Von Roderich A.H. Blümel

Einige Jura-Studenten dürften sie kennen: Die „Radbruchsche Formel„, entwickelt vom ehemaligen Justizminister der Weimarer Republik Gustav Radbruch (dessen Missbrauch des Rechts im politischen Kampf gegen die rechte Opposition u. a. hier thematisiert wurde. Inhaltlich veröffentlicht wurde sie erstmals 1946 in der Süddeutschen Juristen Zeitung im Aufsatz Gesetzliches Unrecht und übergesetzliches Recht. Die rechtsphilosophisch dünn begründete und nur philosophisch schwer haltbare Formel diente vor allem darum, wie man nun nach dem Krieg damit umgeht, dass während des Dritten Reiches von den Nationalsozialisten erlassene Gesetze befolgt und Urteile auf Grundlage dieser gefällt wurden, die man weltanschaulich ablehnte. Radbruch schrieb dazu:

„Der Konflikt zwischen der Gerechtigkeit und der Rechtssicherheit dürfte dahin zu lösen sein, dass das positive, durch Satzung und Macht gesicherte Recht auch dann den Vorrang hat, wenn es inhaltlich ungerecht und unzweckmäßig ist, es sei denn, dass der Widerspruch des positiven Gesetzes zur Gerechtigkeit ein so unerträgliches Maß erreicht, dass das Gesetz als ‚unrichtiges Recht‘ der Gerechtigkeit zu weichen hat. Es ist unmöglich, eine schärfere Linie zu ziehen zwischen den Fällen des gesetzlichen Unrechts und den trotz unrichtigen Inhalts dennoch geltenden Gesetzen; eine andere Grenzziehung aber kann mit aller Schärfe vorgenommen werden: wo Gerechtigkeit nicht einmal erstrebt wird, wo die Gleichheit, die den Kern der Gerechtigkeit ausmacht, bei der Setzung positiven Rechts bewusst verleugnet wurde, da ist das Gesetz nicht etwa nur ‚unrichtiges‘ Recht, vielmehr entbehrt es überhaupt der Rechtsnatur. Denn man kann Recht, auch positives Recht, gar nicht anders definieren als eine Ordnung und Satzung, die ihrem Sinne nach bestimmt ist, der Gerechtigkeit zu dienen.“[1]

Was aber „gesetzliches Recht“ oder „Gerechtigkeit“ sind, ist nicht nur extrem auslegungsfähig, sondern auch extremst von dem eigenen religiösen, ideologischen und weltanschaulichen Hintergrund geprägt. Radbruchs Verhalten in der Weimarer Republik dürfte für manchen Oppositionellen auch gegen „gesetzliches Recht“ und „Gerechtigkeit“ verstoßen haben, so, wie für ihn verschiedene Normen und Urteile während des Dritten Reichs dagegen verstießen. Ein Anhaltspunkt sind – wie für einen Liberalen zu erwarten – für Radbruch natürlich die Menschenrechte:

„Wo also […] Gerechtigkeit nicht einmal erstrebt wird, können die so geschaffenen Anordnungen nur Machtsprüche sein, niemals Rechtssätze […]; so ist das Gesetz, das gewissen Menschen die Menschenrechte verweigert, kein Rechtssatz. Hier ist also eine scharfe Grenze zwischen Recht und Nicht-Recht gegeben, während wie oben gezeigt wurde, die Grenze zwischen gesetzlichem Unrecht und geltendem Recht nur eine Maßgrenze ist […].“[2]

Aber auch dies ist auslegungsfähig und streitbar, genauso wie das ganze Konzept Menschenrechte an sich. Unabhängig von dieser interpretationsfähigen Offenheit und der schwachen rechtsphilosophischen Begründung – oder vielleicht gerade wegen dieser – fand die Radbruchsche Formel Eingang sowohl in die rechtswissenschaftliche Literatur, als auch in die Rechtsprechung von BVerfG und BGH. Dies ist dahingehend auch expliziter Zweck von Radbruch gewesen, als dass er mit seinem Aufsatz gerade die Richter adressierte.

Meist wird sein Artikel einfach in die Kurzform „extremes Unrecht ist kein Recht“ simplifiziert, was auch eine Überwindung beziehungsweise Korrektur des Rechtspositivismus darstellen soll. Wie oft bei den entscheidenden Fragen stehen keine dezidiert juristischen Argumente, sondern die zugrundeliegenden Rechtsphilosophien und Weltanschauungen im Mittelpunkt. Denn nach dem Rechtspositivismus hätte keine der zahlreichen Verurteilungen, die durch die Radbruchsche Formel begründet wurden, erfolgen können. Für die konkrete Anwendung ergibt sich aus seinem Aufsatz die „Unerträglichkeitsformel“ und die „Verleugnungsformel“.

