Von Albrecht Künstle

Über unsere gesetzliche Rentenversicherung wird viel Unsinn verbreitet; sie stünde vor dem Ruin und werde zusehends unbezahlbar. Die Zahl der Beitragszahler sinke und wir würden immer älter. Und der Staat habe die Rentenkasse um zusammengerechnet eine Billion Euro „geplündert“. Weil ich in meinen politisch begleiteten 55 Jahren hundertfach angelogen wurde, „glaube“ ich nur noch in religiöser Hinsicht. Eine Politik, die sich insbesondere von den über Zwangsgebühren finanzierten öffentlich-rechtlichen Medien vor sich hertreiben lässt, ist bei mir unten durch. Diese Medien bauen Politiker ihres Schlags auf – und sägen sie ab, wenn sie ihnen nicht mehr passen. Eine zunehmend politisierte Justiz haut in die gleiche Kerbe. Dieser Beitrag will daher kein Auftrags-„Faktencheck“ sein, wie wir ihn zur Genüge kennen, aber widmet sich einer Überprüfung der verbreiteten Thesen.

These 1: „Die Rentenversicherung hat immer weniger Beitragszahler“
Jeder, der dies verbreitet, sollte sich selbst einmal die Mühe machen, die Behauptungen zu überprüfen. Vor allem die Bundesregierung, die sich einer „Beschäftigungsoffensive“ rühmt, aber in das Konzert einstimmt, sie müsse die Renten irgendwie beschränken, weil die Beitragszahler weniger würden. Nachfolgend die amtlichen Zahlen aus dem 320-seitigen DRV-Jahresbericht 2024 „Rentenversicherung in Zeitreihen“ (Weil es 1999 und davor einige Umstellungen in der Zählweise gab, wird nachfolgend auf das Jahr 2000 und folgende abgehoben).

Ertappt: „Es ist nicht so wie es aussieht“, sondern anders
Die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten – im DRV-Jargon die „aktiv Versicherten“ in der Rentenversicherung, – stieg von 33,83 Millionen Jahr 2000 auf 39,92 Millionen im Jahr 2022. Das ist ein Zuwachs von 18 Prozent. Immer weniger Beitragszahler? Gesunken ist lediglich die durchschnittliche Dauer der Beitragszahlung wegen späterem Berufseintritt. Lediglich im Jahr 2020 sank auch die Zahl der Beitragszahler, als die Politik wegen Corona Amok lief. Und jetzt wird an die Wand gemalt, die letzten 22 Jahre wären ein Ausrutscher, von nun an ginge es wirklich bergab? Das aber würde folglich bedeuten, dass die 14 Millionen Zuwanderer der letzten zehn Jahre und deren Kinder keine Lust hätten zu arbeiten, oder? Zwischenfazit: Wenn die Kassandrajünger schon bisher falsch lagen, warum soll man ihren weiteren Prognosen Glauben schenken? Sie lügen; warum, siehe den Schluss des Artikels!

These 2: “Die Rentner werden immer älter und zahlreicher – und belasten so die Beitragszahler”
Wiederum der Blick in dieselbe Langzeitstatistik: Der Bestand an Rentenbeziehern nahm tatsächlich von 15,38 Millionen im Jahr 2000 auf 18,74 Millionen im Jahr 2023 zu, also um 3,4 Millionen; allerdings darf man diese Entwicklung nicht einfach fortschreiben – denn die 18-Millionen-Grenze wurde bereits im Jahr 2015 überschritten. Seither dümpelt der Altersrentenbestand mit kaum noch Zuwächsen vor sich hin. Schreibt man Statistiken durch Extrapolation fort, sind die unmittelbar vorausgehenden Werte stärker zu gewichten als die länger zurückliegenden Werte. Deshalb sollte man hinsichtlich der ständig an die Wand gemalten „Babyboomer“ nicht in Schnappatmung verfallen. Wie verhält es sich aber mit dem viel zitierten „immer älter werden“ dank medizinischem Fortschritt? Das Sterbealter muss der Statistik „Wegfallalter der Witwen- und Witwerrenten“ (Seite 146 der obigen Quelle) entnommen werden. Die Männer starben im Jahr 2000 mit durchschnittlich 75,6 Jahren, im Jahr 2023 starben sie erst mit 83,8 Jahren, wurden also in diesen 23 Jahren rund acht Jahre älter. Aber auch hierbei wurde die Grenze von 80 Jahren schon 2013 überschritten. Die Kurve des Älterwerdens schwächt sich ab, sogar das Sterbealter nimmt ab. Die „Sterbetafel“ (Seite 148 der obigen Quelle) sinkt seit 2018 – 2020 jedes Jahr zwar gering, aber konstant – und das für alle Alterskohorten von 65 bis 90 Jahre.

