Von Jan Ackermeier

Am 23. März 1919 verläßt der letzte Monarch Österreich-Ungarns, Karl I., mit seiner Familie Österreich und begibt sich zunächst ins Exil in der Schweiz. Im Feldkircher Manifest widerruft er vor dem Grenzübertritt seinen Verzicht auf die Ausübung der Regierungsgeschäfte, was alsbald Anlaß für das Habsburgergesetz wird.

Nachdem Karl I. am 11. November 1918 „auf jeden Anteil an den Staatsgeschäften“ verzichtet hatte, lebte er mit seiner Familie zunächst im Schloß Eckartsau. Er hoffte aber auf eine Rückkehr auf den Thron. So schrieb er an den Wiener Erzbischof Kardinal Piffl aus Eckartsau im Jänner 1919: „Ich bin und bleibe der rechtmäßige Herrscher Deutsch-Österreichs. Ich habe und werde nie abdanken […]. Die jetzige Regierung ist eine Revolutionsregierung, da sie die von Gott eingesetzte Staatsgewalt beseitigt hat. Mein Manifest vom 11. November möchte ich mit einem Scheck vergleichen, welchen mit vielen tausend Kronen auszufüllen uns ein Straßenräuber mit vorgehaltenem Revolver zwingt. […] Nachdem auf die Armee auch kein Verlaß mehr war, und uns selbst die Schloßwache verlassen hatte, entschloß ich mich zur Unterschrift. Ich fühle mich durch diese absolut nicht gebunden.“

Zwischenzeitlich waren es nicht mehr nur die Sozialdemokraten, sondern auch die Christlichsozialen, die den ehemaligen Kaiser außer Landes bringen wollten. Nachdem am 15. März 1919 die Staatsregierung Renner II als Koalition aus den beiden Parteien eingesetzt war, einigte man sich auf folgende drei Alternativen :

1) Sollte der Kaiser auf all seine Rechte verzichten, könne er mit seiner Familie als einfacher Bürger in Österreich bleiben.
2) Falls er die Abdankung verweigert, muß er ins Exil gehen.
3) Falls er beide Möglichkeiten zurückweist, muß er mit Internierung rechnen.

Der britische König Georg V. fürchtete derweil um die Sicherheit der Kaiserfamilie, weil ein Anschlag auf ihr Leben nach der Ermordung des russischen Zaren und seiner Familie im Juli 1918 als denkbares Szenario auch in Österreich erschien. Kaiserin Zitas Brüder Sixtus und Xavier von Bourbon-Parma setzen bei König Georg durch, daß der britische Oberstleutnant Edward Lisle Strutt aus Venedig nach Eckartsau versetzt und ab 27. Februar 1919 als „Ehrenoffizier“ zum Schutz der Habsburger Familie abkommandiert wurde, der Georg seine „moralische Unterstützung“ zusicherte. Strutt, der von der Staatsregierung über die fortgeschrittenen Pläne und die vorgesehenen drei Alternativen informiert wurde, konnte Karl zur Ausreise bewegen und organisierte diese. Einzige verbliebene Bedingung des Kaisers Strutt gegenüber: „Versprechen Sie mir, daß ich als Kaiser abreisen werde und nicht wie ein Dieb in der Nacht.“

In der dem Schloß nächstgelegenen Bahnstation Kopfstetten-Eckartsau an der Lokalbahn Siebenbrunn–Engelhartstetten traten am 23. März 1919, abends gegen 19 Uhr, Karl – in der Uniform eines Feldmarschalls und „in allen Ehren“ – und Zita, deren Kinder Otto, Adelheid, Robert und Felix, sowie Karls Mutter Erzherzogin Maria Josepha und ein kleines Gefolge einiger Getreuer die Reise ins Schweizer Exil an. In den Morgenstunden des 24. März 1919 passierte der Sonderzug Feldkirch an der Grenze zur Schweiz. Hier, noch auf heimischem Boden, widerrief Karl mit dem von ihm schon in Eckartsau vorbereiteten und weitgehend geheim gebliebenen „Feldkircher Manifest“ seine Verzichtserklärung und legte damit Protest gegen seine Absetzung ein: „Was die deutsch-österreichische Regierung, Provisorische und Konstitutionelle Nationalversammlung seit dem 11. November 1918 […] beschlossen und verfügt haben und weiter resolvieren werden, ist für Mich und Mein Haus null und nichtig.“ Als Begründung gab er an, Deutschösterreich habe sich auf die republikanische Regierungsform festgelegt, ohne vorher das Volk zu befragen.

Karls „Feldkircher Manifest“ war letztlich für Karl Renner Grund genug, mit dem Gesetz vom 3. April 1919, betreffend die Landesverweisung und die Übernahme des Vermögens des Hauses Habsburg-Lothringen (StGBl. Nr. 209/1919) Karl Habsburg-Lothringen, seiner Frau Zita und deren Nachkommen endgültig die Rückkehr in das österreichische Staatsgebiet zu untersagen, so sie sich nicht zur Republik Österreich bekennen. Mit dem Verfassungsgesetz wurden daher alle Herrscherrechte der Dynastie aufgehoben und, bis heute in Kraft, darin verankert: „§ 2. Im Interesse der Sicherheit der Republik werden der ehemalige Träger der Krone und die sonstigen Mitglieder des Hauses Habsburg-Lothringen, diese, soweit sie nicht auf ihre Mitgliedschaft zu diesem Hause und auf alle aus ihr gefolgerten Herrschaftsansprüche ausdrücklich verzichtet und sich als getreue Staatsbürger der Republik bekannt haben, des Landes verwiesen. Die Festsetzung, ob diese Erklärung als ausreichend zu erkennen sei, steht der Bundesregierung im Einvernehmen mit dem Hauptausschuß des Nationalrates zu.“


Beitragsbild: „Der Hofzug in der nächst Eckartsau gelegenen Station Kopfstetten unmittelbar vor der Abfahrt in die Schweiz“ am 23. März 1919; Österreichische Nationalbibliothek, Bildarchiv

Treten Sie dem Freiburger Standard bei

Wir senden keinen Spam! Erfahren Sie mehr in unserer Datenschutzerklärung.