiner Regierung „eine Politik für die Mitte“ machen zu wollen. Steuerentlastungen für kleine und mittlere Einkommen, ein konsequenter Bürokratieabbau und der Erhalt des sozialen Zusammenhalts wurden angekündigt – und eine Migrationswende bereits vom ersten Tag an. Geblieben ist davon wenig bis überhaupt nichts – außer politische Rhetorik à la „Die Sachzwänge der Koalition lassen uns nicht alles umsetzen“.

Die gebrochenen Wahlversprechen (Auswahl)
Strompreis-Versprechen gebrochen: Die Abschaffung der EEG-Umlage sollte vollständig bei den Verbrauchern ankommen. Stattdessen wurde sie von den Energieversorgern und Netzentgelten aufgefressen. Die nun angekündigte gezielte Entlastung für die Industrie – ohne einen Cent Erleichterung für normale Haushalte – ist der Offenbarungseid dieser Energiepolitik.
Steuerpolitik für wen? Versprochen waren Steuererleichterungen für „Leistungsträger der Mitte“. Umgesetzt wurden jedoch vor allem Maßnahmen, die Besserverdienende und große Unternehmen begünstigen – wir sprachen von der Blackrock-Fratze, die sich zeigt. Die angekündigte Anhebung des Grundfreibetrags wurde auf unbestimmte Zeit verschoben, während gleichzeitig Kapitalerträge weiter privilegiert bleiben.
Sozialpolitik: Die angekündigte Reform des Bürgergeldes, die „Anreize statt Misstrauen“ schaffen sollte, mündete bislang in gar nichts. Wie Millionen deutsche Arbeitslose wieder in den Arbeitsalltag integriert werden, dazu motiviert werden sollen, zu arbeiten, ist nach wie vor ein blinder Fleck beim Regierungshandeln. Sanktionen wurden zwar verschärft, ohne gleichzeitig echte Integrationsangebote zu schaffen. Die Lebensrealität von „echten“ deutschen Menschen in prekären Verhältnissen bleibt ebenso ein blinder Fleck des Merz-Kabinetts.
Wohnen bleibt teuer: Die versprochene „Wohnbau-Offensive“ ist bisher kaum mehr als ein Schlagwort. Von den versprochenen 400.000 neuen Wohnungen jährlich ist man meilenweit entfernt. Bauprojekte werden gestrichen, Förderungen gekürzt – und die Mieten steigen weiter.
Klimapolitik für die Industrie: Während der Emissionshandel ausgedehnt wird, kehrt man nicht zu bewährten Energieresourcen zurück, beispielsweise ist nichts mehr von Kernkraft zu hören, während die Regierung nach wie vor auf Wasserstoff-Phantasien für die Großindustrie setzt, die aber immer weniger begeistert ist von utopisch zu verwirklichenden Wasserstoff-Projekten (wie beispielsweise ArcelorMittal Europe, das diese Tage den Stopp seiner Wasserstoff-basierten Stahlprojekte in Bremen und Eisenhüttenstadt bekannt gab. Das Unternehmen begründet die Entscheidung mit fehlender Wirtschaftlichkeit und mangelnder Verfügbarkeit von grünem Wasserstoff. Die Bundesregierung hatte im vergangenen Jahr 1,3 Milliarden Euro Fördermittel für die Vorhaben zugesagt – mit anderen Worten: Eine Pleite für den Staat!).
Migrationswende: Die großmäulig verkündete „Migrationswende“ ist in der Praxis deutlich abgeschwächt worden – vielfach verhandelt, von Partnern wie der SPD und ihr nahestehenden NGOs gebremst. Kaum ein Projekt von Merz ist derartig krachend gescheitert – und dass, obwohl das verantwortliche Amt in den Händen eines CSU-Innenministers liegt. Der ursprünglich verkündete Fünf-Punkte-Katalog ist damit krachend gescheitert.

Verratene Unionswähler völlig blind?
Die öffentliche Stimmung ist entsprechend: Vertrauen in die Politik sinkt, das Gefühl politischer Entfremdung wächst. Die Angst, das Falsche zu sagen, wächst ebenfalls. Die Bilanz der Merz-Regierung nach drei Monaten Amtszeit ist somit nicht nur ernüchternd – sie ist ein Abbild einer Politik, die sich von den Lebensrealitäten weiter Teile der Bevölkerung weiter entfernt hat. Statt „mehr Gerechtigkeit“ für den einfachen und arbeitenden Bürger erleben die Menschen eine Regierung, die einseitig Interessen bedient, ohne langfristige Strategien für das echte deutsche Gemeinwohl zu entwickeln. Während Konzerne jubeln und Lobbyverbände loben, bleibt für viele steuerzahlende Bürger vor allem eines: Das Gefühl, erneut vergessen worden zu sein. Dennoch muss die Nibelungentreue zur CDU und CSU stark verwundern. In Umfragen liegt die Union immer noch – und trotz zahlreicher gebrochener Wahlversprechen – bei rund 26 bis 28 Prozent. Sind deren Wähler blind? Oder sind sie lediglich bereit, das für sie kleinere Übel zu wählen, weil sie wegen der Hetze gegen die AfD Angst haben, rechts zu wählen? Man kann nur hoffen, dass der deutsche Michel bei den nächsten Urnengängen endlich wieder aufwacht!

Beitragsbild / Symbolbild und Bild oben: Pusteflower9024; Bild darunter: Mo-Photography-Berlin / beide Shutterstock.com

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