Von Brutus Crombie

Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden: Die als großer Wurf geplante Reform des Bundeswahlgesetzes ist in einigen Teilen verfassungswidrig. Für die Ampelkoalition ist das eine weitere schwere Schlappe. Nicht akzeptiert hat das Bundesverfassungsgericht den geplanten Wegfall der sogenannten Grundmandatsklausel im neuen Wahlrecht. Gemäß dieser zogen Parteien auch dann in der Stärke ihres Zweitstimmenergebnisses in den Reichstag ein, wenn sie unter der Fünf-Prozent-Hürde lagen, aber mindestens drei Direktmandate errangen. Nun gilt hierzu vorerst weiterhin die frühere Regelung. Andere Teile der Reform wurden aber für verfassungsgemäß erklärt, darunter auch der Wegfall der umstrittenen Überhang- und Ausgleichsmandate – und das freut nicht jeden in der AfD.

Im Wortlaut
Das Bundesverfassungsgericht hat konkret entschieden:

„Mit heute verkündetem Urteil hat der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts entschieden, dass das Zweitstimmendeckungsverfahren in § 1 Abs. 3, § 6 Abs. 1, Abs. 4 Sätze 1, 2 Bundeswahlgesetz (BWahlG) mit dem Grundgesetz (GG) vereinbar ist. Die 5 %-Sperrklausel in § 4 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 BWahlG verstößt aber derzeit gegen Art. 21 Abs. 1 und Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG. Bis zu einer Neuregelung gilt sie mit der Maßgabe fort, dass bei der Sitzverteilung Parteien mit weniger als 5 % der Zweitstimmen nur dann nicht berücksichtigt werden, wenn ihre Bewerber in weniger als drei Wahlkreisen die meisten Erststimmen auf sich vereinigt haben.“

CSU und Linkspartei sehen sich bestätigt
Die Linkspartei freut sich, die CSU ebenfalls. Beide reagierten erleichtert auf das höchstrichterliche Urteil. So bezeichnete die Ex-Vorsitzende der Linkspartei, die Bundestagsabgeordnete Gesine Lötzsch den ursprünglich geplanten Wegfall der Grundmandateklausel  als „undemokratische Entscheidung“. Und CSU-Parteichef Markus Söder urteilte: „Die versuchte Wahlmanipulation der Ampel ist entlarvt und verworfen worden. Das Verfassungsgericht erkennt die Kraft der CSU und Bayerns an. Ein Wermutstropfen ist die Akzeptanz der sogenannten Zuteilung. Wir bedauern dieses Minus an direkter Demokratie.“ Gemeint ist hier der Wegfall von Überhangmandaten, um die Zahl der Bundestagsabgeordneten zu begrenzen. Der Bundestag soll in Zukunft eine feste Größe von lediglich 630 Abgeordneten haben, derzeit sind es durch die Überhangmandate stolze 734 Bundestagsabgeordnete. Der SPIEGEL erklärt dazu: „Überhangmandate fielen bislang an, wenn eine Partei über die Erststimmen mehr Direktmandate gewann, als ihr nach dem Zweitstimmenergebnis Sitze zustanden. Diese Mandate durfte sie dann behalten, die anderen Parteien erhielten dafür Ausgleichsmandate. Dass die Ampel die Überhang- und Ausgleichsmandate gestrichen hat, ist aus Sicht der Karlsruher Richterinnen und Richter verfassungskonform.“

Bundestagsfraktion der AfD begrüßt Entscheidung
Dass das Bundesverfassungsgericht einer Verkleinerung des Bundestages zustimmt, freut auch die AfD. Zur aktuellen Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, teilt Albrecht Glaser namens der Bundestagsfraktion mit:

„Zukünftig nur noch 630 Abgeordnete im Parlament; die AfD-Bundestagsfraktion wollte mit ihrem Vorschlag sogar nur 598 Abgeordnete im Deutschen Bundestag und damit die Entscheidungsfindung im Parlament stärken sowie die seit Jahrzehnten zunehmenden Kosten für die Steuerzahler senken. Derzeit ist der Deutsche Bundestag das größte frei gewählte Parlament der Welt. Das höchste deutsche Gericht hat heute entschieden, dass die vorgenommene Verkleinerung des Parlaments auf Basis unseres gewohnten Wahlrechtsystems möglich ist. Allerdings kippt es mit der Entscheidung zugleich den von der Ampel-Koalition vorgesehenen Fortfall der Grundmandatsklausel. Von diesem Teil der Gerichtsentscheidung profitieren nach derzeitigen Wahlergebnissen die CSU und die Partei Die Linke.Sollten CDU und CSU bei den kommenden Bundestagswahlen als starke Sieger vom Platz gehen, ist zu befürchten, dass deren Parteivertreter die Wahlrechtsreform wieder so schleifen, dass die Steuerzahler dadurch massive Kostensteigerungen erfahren und die Arbeitsfähigkeit des Bundestages leidet. Das muss der Wähler wissen und hoffentlich verhindern. Mit der Politik der AfD-Fraktion hätten wir ein entscheidungsfreudigeres und finanzierbares Parlament.“

Aber auch Kritik aus der AfD
Während also die Bundestagsfraktion das Urteil begrüßt, gibt es aus der AfD auch Kritik an dem Urteil. So schrieb der Parlamentarische Geschäftsführer der AfD-Fraktion im thüringischen Landtag Torben Braga:

„Albrecht Glaser und die AfD im Bundestag begrüßen hier eine Wahlrechtsreform, die Wahlkreisstimmen entwertet und die Macht der Parteien erweitert. Diese Positionierung ist ein Fehler. Sie mit einer vermeintlichen „Entlastung der Steuerzahler“ schönzureden geradezu absurd. […] Lässt man die West-Berliner Bundestagswahlkreise außer acht, wären übrigens 20 Prozent der „ostdeutschen“ Wahlkreise unbesetzt. Ein Fünftel also. Was sagen eigentlich die ostdeutschen Mitglieder der AfD im Bundestag zur Haltung der Fraktion dazu? Interessieren sie sich überhaupt dafür?“
Torben Braga spricht einen heiklen Punkt an, der vor allem die AfD treffen könnte: Nach dem nun vom Bundesverfassungsgericht bestätigten Teil der Wahlreform kommen nur noch so viele Direktkandidaten in den Bundestag, wie es der jeweiligen Partei nach dem Ergebnis der Zweitstimmen zusteht. Die Direktkandidaten, die im Vergleich schwächere Erststimmenergebnisse als Parteikollegen aufweisen, bekommen somit nach dem nun gültigen „Zweitstimmendeckungsverfahren“ keinen Sitz im Parlament, auch wenn sie in ihrem Wahlkreis die meisten Erststimmen erhalten. Das könnte man ebenfalls als undemokratisch bezeichnen. Aber das Bundesverfassungsgericht urteilt:

„Das Zweitstimmendeckungsverfahren verletzt die Wahlgleichheit gemäß Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG nicht. Zwar werden Wahlstimmen für einen unabhängigen Bewerber im Fall seines Erfolges anders behandelt als Wahlstimmen für Wahlkreisbewerber einer Partei. […] Diese Ungleichbehandlung ist jedoch gerechtfertigt. Das Zweistimmenwahlrecht des BWahlG sieht einen Ausgleich zwischen dem Erst- und dem Zweitstimmenergebnis vor. Ist ein solcher Ausgleich ausgeschlossen, weil zwischen Wahlkreisbewerber und Landesliste kein Ausgleichszusammenhang hergestellt werden kann, ist eine besondere Berücksichtigung dieser Konstellation zwingend. Die Möglichkeit, unabhängige Wahlkreisbewerber vorzuschlagen, sichert das Wahlvorschlagsrecht aller Wahlberechtigten unabhängig von politischen Parteien als Kernstück des Bürgerrechts auf aktive Teilnahme an der Wahl.“

Damit dürfte klar sein, dass die nächste Bundestagswahl nicht automatisch zu mehr Abgeordneten der AfD führen wird, obwohl höhere Wahlergebnisse zu erwarten sind. Die AfD wird künftig wie alle anderen Parteien auch keine Überhang- und Ausgleichsmandate erhalten. Das könnte vor allem in den mitteldeutschen Bundesländern dazu führen, dass  zahlreiche Wahlkreise zwar gewonnen werden, aber nicht alle Gewinner berücksichtigt werden können. Demokratie kann halt ganz schön mühselig sein…

Beitragsbild / Symbolbild: nitpicker; Bild oben: Brian-A-Jackson / beide Shutterstock.com

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