Und die Sache mit den „Männlein“ und „Weiblein“?
Frauen werden zwar durchschnittlich älter als Männer, aber die Zunahme der Lebenserwartung ist schwächer als bei Männern. Frauen starben im Jahr 2000 mit durchschnittlich 82,9 Jahren. Im Jahr 2023 mit 86,3 Jahren, sie wurden in diesen 23 Jahren nur noch dreieinhalb Jahre älter. Die Zunahme des Sterbealters der Frauen beträgt somit weniger als die Hälfte der Männer. Vielleicht, weil sie erkennen, dass ein Leben ohne die Männer nur eine halbe Sache ist? Der Abstand des Sterbealters zu den Männern beträgt jedenfalls nur noch zweieinhalb Jahre. Auch die „Sterbetafel“ für Frauen (Seite 149 der obigen Quelle) sinkt seit 2018-2020 wie bei den Männern jedes Jahr konstant, und das ebenfalls für alle Alterskohorten. Dies schlägt sich in der Rentenbezugsdauer nieder, die seit dem Jahr 2021 stagniert. So, wie die „Revolution ihre Kinder fraß“, so fordert auch die Mehrfach-Massenimpferei ihren Tribut. Wozu also die medial geschürte Angst, die Opas und Uromas würden überhaupt nicht mehr „gehen“ wollen?

These 3: „Das Verhältnis von Beitragszahlern zu Rentnern wird langsam, aber sicher unverkraftbar“
Wie der Blick ins Gesetz die Rechtsfindung erleichtert, so ein geflügeltes Wort unter Juristen, so verschafft einem der Blick in die GRV-Zahlenreihen auch eine Antwort darauf, wie problematisch sich das Verhältnis zwischen Beitragszahlern und Rentnern entwickelt: Auf der Seite 14 der obigen Quelle findet sich die Antwort darauf. Im Jahr 2000 betrug das Verhältnis 1,96 zu 1 (33,83 Millionen „aktiv Versicherte“, also Beitragszahler, zu 17,28 Millionen „passiv Versicherten“, also Rentner). Im Jahr 2022 betrug das Verhältnis 2,21 zu 1, (39,92 Millionen Beitragszahler zu 18,05 Millionen Rentner); das heißt also mehr Beitragszahler je Rentner, nicht weniger. Muss uns das Angst machen?

These 4: „Die Rentenkasse wird geplündert“
Hierbei handelt es sich um eine Halbwahrheit. Richtig ist vielmehr, dass der Gesetzgeber unserer gesetzlichen Rentenversicherung Kosten aufs Auge drückt, aber nicht das entsprechende Geld zuschießt. Nicht also Diebstahl lautet der eigentliche Vorwurf an die Politik, sondern eher unterlassene Hilfeleistung. Juristisch gesehen ein „Geschäft zu Lasten Dritter“, was im Rechtskreis des BGB als sittenwidrig und somit als unwirksam gälte. Diese versicherungsfremden Lasten, die der Rentenversicherung auferlegt wurden, beliefen sich seit 1957 auf kumuliert rund eine Billion Euro.

Der Haken dabei?
Allerdings ging der versicherungsfremde Anteil seit 1995 von bis dahin rund 34 Prozent der Rentenausgaben auf rund 22 Prozent seit 2017 zurück. Alles gut also? Nein – denn die ungedeckten Ausgaben der Rentenversicherung stiegen in diesem Zeitraum von rund 31 Milliarden 2017 auf 42 Milliarden Euro 2023. Diese Problematik ist ambivalent: Denn jenen, die meinen, dass Beamten, Freiberufler und Selbstständigen nicht zur Kasse gebeten würden, müsste ein hoher Staatsanteil ja entgegenkommen, weil diese Ausgaben steuerfinanziert sind und so von allen bestritten werden – nicht nur von den Beitragszahlern. Der Autor hat an anderer Stelle schon vorgerechnet, dass die Unternehmer deshalb für steuerfinanzierte Renten sind, weil sie weit weniger des Steuerkuchens backen, als die Hälfte per Finanzierung der Rentenversicherung ausmacht.

