Von Roderich A.H. Blümel
In den vergangenen Jahren kommen zunehmend mehr Menschen in Deutschland mit politischer Repression in Kontakt. Sei es als direkt betroffene oder durch Wahrnehmung im eigenen Umfeld oder durch die mediale Berichterstattung, spätestens seit dem Verbot des Compact Magazins und der Instrumentalisierung des Verfassungsschutzes zur Bekämpfung der AfD dämmert vielen in unserem Land, dass es eine politische Polizei, einen politischen Geheimdienst, politische Verwaltungs- und Gerichtsprozesse sowie eigene politische Sondergesetze gibt. Kurzum: Sie nehmen wahr, dass Repression existiert.
Die Fortsetzung der Politik: Repression
Repression ist dabei die Fortsetzung der Politik mit staatlichen Machtmitteln. Demnach hat sie immer einen staatlichen Charakter, wobei staatlich geduldete oder geförderte Aktionen durch nichtstaatliche Akteure auch Werkzeuge eines repressiven Apparats sein können. So sind etwa V-Leute des Verfassungsschutzes keine staatlichen Akteure, werden aber von der Behörde Verfassungsschutz natürlich gezielt zur Repression eingesetzt. Genauso haben illegale Denunziationen auf anonymen Internetseiten, bei denen linksextreme „Journalisten“ Geheimdienstinformationen öffentlich verbreiten und keine strafrechtlichen Konsequenzen fürchten müssen oder „zivilgesellschaftliche“ Blockaden rechter Demonstrationen, die von der Polizei geduldet und geschützt werden, repressiven Charakter. Verfassungsschutz und Co. sind jedoch kein neues Phänomen, wir können auf rund zweihundert Jahre an Repression in Deutschland zurückblicken. Der Blick zurück lohnt dabei nicht nur aus geschichtlichem Interesse, sondern auch, weil immer wieder ähnliche Institutionen und Paragraphen auftauchen.
Karlsbad oder: Wie alles begann
Der erste umfassende Ansatz dazu stellten die Karlsbader Beschlüsse dar, die vier Gesetze umfassten: die Exekutionsordnung, das Universitätsgesetz, das Preßgesetz (Pressegesetz) und das Untersuchungsgesetz. Diese richteten sich gegen die junge deutsche Nationalbewegung, die der Restaurationspolitik schon länger ein Dorn im Auge war. Sowohl die Ermordung des russischen Spions und Feind der Nationalbewegung Kotzebue durch den nationalistischen Burschenschafter Ludwig Sand als auch die antisemitischen Hepp-Hepp Unruhen in Würzburg, die die Obrigkeit als revolutionär einstufte und für die man die Nationalbewegung verantwortlich machte, gaben den Anlass zu der umfassenden Bekämpfung der Nationalbewegung. Die Folgen waren erheblich: Zahlreiche Burschenschaften wurden verboten, ebenso wurden die Turnplätze der Turnbewegung rund um den „Turnvater“ Jahn geschlossen und von 1820 bis 1842 eine Turnsperre eingeführt. Gleichzeitig wurden Presse und Buchdruck zensiert – alle Druckerzeugnisse unter 320 Seiten unterlagen einer Vor-, alle längeren Werke einer Nachzensur – und national gesinnte Professoren bekamen Berufsverbot.
Frühe Zensurbehörden
Mit der „Mainzer Zentraluntersuchungskommission“ hatte man zur Überwachung dessen eine Art Vorgänger des Verfassungsschutzes geschaffen. Ihre Aufgabe war insbesondere die Kontrolle der Studenten und Professoren, aber auch von unbequemen Schriftstellern. Die Lokalbehörden hatten sie über den Stand der Verfolgung nationalgesinnter Personen zu unterrichten, von Mainz aus wurde ihre Verfolgung bundesweit koordiniert. Mit dem Preußischen Zensuredikt von 1819 wurde die Zensurfreiheit von Universitätsprofessoren aufgehoben, eine Kabinettsorder von 1820 ging sogar noch weiter und plante die Reinigung von „Behörden, Konsistorien, Schulen und Universitäten von gefährlichen Irrtümern, Verführern und Verführten“. Die jahrhundertelange Gerichtsbarkeit der Universitäten wurde dafür aufgehoben, Universitätsrichter wurden staatliche Beamte, die vom Ministerium ernannt wurden. 1822 legte eine weitere Kabinettsorder auch die Entlassung von Geistlichen bei politischem Fehlverhalten fest. Der bekannte Dichter E. T. A. Hoffman, selbst von 1819 bis 1821 Kammergerichsrat in der preußischen Immediat-Kommission zur Ermittlung hochverräterischer Verbindungen und anderer gefährlicher Umtriebe , hat über diese behördliche Verfolgung die Satire Meister Floh geschrieben – und bekam prompt selbst Schwierigkeiten mit der Zensur und der Disziplinarbehörde.
