Von Gerhard Mahlberg
Dass sich juristische Gegenwehr lohnt, zeigt abermals ein Urteil vom Hessischen Verwaltungsgerichtshof (VGH). Ursprünglich wurde einem Mann von der Stadt Frankfurt untersagt, während einer Kundgebung mit dem Motto „From the river to the sea – Palestine will be free! Für ein freies Palästina für ALLE Menschen!“ eben diese Parole zu verwenden. Die Parole war in den vergangenen Monaten von verschiedenen Staatsanwaltschaften und einem Amtsgericht als strafbar bewertet worden. Das Verwaltungsgericht Frankfurt am Main hingegen gab dem Antrag auf Eilrechtsschutz gegen diese Auflage statt. Wie das Verwaltungsgericht richtig erkannte, ist die Frage der Strafbarkeit dieser Parole noch nicht abschließend geklärt. „Das Gericht sei sich zwar bewusst, dass die Parole von der Hamas genutzt werde. Allerdings habe sich der Antragsteller ausdrücklich für ‚ein freies und friedliches Palästina für alle Menschen mit gleichen Rechten, egal welcher Religion oder Herkunft‘ ausgesprochen und sich damit von den Zielen der Hamas distanziert“, so das Verwaltungsgericht in seiner Pressemitteilung.
Ein freies Palästina ist auch friedlich möglich
Die Stadt Frankfurt, die sich sonst immer betont multikulturell gibt, sah das wohl trotzdem weiterhin anders und wendete sich mit einer Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof. Doch auch jener gab dem Antragsteller recht. Wie er in einer Mitteilung schrieb, berücksichtigte er zwar, dass mit der Parole „der Wunsch nach einem freien Palästina vom (Jordan) Fluss bis zum Mittelmeer – einschließlich des Gebiets Israels in seinen heutigen Grenzen – ausgedrückt werde.“ Jedoch „sage (die Parole) aber nichts darüber aus, wie dieses – politisch hoch umstrittene – Ziel erreicht werden solle.“ Doch das Ziel eines freien Palästinas lässt sich auf verschiedenen Wegen und durch verschiedene Mittel erreichen, wie explizit auch mit einer Zwei-Staaten-Lösung oder einem einheitlichen Staat mit gleichen Bürgerrechten für Israelis und Palästinenser. Dass dies auch durch einen bewaffneten Kampf erreicht werden könnte, kann dahinstehen, denn „konkrete Anhaltspunkte dafür, dass die Verwendung des Slogans durch den Antragsteller zwingend als Aufruf zu Gewalt und Terror gegen Israel zu verstehen sei, habe die Stadt Frankfurt am Main nicht vorgetragen und seien für das Gericht auch nicht ersichtlich.“ Konsequenterweise wurde auch eine Untersagung des Antragstellers, an der Veranstaltung selbst teilzunehmen, gerichtlich aufgehoben.
…trotzdem sieht der VGH Mannheim das anders
Ein geplanter pro-palästinensischer Protest unter dem gleichen Motto – „From the River to the Sea – Palestine will be free! Für ein freies Palästina für ALLE Menschen“ – durfte dagegen nicht in Baden-Württemberg stattfinden, wie der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg entschieden hatte. Die Stadt Freiburg hatte die Kundgebung mit der Auflage versehen, dass die Parole weder in Wort noch Schrift auf Deutsch oder in anderen Sprachen verwendet werden dürfe. Diese Entscheidung wurde vom VGH unterstützt, da die Stadt argumentierte, dass der Slogan als Kennzeichen der Hamas strafbar sei. Das Verwaltungsgericht (VG) Freiburg hatte zunächst wenige Stunden zuvor die Verwendung der Parole in einem Eilverfahren zugelassen (Beschluss vom 03.04.2024, Az. 4 K 228/24). Das VG erklärte, dass es zweifelhaft sei, ob der Slogan „From the River to the Sea“ tatsächlich ein Kennzeichen der Hamas sei und ob seine Verwendung auf Versammlungen strafbar sei. Das VG betonte jedoch, dass die grundrechtlich geschützte Versammlungsfreiheit und das Interesse an der Verwendung des Slogans Vorrang hätten.
Frieden und Freiheit für alle Menschen?