Nach der Unerträglichkeitsformel wird der Richter von seiner Bindung an die Gesetze dann entbunden, wenn er sie auf unerträgliche Weise für ungerecht hält. Wenn dies der Fall ist, tritt das formelle Gesetz hinter die materielle Gerechtigkeit zurück. Radbruch hat dabei selbst anerkannt, dass man hier kaum eine genaue Grenze zwischem „richtigem“, „unrichtigem“ und „unerträglich unrichtigem“ Recht ziehen kann. Bei einem „unerträglich unrichtigem“ Recht trete der prinzipielle Vorrang des positiven Rechts zurück und auch eine geschriebene Norm müsse der materiellen Gerechtigkeit weichen. Radbruch selbst hielt diese Variante der Radbruchschen Formel für wenig trennscharf: Die Grenzen zwischen „richtigem“, „unrichtigem“ und „unerträglich unrichtigem“ Recht seien fließend und eine nur unscharf zu ziehende Frage des rechten Maßes.

Jüngere Vertreter der Formel gehen sogar soweit, „unerträglich ungerechtes“ Recht gar nicht mehr als Recht anzuerkennen.[3] Dabei können sie sich auf Radbruchs Verleugnungsformel berufen, wonach ein Gesetz, das keine Gerechtigkeit anstrebt, bereits kein Recht im Sinne des Rechtsbegriffs ist.

Die Anwendung durch die Gerichte
Wenig überraschend wurde die Radbruchsche Formel nach 1949 zur Verfolgung von Handlungen während des Dritten Reiches und des Zweiten Weltkriegs angewandt. Interessanter für die hiesige Betrachtung ist jedoch die erneute Anwendung nach der Wiedervereinigung, insbesondere in den sogenannten Mauerschützenprozessen. Dabei wurden nicht nur ehemalige DDR-Grenzsoldaten angeklagt, die Republikflüchtlinge bei ihren Fluchtversuchen an der innerdeutschen Grenze erschossen haben, sondern auch Funktionäre der SED und NVA als mittelbare Täter. Und dies, obwohl die DDR diese Handlungen explizit gesetzlich geregelt hat. Sowohl in § 17 II a VoPoG als auch seit 1982 in § 27 des Grenzgesetzes der DDR gab es für die Handlungen einen juristischen Rechtfertigungsgrund. So hieß es etwa in § 27 II S. 1 des Grenzgesetzes:

„Die Anwendung der Schußwaffe ist gerechtfertigt, um die unmittelbar bevorstehende Ausführung oder die Fortsetzung einer Straftat (die Republikflucht war eine solche Straftat nach § 213 des StGB der DDR, Anm. d. Verf.) zu verhindern, die sich den Umständen nach als ein Verbrechen darstellt.“

Dennoch verurteilte der BGH ehemalige Grenzsoldaten sowie ihre Befehlshaber wegen rechtswidrigen Totschlags gemäß § 212 I StGB. Den Rechtfertigungsgrund des § 27 II S. 1 des Grenzgesetzes der DDR erklärte der BGH dabei schlichtweg für rückwirkend nicht anwendbar, explizit durch Bezugnahme auf die Radbruchsche Formel. Denn dieser § 27 II des Grenzgesetzes verstoße gegen elementare Gebote der Gerechtigkeit, so der BGH.

Neben völkerrechtlichen Gesichtspunkten berief sich der Bundesgerichtshof hierbei spätestens in seinem Urteil vom 20. März 1995[4] explizit auf den Gedanken der Radbruchschen Formel: § 27 Abs. 2 des Grenzgesetzes verstoße gegen elementare Gebote der Gerechtigkeit und sei daher unbeachtlich.

Auch Art. 103 II GG, der gemäß dem Rechtsgrundsatz nulla poena sine lege eine rückwirkende Bestrafung verbietet, sah der BGH dabei nicht als verletzt, da es keinen Vertrauensschutz auf die Unverbrüchlichkeit einer bestimmten Staatspraxis gewähre (Hervorhebung durch den Verfasser). Das BVerfG bewertete das Urteil des BGH explizit als verfassungskonform, begründete es jedoch etwas anders hinsichtlich des Art. 103 II GG, wonach das absolut geltende Rückwirkungsverbot die ungeschriebene Schrankenklausel beinhalten würde, dass diese nicht für Fälle „außerordentlichen Unrechts“ bestände.[5] Auch der EGMR hatte dies nicht zu beanstanden.

