In diesem Beitrag soll der wissenschaftliche Artikel „Für eine neue Kultur strategischen Denkens“ von Prof. Dr. Herfried Münkler (bis 2018 Inhaber des Lehrstuhls für Theorie der Politik an der Humboldt-Universität Berlin) aus der Preußischen Allgemeinen Zeitung vom 18. März 2022 prägnant zusammengefasst und beleuchtet werden.  Ein aktuelles Beispiel am Schluss des Beitrags wird diese Reflexionen untermauern und aufzeigen, wie neues, friedensförderndes, politisches Denken aussehen kann.

Es ist symbolhaft, dass Putin

„noch während der Sitzung des UN-Sicherheitsrates zum russischen Truppenaufmarsch den Befehl zum Angriff (am 24. Februar) gab.“

Prof. Münkler bezeichnet die UN als „das Zentralorgan der regelbasierten und wertgestützten Weltordnung“ und sieht in dem von Putin gewählten Zeitpunkt ein Zeichen „seiner Verachtung für die Weltorganisation in New York“.

Worauf aber stützt sich diese regelbasierte und wertgestützte Weltordnung?

Auf dem Glauben, dass man die Konkurrenz der großen Mächte einfach ablösen könne durch eine gemeinsame Konzentration auf Menschheitsaufgaben:

  • den Hunger in der südlichen Hemisphäre bekämpfen
  • Migrationsbewegungen infolge von Bürgerkriegen stoppen
  • den Klimawandel stoppen

Jedem ist hinreichend klar, dass dieses Programm nicht von besonderem Erfolg gekrönt war.  Dabei hat man über Jahrzehnte den Leitgedanken verfolgt, „Konfrontation in Kooperation zu transformieren und „Nullsummenspiele“ in „Win-Win-Konstellationen“ zu verwandeln.“

Was sind die Gründe des Scheiterns dieses Kooperationsparadigmas?

  1. Es gibt keinen durchsetzungsfähigen Hüter dieser auf Werten und Regeln gestützten Weltordnung – weder die Vereinten Nationen (UNO) noch die USA.
  2. Das Vertrauen musste also „durch wechselseitige Abhängigkeit, etwas bei Rohstofflieferungen und ähnlichem“ gesichert werden (daher auch die Erdgasleitungen Nord Stream 1 und 2).
  3. Man hatte bewusst die Augen vor der Realität verschlossen, dass „eine konfrontative Lage zwischen den Demokratien westlicher Prägung – also Demokratie plus Gewaltenteilung und Pressefreiheit – und einem autokratischen Regime in all seine Varianten entstanden war“. Diese Herausforderung wurde offensichtlich nicht angemessen erwidert. Siehe hierzu dieser wertvolle Beitrag.

Es ist zwar zu spät – und doch ist ein Paradigmenwechsel notwendig:

vom naiven Vertrauen in einen scheinbar stabile (normative) Weltordnung zum strategischen Denken. Ein solches strategisches Denken muss von einem „generalisierte(n) Misstrauen“ geprägt sein. Prof. Münkler beschreibt dieses Denken folgendermaßen:

„Es ist (…) nicht länger opportun, bei der Analyse von Optionen anderer Akteure die „Worst Case“-Szenarien von vornherein ins letzte Glied zu stellen und sich auf die „Best Case“-Szenarien zu konzentrieren. Die Palette der eigenen Möglichkeiten muss vielmehr vom schlimmsten Fall her geordnet werden, also von dem her, was mit den größten Anstrengungen der eigenen Seite einhergeht (…).“

Ein solches generalisiertes Misstrauen –  nicht eines pathologisches, sondern eines realistisches Misstrauen – hätte frühzeitig die Alarmglocken in den Köpfen der Westeuropäer klingeln lassen.

