Von Achim Baumann

Für den neuen Landesvorstand der AfD Baden-Württemberg läuft es nicht gut. Vergangene Woche erreichte ihn eine Anfechtung des zurückliegenden Parteitages und nun tritt auch noch ein prominenter Bundestagsabgeordneter der baden-württembergischen Landesgruppe im Bundestag aus – und dann auch noch mit gepfefferten Vorwürfen der “Günstlingswirtschaft” und des “puren Ekels” über das Parteinnenleben. Zeit, die innere Ordnung der Gesamtpartei kritisch zu hinterfragen!

Der, der keiner Beutegemeinschaft angehörte
Jurist, unabhängiger MdB, Kämpfer für Demokratie und Rechtsstaat und gegen Korruption und Willkür heißt es auf dem X-Profil von Thomas Seitz seit vorgestern. Für ihn war es ein Befreiungsschlag, für die von ihm genannten und damit erheblich kritisierten Funktionäre ist es eher peinlich: Sein Austritt aus der Partei. Mit dem Volljuristen Thomas Seitz ist nun der fünfte Bundestagsabgeordnete aus der Fraktion und auch Partei ausgetreten. In Berlin schlägt das keine hohen Wellen mehr, das ist man von der AfD mittlerweile gewohnt. Auch bei Rechtsparteien ist es keine Seltenheit, dass hohe Amtsträger kurz vor anstehenden Wahlen mit Pauken und Trompeten austreten und ihre ehemalige politische Heimat nestbeschmutzen. Das war schon bei den Republikanern mehrfach der Fall und natürlich auch bei der AfD mit ihren in Ungnade gefallenen Ex-Vorsitzenden Lucke, Petry und Meuthen. Aber bei Seitz ist es anders, geht es mitnichten um die Inhalte der Partei. So hat er doch selbst schon für den einen oder anderen Tabubruch gesorgt. “Um den Rechtsruck bei den Populisten geht es aber nicht”, bemängelt dementsprechend die Süddeutsche Zeitung und trifft des Pudels Kern. Denn wenn Seitz die Wahrheit spricht, hat ihn die innere Ordnung der Partei angewidert. Und er nennt gleich mehrere Sachverhalte, die nicht von der Hand zu weisen sind. Kein Wunder, dass die Systemmedien mit Freude der AfD den Spiegel vorhalten.

Beispiele für ein Versagen der Parteioberen
Seitz kritisiert vor allem den parteiinternen Umgang mit Fällen wie dem Parteispendenskandal von Alice Weidel, der der Partei hohe Kosten bereitet hat, aber zu keinerlei Konsequenzen führte. In jeder anderen Partei hätte ein solcher Skandal aber für Rücktritte gesorgt. Seitz führt in seinem Austritts-Video zutreffend aus:

“Die AfD wurde dagegen nicht gegründet, damit auf dem Wahl­zettel auch eine Partei steht, die man nur deshalb wählt, weil sie das kleinere Übel darstellt. Wenn das langsam wirkende Gift so tödlich ist wie das schnell wirkende, macht es keinen Unterschied, zu welchem Giftcocktail man greift. Eine Partei, die nur das kleinere Übel darstellt, ist deshalb immer ein Teil des Problems und kann niemals ein Teil der Lösung sein. Wenn die AfD nur das kleinere Übel darstellt, dann braucht es keine AfD.

Seitz spricht in diesem Zusammenhang von “Finanzstrukturen, die der Mafia Ehre bereitet hätten”. Und auch das Fälschen von Lebensläufen sieht Seitz sehr kritisch:

“Bei zwei der auf sichere Listenplätze für das EU-Parlament gewählten Kandidaten wurde noch während der Listenaufstellung bekannt, dass sie über ihren Lebenslauf getäuscht haben. Gegen eine Korrektur noch in Magdeburg hat Frau Weidel höchstpersönlich interveniert”, und stellt weiter fest: “Als zumindest der Konvent die Problematik aufgegriffen hat, haben sich die Parteivorsitzenden wieder einmal gedrückt, anstatt sich für die Folgen der von ihnen wesentlich mit zu verantwortenden Günstlings­wirtschaft zu rechtfertigen.”

Und auch der zurückliegende Landespartei in Rottweil beziehungsweise die verantwortlichen Funktionäre Emil Sänze, Markus Frohnmaier und Alice Weidel bekommen ihr Fett weg:

“Es war ein Chaos-Parteitag mit Ansage und von Anfang an war klar, dass die Halle in Rottweil mit regulär unter 1.000 zugelassenen Plätzen niemals reichen würde, nachdem die Partei zuletzt einen enormen Mitgliederzuwachs hatte und allseits für Rottweil mobilisiert wurde. Im Ergebnis waren dann wohl 1.040 Personen in der Halle zugelassen, aber bei dieser Personenzahl zählen natürlich Pressevertreter, Security, Funktionsträger, Personenschützer und alle sonstigen Gäste mit. Dementsprechend groß war das Gedränge und mehrere anwesende Personen im Rollstuhl oder mit Rollator saßen im Mittelgang, so dass kaum noch ein Durchkommen war. Im Falle einer Panik hätte es Verletzte oder Schlimmeres gegeben. Und während die Halle im Zeitpunkt der Eröffnung bereits überfüllt war, standen vor der mittlerweile geschlossenen Halle noch mehrere Hundert auf Einlass wartende Parteimitglieder. Völlig zu Recht hatte das gemäß Beschluss des Landesvorstands mit der Eröffnung des Parteitags beauftragte Vorstandsmitglied deshalb den Parteitag wieder beendet.”