In der sogenannten „Politbüro-Entscheidung“ wurde sodann geurteilt, dass das Grenzgesetz der DDR einer menschenrechtsfreundlichen Auslegung nicht zugänglich wäre. Daher könne es den Einsatz von Schusswaffen gegen Republikflüchtige nicht rechtfertigen. Darauf aufbauend wurden hohe DDR-Funktionäre als mittelbare Täter verurteilt. Zu den Angeklagten gehörten Erich Honecker, Erich Mielke, Willi Stoph (Vorsitzender des Ministerrats), Heinz Keßler (Minister für Nationale Verteidigung), Fritz Streletz ( Stellvertretender Minister für Nationale Verteidigung und Chef des Hauptstabes der NVA) und Hans Albrecht (Mitglied des Nationalen Verteidigungsrats und des SED-Zentralkommitees). Weiter wurden zehn ehemalige Generäle beziehungsweise Admiräle der NVA wegen den Befehlen über Maßnahmen an der innerdeutschen Grenze angeklagt. Die Verfahren endeten größtenteils mit jahrelangen Haftstrafen. Insgesamt kam es zu 112 Verfahren gegen 246 Personen, die sich als Schützen, mittelbare Täter oder Tatbeteiligte vor Gericht verantworten mussten. Darunter waren zehn Mitglieder der SED-Führung, 42 führende Militärs und 80 ehemalige Grenzsoldaten. Dabei muss man berücksichtigen, dass es sich bei den Mauerschützen teilweise um junge Männer handelte, die in der DDR geboren und sozialisiert worden waren und für die die Gesetze der DDR und die immerwährende Existenz dieses Staates mindestens ein so sicherer Fakt waren, wie es die heutigen Zustände für die heutigen Verantwortungsträger sein dürften. Davor, dass nach der Wende der ideologische Gegner seine eigenen Interpretationen und Rechtsvorstellungen auf sie anwendet, hat sie dies jedoch nicht bewahrt.

Politikerhaftung und der Straftatbestand der Untreue
Es ist daher nur gerecht, auch das Handeln der heutigen Verantwortungsträger nach einer grundsätzlichen Wende einer solchen rechtlichen Prüfung aus anderen Blickwinkeln zu unterziehen. Um einmal die ganz heißen Eisen wie die Frage der (illegalen) Massenmigration sowie deren Begleiterscheinungen außen vor zu lassen, soll dies beispielhaft am Straftatbestand der Untreue veranschaulicht werden. Dabei ist zunächst Folgendes vorauszusetzen: Wir haben eine politische Klasse, die sich durch die Parteien den Staat zur Beute gemacht hat und systematisch die Vermögenswerte dieses Volkes plündert, verschleudert und sich daran bereichert. Die Fälle von Korruption und ähnlichen Vermögensdelikten sind mittlerweile zahlreich: Das Fiasko um die Verträge der Autobahn-Maut (Schaden: 243 Millionen Euro), „Cum Ex“ (150 Milliarden Euro) und  Maskendeals (wohl 2,3 Milliarden Euro) sind nur drei Beispiele. Dabei ist die Justiz in den höheren Gerichten und in den Staatsanwaltschaften deutlich politischem Einfluss ausgesetzt, bei den Staatsanwaltschaften kommt zudem die Weisungsgebundenheit zu. Gegen den für das Fiasko um die Autobahn-Maut verantwortlichen ehemaligen Verkehrsminister Scheuer wurden beispielsweise staatsanwaltliche Ermittlungen wegen Untreue wieder eingestellt – ob es hier eine politische Weisung gab, weiß die Öffentlichkeit nicht.

Dabei ist die Anwendung des Untreuetatbestandes für Politiker durchaus anerkannt, auch wenn es zu Verfahren meist mehr auf kommunaler Ebene kommt. Für eine Untreue nach § 266 StGB bedarf es einer Vermögensbetreuungspflicht. In einem Aufsatz heißt es dazu:

„Bei Verhältnissen, die auf Gesetz beruhen, ist eine Vermögensbetreuungspflicht im kommunalen Bereich nicht nur für Landräte und (Ober-)Bürgermeister anerkannt, sondern – soweit ersichtlich überwiegend vertreten – auch für die Mitglieder der Gemeindevertretung. […] Eine solche Vermögensbetreuungspflicht lässt sich wie folgt begründen: § 48 BeamtStG regelt die Pflicht des Beamten zum Ersatz von Schäden im Innenverhältnis, für deren Geltendmachung über die Spezialnorm des § 77 I HESGO die Gemeindevertretung zuständig ist, deren Gemeindevertreter eine besondere Treu(e)pflicht gegenüber der Gemeinde haben (vgl. exemplarisch §35 HESGO II S. 1  iVm § 26 S. 1 HGO). Die Geltendmachung steht nicht im Ermessen und korrespondiert auch mit dem Haushaltsgrundsatz der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit. Dieser ist bei jeder einzelnen, haushaltsrelevanten Maßnahme zu beachten. Damit ist dieser Grundsatz von jedem einzelnen Gemeindevertreter, auch bei der Entscheidung, ob ein Schadensersatzanspruch geltend gemacht wird oder nicht, zu beachten. Nach gefestigter BGH-Rechtsprechung ist es dabei anerkannt, dass Verstöße gegen (solche) haushaltsrechtliche Prinzipien eine Pflichtwidrigkeit iSd § STGB § 266 StGB darstellen können. Dabei kommt es auf eine „gravierende“ Pflichtverletzung gerade nicht an.“[6]

Durch die Garantenstellung steht strafrechtlich auch ein Unterlassen einem Tun gleich, wodurch der Straftatbestand der Untreue auch durch ein Unterlassen geschehen kann. Die Anwendung auf Minister und nicht nur auf Gemeinderäte ist nicht nur juristisch stringent, sondern gerade im Sinne des Rechtsschutzes geboten.

Die Unerträglichkeit der Zustände und ihre juristische Aufarbeitung
Wer wird es nicht als „unerträglich“ empfinden, dass etwa der Steuerzahler im Jahr bis zu 136.500 Euro für die Maskenbildnerin von Annalena Baerbock ausgegeben hat?[7] Oder dass Politiker vorsätzlich oder grob fahrlässig Milliardenbeträge in den Sand setzen und es keine Folgen hat? Oder es als unerträglich bewerten, dass eine politische Kaste die Justiz im Würgegriff hält und dadurch in der Regel keine Strafverfahren gegen sich fürchten muss oder diese schlicht einstellt – mit der denklogischen Folge, dass die dadurch bedingten Verjährungen für eine juristische Aufarbeitung nach einem Lösen dieser Umklammerung nicht gelten können? Wer würde es nicht für „unerträglich“ empfinden, wenn sich diese Kaste durch legale Gesetze und Beschlüsse teils ins Absurde gehende Summen aus Steuergeldern aneignet, etwa ein jährliches Gehalt von 300.000 Euro als Intendantin beim öffentlichen Rundfunk mit lebenslangem 18.900 Euro monatlichen Ruhegehalt[8] – und ein Rückwirkungsverbot aus Art. 103 GG folgerichtig nicht für einen nach der Wende zu schaffenen Straftatbestand über die ungerechtfertigte Aneignung von Volksvermögen gelten kann? Die Bandbreite der Unerträglichkeiten in dieser Republik kann nahezu endlos fortgeführt werden, von Nordstream 2 über Corona-Maßnahmen hin zum Dulden US-amerikanischer illegalen Überwachungsmaßnahmen bis zum Gipfel der Unerträglichkeit: Der Migrationspolitik und ihren Folgen. Wer täglich die Nachrichten sieht, wird tägliche Unerträglichkeiten finden. Die mit einer entsprechenden Aufarbeitung Betrauten hätte also mehr als genug zu tun.

Recht, das keine Gerechtigkeit anstrebt
Die Radbruchsche Formel kann jedoch auch auf bestehende Gesetze angewandt werden. „Ein Recht, das keine Gerechtigkeit anstrebt“ ist abermals enorm auslegungsbedürftig und vom eigenen politischen Standpunkt abhängig. Aus rechter Sicht kann man sagen: Gesetze, die einseitig die Meinungsäußerung von Deutschen beschränken (Volksverhetzung), die einen völlig unbestimmten und willkürlichen Tatbestand haben oder die historische Forschung kriminalisieren (§ 86a StGB) oder auch die herrschende politische Klasse strafrechtlich vor Kritik schützen (§ 188 StGB) streben keine Gerechtigkeit an. Weisungen an Staatsanwaltschaften, gegen Oppositionelle nur aufgrund ihrer politischen Meinungen Verfahren zu führen beziehungsweise nicht einzustellen, streben genauso keine Gerechtigkeit an und sind auch nicht „menschenrechtskonform auslegbar“. Staatsanwälte, die in zentralisierten Stellen politischen Oppositionellen, die etwas Kritisches in sozialen Medien geschrieben haben, die Wohnungen durchsuchen und Telefone beschlagnahmen lassen und darüber auch noch vor laufenden Kameras hämisch lachen, streben ebenfalls garantiert keine Gerechtigkeit an.

