Von Dario Herzog
Was ist eigentlich in Belgien los? Das Land, das im Westen der Republik angrenzt, taucht in unserer Berichterstattung so gut wie gar nicht auf. Dass in den Niederlanden, Ungarn oder Italien rechte Politiker regieren, ist dagegen hinlänglich bekannt. Aber auch in Belgien? Gut, Belgien ist nicht besonders groß, aber im flämischen Teil recht wirtschaftsstark, insbesondere mit dem Hafen Antwerpen. Mit der Ernennung von Bert De Wever zum Regierungschef hat Belgien einen markanten politischen Richtungswechsel eingeschlagen. Der langjährige Vorsitzende der Nieuw-Vlaamse Alliantie (N-VA) steht wie kaum ein anderer Politiker für eine Politik, die auf Eigenverantwortung, wirtschaftliche Stärke und kulturelle Selbstbestimmung setzt – insbesondere für das flämische Belgien. Unter seiner Führung tritt Flandern nicht nur selbstbewusster auf, sondern definiert sich zunehmend als dynamische, moderne und zukunftsorientierte Region innerhalb Europas. Nichts darüber gehört? Dabei wurde Bart De Wever bereits am 3. Februar zum Premierminister von Belgien ernannt und vereidigt. Er ist der erste flämische Nationalist, der dieses Amt innehat. Wobei seine N-VA zwar rechts zu verorten ist, aber nicht so konsequent positioniert ist wie die rechtere Partei Vlaams Belang.
Ein flämischer Aufbruch?
Flandern präsentiert sich heute als wirtschaftlicher Motor Belgiens. Die Region steht für hohe Produktivität, Innovationskraft und ein unternehmerfreundliches Klima. In Bereichen wie Bildung, Digitalisierung und erneuerbare Energien nimmt Flandern eine Vorreiterrolle ein. Damit einher geht die Beanspruchung von mehr Autonomie für Flandern, mehr Entscheidungsfreiheit für die Regionen. Dass man dem wallonischen, also frankophilen Teil des Landes entfremdet ist, ist auch keine exklusive Meinung der politischen Rechten in Flandern, sondern vieler Bürger auch anderer Parteien. Der homosexuelle Bert De Wever, ein moderner Typus Regierungschef, setzt daher auf differenzierte regionale Zuständigkeiten und eine klare Aufgabenteilung zwischen den Landesteilen. Der Fokus liegt auf Effizienz, Transparenz und bürgernaher Verwaltung – insbesondere in den flämischen Gebieten.
Ein möglicher Bruch als Chance
Was für viele Beobachter lange Zeit als Krisenszenario galt – ein tiefer werdender Graben zwischen Flamen und Wallonen – wird unter De Wevers Führung zunehmend als Möglichkeit zur Erneuerung verstanden – eine geschickte positive Formulierung! Der Diskurs über eine mögliche staatliche Neuordnung, bis hin zu einer friedlichen Trennung in zwei eigenständige Nationen, hat somit auch bei den politischen Eliten langsam an Fahrt aufgenommen. Was früher als absolutes Tabu galt, wird heute offen diskutiert. Ein Bruch zwischen Flandern und Wallonien könnte – so die Überzeugung sogar zahlreicher flämischer Intellektueller und Ökonomen, nicht nur aus rechter Sicht, – zu effizienteren Strukturen, klareren politischen Zuständigkeiten und einer stärkeren internationalen Position führen. Und das gegen den Willen der EU, die natürlich dem Konstrukt „Belgien“ die Treue hält. Aber, so die Ökonomen: Statt Blockadepolitik gäbe es Raum für regional zugeschnittene Lösungen und ein neues demokratisches Gleichgewicht – sowohl im Norden als auch im Süden des Landes.
Kritik am Cordon sanitaire
Ein besonders umstrittenes Kapitel in der belgischen Innenpolitik bleibt der sogenannte Cordon sanitaire, der seit Jahrzehnten eine politische Zusammenarbeit mit der weiter rechts stehenden Partei Vlaams Belang verhindert. Was hierzulande als Brandmauer bezeichnet wird, ist in Belgien der Cordon sanitaire. Das Prinzip ist das gleiche: Völlige gesellschaftliche Ausgrenzung durch die anderen Parteien. Ursprünglich als Maßnahme gegen angeblichen Extremismus gedacht, hat sich dieser Ausschlussmechanismus – wie bei uns in der Bundesrepublik – zunehmend als demokratietheoretisches Problem entpuppt. Der pauschale Ausschluss einer Partei, die in bestimmten flämischen Regionen regelmäßig starke und sogar stärkste Wahlergebnisse erzielt, steht im Widerspruch zu grundlegenden Prinzipien der repräsentativen Demokratie. Hier wie dort kann man auf Dauer die stetig stärker werdende rechte politische Alternative nicht ausgrenzen. Und gemäß einer aktuellen Umfrage des belgischen Marktforschungsinstituts Ipsos vom Mai 2024 liegt die Partzei Vlaams Belang immerhin bei 27,4 Prozent und ist damit die stärkste politische Kraft in Flandern. Die Neue Flämische Allianz von Bart de Wever folgt mit 20,4 Prozent. Beide könnten die Mehrheit stellen – wenn der Cordon sanitaire kippen würde. Ähnlich einer möglichen Koalition von Union und AfD, die zumindest rechnerisch die Regierungsmehrheit hätte.
Wie geht es in Belgien weiter?
Unter De Wever wird die Ausgrenzung des Vlaams Belang zunehmend kritisch gesehen. So gesehen fungiert de Wever als politischer Wellenbrecher. Nicht aus ideologischer Nähe, sondern aus einem demokratischen Grundverständnis heraus: Politische Kräfte, die innerhalb des rechtlichen Rahmens agieren und breite Wählerschichten repräsentieren, dürfen nicht dauerhaft aus der politischen Verantwortung ausgeschlossen werden. Eine offene Auseinandersetzung mit politischen Positionen ist gesünder für das demokratische Klima als deren systematische Ausgrenzung. So zumindest die Theorie!
Ein echtes europäisches und Anti-EU-Modell?
Das flämische Modell unter Bert De Wever könnte mittelfristig auch über Belgien hinaus Aufmerksamkeit erregen. Es verbindet wirtschaftliche Vernunft mit kultureller Identität, Eigenständigkeit mit europäischer Offenheit. Die belgische Regierung unter seiner Führung steht für eine Politik der Dezentralisierung, die neue Spielräume schafft – für mehr Eigenverantwortung, mehr Bürgernähe und mehr Effizienz. Eben das, was die politische Rechte europaweit von der abgehobenen Welt der Superdemokraten christdemokratischer, grüner oder sozialdemokratischer Färbung unterscheidet. So könnte aus einem scheinbaren Spaltpilz der belgischen Nation eine zukunftsfähige Reformbewegung erwachsen – getragen von einem starken Flandern und einer Regierung, die bereit ist, tradierte Strukturen mutig zu hinterfragen. Ob die EU und deren Eliten das aber zulassen? Wir dürfen gespannt bleiben…
Beitragsbild / Symbolbild und Bild oben: Alexprint / Shutterstock.com
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