Haft aus politischen Gründen – das Beispiel des Turnvaters Jahn
Für den einen war es Grund zur Satire, für den anderen bitterer Ernst. Der „Turnvater“ Jahn wurde bereits 1819 verhaftet und verbrachte fünf Jahre in Haft. Während dieser Zeit starben zwei seiner Kinder sowie seine erste Frau, an deren Beerdigungen er nicht teilnehmen durfte. Aufgrund der milden Beurteilung des bereits erwähnten E. T. A. Hoffmann sollte Jahn wieder wegen Mangels an hochverräterischen Tendenzen frei gelassen werden, jedoch blieb er „auf höhere Anweisung“ in politischer Gefangenschaft. Seine Freilassung erfolgte schließlich 1825 mit der Auflage, in keiner Universitäts- oder Gymnasialstadt zu wohnen. Auch aus seinem Umfeld wurden mehrere Turner festgenommen und/oder erhielten Berufsverbot, teilweise erfolgte die Emigration ins Ausland. Auch Ernst Moritz Arndt bekam Probleme, bereits 1819 erfolgten erste Beschlagnahmungen bei ihm, 1820 folgte die Suspendierung vom Lehramt. Im folgenden Jahr wurde das Verfahren wegen „demagogische Umtriebe“ gegen ihn eröffnet, zwar folgte nie ein Schuldspruch, aber auch kein Freispruch. Die Erlaubnis zum Abhalten universitärer Vorlesungen wurde ihm – unter Weiterbezug seines Gehalts – dennoch entzogen, 1826 musste Arndt schließlich sein Professorenamt ganz niederlegen. Neben solchen Ikonen der Nationalbewegung waren vor allem Burschenschafter im Visier der Repression, 1821 legte eine Kabinettsorder fest, dass bereits der Verdacht der Zugehörigkeit zu einer Burschenschaft eine Relegation ohne Gerichtsuntersuchung rechtfertigt. Drei Jahre später wurden alle Studentenverbindungen geheimen politischen Verbindungen gleichgestellt, womit die Kompetenz der Untersuchungsgewalt und der Strafgewalt von den Hochschulen auf die politische Polizei und der Strafgerichtsbarkeit überging.
Auf die „Dreißiger“
Gegen Ende der 1820er-Jahre hat die Repression nachgelassen, die Mainzer Zentraluntersuchungskommission beispielsweise legte 1827 ihren finalen Rechenschaftsbericht vor. Nach der sogenannten Polenschwärmerei und dem Frankfurter Wachensturm folgte jedoch zu Beginn der 1830er-Jahre eine neue Welle an Repression, mehr als 200 Studenten wurden bis 1836 wegen Hochverrats verurteilt. Allein 39 Todesurteile wurden ausgesprochen, die jedoch alle in 30 Jahre Festungshaft umgewandelt wurden. Das Buch „Ut mine Festungstid“ von Fritz Reuter gibt bis heute Auskunft darüber, ebenso Lieder wie „die Freie Republik“.
Existenzielle Vernichtung
Viel verbreiteter als Todesurteile waren die Aberkennung der Anstellungsfähigkeit, was die Zukunft vieler Studenten, insbesondere der Bereiche Theologie und Lehramt, zerstörte. Für Frankfurt als Stadt hatte es zur Folge, dass eine ständige Garnison von 2.500 österreichischen und preußischen Soldaten in dem „liberalen Nest“, wie die Stadt für reaktionäre Politiker galt, stationiert wurde. Auch das Hambacher Fest blieb nicht ohne Folge, gegen 13 Beschuldigte wurde vor dem Schwurgericht in Landau Verfahren geführt, nach ihren Freisprüchen wurden neue Prozesse wegen angeblicher Beleidigungen in Zweibrücken und Frankenthal eröffnet, die mit den von der Restauration gewünschten Verurteilungen endeten. Mit dem Maßregelgesetz vom 5. Juli 1832 wurden strengere Zensurmaßnahmen eingeführt sowie alle politischen Vereine und Parteien sowie die entsprechenden Symbole verboten. Selbst gegen Abgeordnete in den Landesparlamenten wurden eigene Bestimmungen gefällt. Doch da diese Maßnahmen immer noch zu gering erschienen, folgten 1834 die „Wiener Geheimen Sechzig Artikel“, deren repressiver Charakter so brisant war, dass sie sogar nur in Teilen durch die Bundesversammlung veröffentlicht wurden. Diese regelten unter anderem ein Berufsverbot von Studenten, die von einer Universität verbannt wurden, und auch die Pressezensur und die Einfuhr von Literatur aus dem Ausland wurde verschärft.