Hierfür zwei Beispiele:

  1. „Noch vor dem Angriffskrieg auf die Ukraine hatte Putin eine geschichtspolitische Erzählung lanciert, in der es um die Zugehörigkeit der Ukraine zu Russland ging. Damit war die staatliche Selbstständigkeit der Ukraine in Frage gestellt. Wie reagierten die deutschen Medien und Politiker? – Sie fragten sich, ob Putins Geschichtsklitterung zutreffend sei. Sie fragten nach dem wie oder was. Welche Frage hätten sie mit gesundem Menschenverstand stellen müssen? – Wozu Putin diese Geschichte erzählte. Man vergleiche: „Wenn führende Politiker (in Westeuropa) erzählen würden, was einmal ihrem nationalen Kulturkreis zugehört hatte, verbunden mit der imperativischen Anmutung, dass es so wieder sein solle, wären Krieg und Bürgerkrieg auch hier die Regel.“ Putin allerdings beherrscht perfekt das strategische Denken und verschweigt geschickt, dass „dies eine Geschichte der Eroberung und Unterdrückung war“.
  2. Der Ukraine-Krieg ist nicht nur ein Schießkrieg, sondern vor allem auch ein hybrider Krieg, „der in Angriffen auf ukrainische Kommunikations- und Steuerungssysteme bestand und zu dem auch systematische Fehl- und Falschinformationen gehörten.“ Es ist eine gefährliche Strategie der Wissensverwirrung. Wie reagierten die Ukrainer? Sie lassen von ihrem seit Jahrzehnten vorherrschenden generalisierten Misstrauen gegenüber Russland nicht ab und kämpfen weiter um die Souveränität ihres Landes. Was muss der Westen daraus lernen? „Zu strategischer Härtung einer Gesellschaft gehört (…) die Befähigung der Bürger zum Umgang mit Desinformationskampagnen (…). Verteidigungsfähigkeit heißt inzwischen, dass jeder und jede in zentralen politischen Fragen zumindest mitdenken können muss. Je mehr Menschen das nicht können oder nicht wollen, desto verwundbarer ist eine Gesellschaft.“ Zu Putins Geschichtspolitik vgl.

Strategisches Denken ist also wieder neu gefragt

und wenn man sich die beiden Positionspapiere der AfD-Bundestagsfraktion zum Russland-Ukraine-Krieg eingehender ansieht, spürt man wertvolle strategische Ansätze, die einen wohltuenden Weitblick erkennen lassen:

Erstes Positionspapier:

Der Bundesvorstand der Alternative für Deutschland fordert die sofortige Einstellung aller Kampfhandlungen russischer Streitkräfte vom 25. Februar 2022.

1. Das gewaltsame, die territoriale Integrität der Ukraine verletzende Vorgehen Russlands wird vom Bundesvorstand der Alternative für Deutschland uneingeschränkt verurteilt.

2. Krieg kann kein Teil einer dauerhaften Problemlösung sein, weshalb die sofortige Einstellung aller Kampfhandlungen russischer Streitkräfte als Voraussetzung für die Beendigung der militärischen Auseinandersetzungen in der Ukraine gefordert wird.

3. Eine europäische Sicherheitsarchitektur und tragfähige Friedensordnung kann nur auf den Grundsätzen der nationalen Souveränität, der territorialen Unverletzbarkeit und der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten beruhen.

4. Dieser Konflikt zeigt, dass die Bundeswehr nicht einmal ansatzweise einsatzbereit ist – Deutschland muss deshalb deutlich mehr als bisher in seine Verteidigung investieren und die Wehrpflicht wieder aktivieren.

5. Die Eskalation ist auch Folge einer schrittweisen Entfremdung zwischen NATO und Russland aufgrund strategischer Interessenkonflikte zwischen USA und Russland: Die AfD schlägt deshalb einen Interessenausgleich zwischen den USA, Europa und Russland durch verbindliche Rüstungskontrollmechanismen vor.