These 5: „Die Rentenausgaben überfordern Wirtschaft und Beschäftigte“
Gemessen am Bruttoinlandsprodukt liegt Deutschland weit unter dem EU-Schnitt von 12,3 Prozent. Seit 1990 lagen sie in Deutschland zwölf Jahre lang über zehn Prozent des Bruttoinlandsprodukts – 2020 noch bei 10,1 Prozent und jetzt noch bei 9,2 Prozent. Andere Länder stellen ihre Rentner besser. Sind die Renten tatsächlich eine Überforderung der Leistungsfähigkeit der Beschäftigten? In meiner berufstätigen Zeit betrug der Beitragssatz zur Rentenversicherung fünf Jahre lang 19,9 Prozent, weitere zwei Jahre lang sogar 20,3 Prozent. Brachte uns das um?

Die Rentner überfordern auch die Beitragszahler nicht
Erst seit 2013 wird auf „Billiger Jakob“ gemacht, mit unter 19 Prozent Rentenversicherungsbeitrag (siehe dieses Balkendiagramm). Weniger Beiträge zahlen und immer noch zu wenig Geld in der Rentenkasse? Na sowas! Doch nicht die Rentenausgaben laufen aus dem Ruder, sondern beispielsweise das Bürgergeld für Nicht-Bürger. Perfide ist auch ein neuerlicher zehnprozentiger „Boomer-Soli“ ab 1.048 Euro Monatsrente. Erfinder sind vom Bund gutbezahlte „Wissenschaftler“, die für sie die Drecksarbeit erledigen, schlechte Botschaften unters Volk zu bringen.

Um wessen Interessen geht es?
Schlussfrage: Was steckt eigentlich hinter der Verteufelung der umlagefinanzierten Rentenversicherung zugunsten der glorifizierten kapitalgedeckten Rente? Denksportaufgabe in diesem Kontext: Was steckte hinter der Coronahype mit ihrer Maskerade und den teils verpflichtenden Massenimpfungen? Heute wissen wir teilweise, wer in welchem Umfang an der Hysterie-Kampagne sich eine goldene Nase verdient – und nicht anders dürfte es mit der Werbung für kapitalgedeckte Renten sein. BlackRock & Co. lassen grüßen! Aus eigener Erkenntnis: Als die Riester-Rente an den Start ging (ich begleitete Walter Riester damals fachlich), war sie als teilweise steuergesponserte Kapitalrente vertretbar. Doch mit dem „Alterseinkünftegesetz“ 2005 wurde die Riesterrente der Versicherungswirtschaft zum Fraß vorgeworfen. Diese verbesserte deren Einkünfte, nicht die der Riester-Sparer. Sie lohnt sich hauptsächlich für die Versicherungswirtschaft und kann daher kaum noch empfohlen werden.

„Unsere“ oder deren Demokratie?
Wenn die aktuellen Machthaber in unserem Land mit „Unsere Demokratie“ agitieren gehen, meinen sie damit ihr ureigenes, ganz persönliches Verständnis von Demokratie, nicht aber unseres. Wir wären auch beim Thema Rentenversicherung gut beraten, zu hinterfragen, wer zur Altersversorgung in unserem Land welche Positionen vertritt und warum. Und in diesem Punkt hat die SPD ausnahmsweise weniger Eigeninteressen als bestimmende Herrschaften der CDU.

Beitragsbild / Symbolbild und Bild oben: Jo Panuwat D; Bild darunter: Dilok Klaisataporn / beide Shutterstock.com

Abonnieren Sie auch unseren Telegram-Channel unter: https://t.me/Freiburger74Standard

Treten Sie dem Freiburger Standard bei

Wir senden keinen Spam! Erfahren Sie mehr in unserer Datenschutzerklärung.