Das VG stellte fest, dass es keine konkreten Hinweise darauf gab, dass die Versammlung die Hamas unterstützen solle. Im Gegenteil, der Veranstalter betonte, dass Frieden und Freiheit für alle Menschen zwischen Mittelmeer und Jordan das Ziel der Kundgebung seien, was nicht mit der Ideologie der Hamas vereinbar sei. Die Entscheidung des VG Freiburg orientiert sich damit an den selben Argumenten wie der VGH Frankfurt. Der VGH in Mannheim hob diese Entscheidung jedoch auf und erklärte, dass der Slogan nicht verwendet werden dürfe. Eine Sprecherin der Stadt erklärte, dass der Zweck der Versammlung auch ohne die Verwendung dieses möglicherweise strafbaren Slogans erreicht werden könne. Damit setzte man sich in Widerspruch zu den Kollegen in Frankfurt.
Auswirkungen auch das Strafrecht?
Ob die Verwendung der Parole als Kennzeichen der Hamas strafbar ist, wurde kontrovers diskutiert, insbesondere nachdem das Bundesinnenministerium (BMI) im vergangenen November den Verein verboten hatte. Die Verbotsverfügung erstreckte sich nicht nur auf den Verein, sondern auch auf den Slogan „From the River to the Sea“. Es besteht Uneinigkeit darüber, ob die Zuordnung der Parole zur Hamas durch das BMI korrekt ist. Einige argumentieren, dass der Satz mittlerweile in der Hamas-Satzung zu finden ist, während andere darauf hinweisen, dass die Parole erstmals von Palästinensern in den 60er Jahren verwendet wurde und erst später von der Hamas übernommen wurde. Varianten des Slogans werden von verschiedenen palästinensischen und israelischen Gruppen verwendet, einschließlich der Gründungscharta von Benjamin Netanjahus Likud-Partei im Jahr 1977.
Alle Gerichte stellten klar, dass sie als Verwaltungsgerichte im Eilverfahren keine abschließende Bewertung über die Strafbarkeit der Parole vornehmen können. Alle halten eine Strafbarkeit für möglich, zeigten sich jedoch unterschiedlich überzeugt. Während das VG Frankfurt und Freiburg sowie der hessische VGH die Strafbarkeit der Parole in Zweifel ziehen, zeigt sich der baden-württembergische VGH vorsichtiger. Er gewichtete das Risiko höher, dass die Parole als Kennzeichen der Hamas und damit strafbar sein könnte, als die Grundrechtseinschränkungen, die die Veranstalter der Demonstration hinnehmen müssen. Damit fiel seine Entscheidung anders aus, als in Frankfurt.
Ein vollständiges Verbot der Parole „nicht gerechtfertigt“
Zwar sind die Staatsanwaltschaften und Amtsgerichte nicht an die verwaltungsgerichtliche Einschätzung gebunden, dennoch dürften die juristischen Argumente der beiden Verwaltungsgerichtshöfe auch dort zur Kenntnis genommen werden. So argumentiert der VGH in Frankfurt beispielsweise, dass das Vereinsverbot der Hamas nur dann die Parole umfasst, wenn sie im Kontext mit der verbotenen Vereinigung erfolgt.
„Ein vollständiges präventives Verbot der Äußerung der Parole rechtfertige das Vereinsverbot jedenfalls nicht“,
erklärt er in seiner Pressemitteilung. Auch aus strafrechtlichen Normen ergibt sich eine Strafbarkeit der Parole zumindest nicht zwingend. Damit vertritt der VGH eine andere Auffassung als das Amtsgericht Karlsruhe, das die Parole explizit als Parole einer verbotenen Vereinigung für strafbar erachtet. Auch in Bayern, dem Saarland, Sachsen und Thüringen haben Behörden in der Vergangenheit bereits angekündigt gehabt, die Parole strafrechtlich verfolgen zu wollen. Das Amtsgericht Tiergarten in Berlin hatte im Gegenzug die Eröffnung eines Verfahrens deswegen bereits abgelehnt.
Das vorläufige Fazit
Eine abschließende Bewertung der Strafbarkeit der Parole lässt sich zwar bei der derzeit noch unterschiedlichen Rechtsprechung nicht vornehmen. Bis es zu einer höchstrichterlichen Rechtsprechung kommt, dürfte auch noch einige Zeit vergehen. Wie der Fall aber abermals gezeigt hat, kann eine juristische Gegenwehr erfolgreich sein und sich lohnen. Insbesondere bei großem medialem Wirbel, wie er auch in diesem Fall vorlag, zielen Staatsanwaltschaften und Versammlungsbehörden oft über das Ziel hinaus. Unabhängig ob es sich um versammlungsrechtliche Auflagen handelt oder um einen Strafbefehl – ein guter Anwalt kann helfen, übereifrige Behörden in die Schranken zu weisen und das Recht durchzusetzen.
Beitragsbild / Symbolbild: niroworld; Bild unten: Andy.LIU/ beide Shutterstock.com
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