Die praktische Anwendung
Angesichts der Tatsache, dass sowohl nach 1945 als auch nach 1989 auch gegen einfache Soldaten, die sprichwörtlich nur Befehle befolgt und bestehende Gesetze angewandt haben, der Liberalismus keine Ausnahmen bei der Anwendung seiner eigenen Rechtsvorstellungen gemacht hat, können auch liberale Volljuristen und Politiker guten Gewissens zur Verantwortung gezogen werden. Die praktische Anwendung dabei ist einfacher als vielmals gedacht. Radbruch selbst wollte den zum Teil sogar mit Nichtjuristen besetzten „Staatsgerichtshof zum Schutz der Republik“ in der Weimarer Republik als Sondergericht gegen den „Rechtsradikalismus“ interpretiert sehen (siehe dazu hier). Auch die aktuell bestehenden Gerichte und ihre Zuständigkeiten sind nicht in juristischen Stein gemeißelt. Ein zentrales Gericht zur Aufarbeitung des Unrechts des Liberalismus und eine eigene Staatsanwaltschaft dafür können schlicht neu geschaffen werden und es braucht auch keine Revisions- oder Berufungsinstanz. Solche Verfahrensregelungen kennt auch die aktuelle Rechtsordnung. So kann zum Beispiel gegen bundesweite Vereinsverbote nur Klage vor dem Bundesverwaltungsgericht ohne weitere Instanz danach eingelegt werden. Eigene Staatsschutzstaatsanwaltschaften gibt es ebenfalls aktuell schon und werden aktuell auch teils ausgebaut, wie etwa ganz aktuell in Baden-Württemberg. Wenn zusätzlich auch noch das BVerfG mit Richtern besetzt ist, die die aktuellen Zustände auch als „unerträglich“ und „nicht Gerechtigkeit anstrebend“ bewerten, ist die rechtsstaatliche Aufarbeitung abgesichert. Dafür bedarf es nicht einmal ein Abweichen von der höchstrichterlichen Rechtsprechung oder der zugrundeliegenden Rechtsphilosophie, sondern nur eine von den herrschenden Eliten abweichende Subsumtion, welche Sachverhalte alles unerträglich und ungerecht sind. Dies bedeutet nicht, dass eine eigene Rechtsphilosophie und -theorie obsolet wären. Auch wäre die Legitimität ein solches Vorgehen nach einer Wende gegeben und braucht nicht auf die Bewertung anhand liberaler Kategorien Rücksicht zu nehmen. Jedoch kann jedem Kritiker besten Gewissens entgegenhalten werden, dass man nur die Rechtsprechung und Rechtsauffassung der Vorwendezeit weiterführt. Vor allem braucht es aber eins: den politischen Willen und Unerbitterlichkeit. Auch für eine  juristische Aufarbeitung nach einer grundsätzlichen politischen Wende wird daher zuallererst das Wort des deutschen Dichters Gottfried Benn gelten:

Habe Mangel an Versöhnung, schließe die Tore, baue den Staat!“

[1] Gustav Radbruch: Gesetzliches Unrecht und übergesetzliches Recht. SJZ 1946, 105-108 (107).

[2] Gustav Radbruch: Vorschule der Rechtsphilosophie. 2. Auflage, Göttingen 1959, S. 34.

[3] So etwa Robert Alexy in: Robert Alexy: Begriff und Geltung des Rechts, S. 201.

[4] BGH, Urteil vom 20.03.1995 – 5 StR 111/94.Mauerschützen III

[5] BVerfG, Beschluss vom 24. Oktober 1996, Az. 2 BvR 1851/94.

[6] Hartmannshenn/Roth: Praxisfragen zur persönlichen Haftung kommunaler Wahlbeamter, NVwZ 2024, 1201.

[7] https://www.zdf.de/nachrichten/panorama/baerbock-maskenbildnerin-100.html

[8] https://www.focus.de/kultur/rbb-skandal-im-kampf-um-ihr-riesengehalt-verzieht-schlesinger-keine-miene_id_260638583.html

Beitragsbild / Symbolbild und Bild oben: MaxZolotukhin; Bild in der Mitte: Mo-Photography-Berlin; Bild unten: Brian-A-Jackson / alle Shutterstock.com

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