Es verwundert nicht, dass Seitz am Beispiel des Parteitages und dort gewählter Funktionäre zur Auffassung gelangt:

“Es wird nur noch unkritisch abgenickt, was von oben vorgeschlagen wird. Das ging so weit, dass zwei der drei gewählten Rechnungsprüfer Mitarbeiter von neugewählten Mitgliedern des Landesvorstands sind. Untergebene kontrollieren also künftig ihre Chefs. Und einer der neugewählten Schiedsrichter war bis vor wenigen Monaten noch SPD-Mitglied – im Grunde unfassbar.”

So oder so ähnlich sieht es auch in anderen Landesverbänden aus
Fehlende Compoliance-Regeln führen auch in anderen Landesverbänden zu Konstellationen, die Abhängigkeiten, das Entstehen von Zweckgemeinschaften und Günstlingswirtschaft sowie Nepotismus fördern. In Nordrhein-Westfalen beispielsweise wurden jüngst in den Landesvorstand Personen gewählt, die als Mitarbeiter bei anderen Landesvorstandsmitgliedern beschäftigt sind. Da sind Interessenkollisionen vorprogrammiert. In anderen Landesverbänden kandidieren Mitglieder von Schiedsgerichten für politische Mandate, die in Parteiordnungsverfahren – nicht gerade verwunderlich –  Mandats-Mitbewerber besonders scharf beurteilen. Auch die direkte oder Über-Kreuzbeschäftigung von Ehefrauen oder engsten Verwandten ist üblich. Und auch der zunehmende Einsatz von Parteiordnungsverfahren als Instrumentarium der Disziplinierung ist feststellbar. So sollen innerparteiliche Rivalen mundtot gemacht werden, wobei es zum Teil reine Wilkürmaßnahmen zu sein scheinen. In einem westlichen Verband wird beispielsweise gegen einen Mandatsträger wegen des Okay-Zeichens ermittelt, das auch als White-Power-Zeichen bekannt sein soll. Nur verwenden das Zeichen Dutzende andere Funktionsträger auf Landes- und Bundesebene. Da kann man schon von Schikane sprechen, um Rivalen zu gängeln. Ebenso wird die Unvereinbarkeitsliste als Instrument genutzt, um Jahrzehnte zurückliegende Aktivitäten als Aufhänger für Maßnahmen gegen Mitbewerber zu rechtfertigen. Allerdings wird bei Mitgliedern der eigenen Beutegemeinschaft oftmals weggeschaut, wenn sie das gleiche gemacht haben. Da muss man von deutlicher Wilkür sprechen (Wir vermeiden die konkrete Nennung von Namen und der jeweiligen Verbände, aber feindlich gesinnte Journalisten müssten nur gründlich recherchieren).

Compliance-Regeln notwendig
in der Tat sieht es seltsam aus, wenn die AfD von sich als Rechtsstaatspartei spricht, aber die innere Ordnung derartige Missbrauchsmöglichkeiten bietet wie bisher. Wer die fehlenden Abschlüsse bei den Grünen und Co. kritisiert, darf selbst keine Ausnahmen machen. Wer Plagiate und Fälschungen im Lebenslauf bei anderen kritisiert, sollte entschieden gegen Verstöße in der eigenen Partei vorgehen. Wer die Vetternwirtschaft bei den etablierten Parteien kritisiert, muss selbst für politische Hygenie in der AfD sorgen. Wer Abhängigkeiten und interessengeleiteten Lobbyismus bei den Systemparteien kritisiert, muss – ohne Ansehen der Person – auch innerhalb der AfD Konsequenzen ziehen. Die AfD wird unglaubwürdig, sollte sie sich nicht selbst strenge Compliance-Regeln verordnen. Klar, das passt etlichen Parteivorderen nicht. Und das ist der Krähenfuss an der Diskussion: Führende Funktionäre, die selbst von solchen Missständen profitieren, müssen endlich reagieren. Ob Alice Weidel und Co. das begreifen, ist schwer zu sagen. Daher ist entsprechender Druck von unten nötig, damit die AfD eine wirkliche Bürgerrechtspartei wird. Mit Thomas Seitz ist zumindest ein in diesen Dingen aufrechter Parteikamerad auf der Strecke geblieben…

Das Video von Thomas Seitz auf Youtube findet sich hier!

Der vollständige Text des Videoinhaltes findet sich hier!

Beitragsbild / Symbolbild: nitpicker / Shutterstock.com; Bild oben: Screenshot aus dem erwähnten Seitz-Youtube-Video

Abonnieren Sie auch unseren Telegram-Channel unter: https://t.me/FreiburgerStandard

Treten Sie dem Freiburger Standard bei

Wir senden keinen Spam! Erfahren Sie mehr in unserer Datenschutzerklärung.