Mit klaren Worten benennt die AfD die Bedingungen für eine europäische Sicherheitsarchitektur und tragfähige Friedensordnung, nämlich: nationale Souveränität, territoriale Unverletzbarkeit der einzelnen Staaten und Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten eines fremden Staates (3). Wie schon seit vielen Jahren fordert die AfD die Wiedereinführung der Wehrpflicht. Das Kabinett Merkel II (CDU/CSU, FDP) hatte die allgemeine Wehrpflicht 2011 abgeschafft und die Bundeswehr von rund 255.000 Soldaten auf 185.000 verkleinert. Siehe. (4). Wahrscheinlich als einzige Partei erkennt die AfD an, dass diesem Krieg strategische Interessenkonflikte zwischen USA und Russland zugrunde liegen und ergreift weder einseitig Partei für die Ukraine und den Westen noch für Russland (5). Vgl. hierzu auch den Beitrag.

Zweites Positionspapier der AfD-Bundestagsfraktion zum Russland-Ukraine-Krieg vom 10. März 2022.

1. Der Krieg gegen die Ukraine ist ein völkerrechtswidriger Angriffskrieg Russlands, den wir scharf verurteilen.

2. Wir trauern mit den Familien der gefallenen Soldaten und der zivilen Opfer beider Seiten.

3. Die AfD-Bundestagsfraktion fordert vom russischen Präsidenten ein sofortiges Ende der Kampfhandlungen und setzt sich mit Nachdruck für einen sofortigen Waffenstillstand sowie für die Entsendung einer VN/OSZE-Friedenstruppe in die Ukraine ein.

4. Wir unterstützen die Anrainerstaaten, die sehr viele ukrainische Flüchtlinge aufnehmen, ebenso wie die vor Ort tätigen Hilfsorganisationen wie das Rote Kreuz. Wir sind für die temporäre Aufnahme von ukrainischen Kriegsflüchtlingen, sofern es sich um ukrainische Staatsbürger handelt.

5. Einen Beitritt der Ukraine zur EU und zur NATO lehnen wir ab.

6. Wirtschaftssanktionen sind abzulehnen. Wir befürworten Sanktionen gegen Verantwortliche und Unterstützer des Angriffskrieges.

7. Waffen in Krisen- und Kriegsgebiete zu liefern, ist grundsätzlich abzulehnen, da dies zur Eskalation beiträgt. Eine Entscheidung solcher Tragweite sollte dem Bundestag in namentlicher Abstimmung vorbehalten bleiben.

8. Die Energiewende der etablierten Parteien mit einem gleichzeitigen Ausstieg aus Kohle und Kernkraft hat uns abhängig und verwundbar gemacht. Wir halten an Nord Stream II fest, da diese Erdgasleitung ein wesentlicher Beitrag zu einer verlässlichen, sicheren und günstigen Energieversorgung Deutschlands ist. Wir fordern den Wiedereinstieg in die Kernenergie und den Weiterbetrieb moderner Kohlekraftwerke.

9. Wir fordern die politischen Parteien, alle gesellschaftlichen Kräfte und die Medien auf, den zunehmenden Diskriminierungen gegenüber russischsprachigen Mitbürgern entschieden entgegenzuwirken.

Es fällt auf, dass die AfD alle ambivalenten Maßnahmen ablehnt. Solche Maßnahmen wären ein Beitritt der Ukraine zur NATO (5),  außerdem Wirtschaftssanktionen, die allen beteiligten Staaten, auch dem Westen, enormen Schaden zufügen würden/werden (6). Die AfD lehnt Waffenlieferungen in Krisen- und Kriegsgebiete ab und tritt damit als echte Friedenspartei auf (7). Dies tut sie auch, indem sie russischsprachige Mitbürger in Deutschland, die aktuellen Anfeindungen ausgesetzt sind,  schützt (9). Aus wirtschaftlich-strategisch vernünftigen Gründen hält die AfD an Nord Stream II fest (8).

 

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Bild: pixabay Lars_Nissen Liebe-Wut-Trauer-Hass

 

 

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