Die erste VS-Behörde?
Ebenso wurde Frankfurt zum Sitz der neuen Bundeszentralbehörde, die bis 1842 Ermittlungsverfahren gegen mehr als 2.000 Personen führte. Die Bundeszentralbehörde bestand aus fünf Richtern und ihren Ministerialreferenten, die vom Kaisertum Österreich, den Königreichen Preußen, Bayern und Württemberg sowie dem Großherzogtum Hessen gestellt wurde. Ihre Aufgabe:
„Die näheren Umstände, dem Umfang in den Zusammenhang des gegen den Bestand des Bundes und gegen die öffentliche Ordnung in Deutschland gerichteten Komplott“ aufzudecken.
Richterliche Gewalt kam der Behörde nicht zu, sie war eine staatspolizeiliche Institution, die Informationen über Oppositionelle (oder solche, die man dafür hielt) sammelte und diese zum Zweck der Verhaftung und Aburteilung an die Einzelstaaten weiterleitete. Auf umgekehrten Wege wurde sie von den Gerichten der Bundesstaaten mit Informationen versorgt. Somit hatte die Behörde nicht nur einen Überblick über alle politischen Verfahren, es durfte sogar kein Untersuchungshäftling freigelassen werden, bevor nicht die Zentraluntersuchungsbehörde ihre Ermittlungen gegen ihn eingestellt hatte. Erst 1842 wurde sie aufgrund des Wirkens des preußischen Königs Friedrich Wilhelm IV. vertagt, ihre Auflösung erfolgte erst 1848.
Der erste VS-Bericht?
Die von ihr gesammelten Informationen wurden im sogenannten Schwarzen Buch – offiziell: Alphabetisches Verzeichnis derjenigen Personen, gegen welche nach den Acten der Centralbehörde bezüglich revolutionärer Umtriebe im Untersuchungswege eingeschritten worden ist. Abgeschlossen den 8. August 1838 durch die Bundes-Zentralbehörde in Frankfurt a. M., vervollständigt bis 5. Sept. 1842 – gesammelt. Mit Nachtrag wurden bis 1842 insgesamt 2.140 Personen darin erfasst. Zu jedem wurden Namen und Stand, Alter, Geburtsort, Aufenthaltsort, Verhaftung, Untersuchungsbehörde, Gegenstand sowie Lage der Untersuchung festgehalten. Parallel zur Bundeszentralbehörde wurde in den Einzelstaaten die politische Polizei ausgebaut. Diese umfangreichen Repressionsmaßnahmen trieb viele Oppositionelle in die Emigration, insbesondere in die USA, wo sie als „Dreißiger“ galten. Immerhin hob der als liberal geltende preußische König Friedrich Wilhelm IV. bei seinem Regierungsantritt 1840 die meisten Urteile wieder auf. Die nächste Repressionswelle sollte jedoch nicht lange auf sich warten lassen.
Es folgten die „Forty-Eighters“
Nach dem Scheitern der Märzrevolution begann eine neue Auswanderungswelle, allein nach der Niederschlagung der Badischen Revolution wanderten etwa 80.000 Menschen und damit rund fünf Prozent der badischen Bevölkerung aus. Dies betraf nicht nur Deutschland, sondern zahlreiche europäische Länder. Hauptauswanderungsziel waren die USA, wo es neuen Einwanderer als „Forty-Eigthers“ bezeichnet wurden. Die Revolution von 1848 war zwar bekanntermaßen nicht erfolgreich, erreichte aber unter anderem die Abschaffung der geheimen Inquisitionsjustiz und die Schaffung einer öffentlichen Strafgerichtsbarkeit und einer Auflockerung der Pressezensur. Zudem verringerte sich die Repression allein schon durch den schlichten Fakt des Todes und der Auswanderung zahlreicher Oppositioneller. Dennoch blieb auch während des Biedermeiers ein gewisses Grundrauschen an Repression vorhanden, bereits 1849 wurde Karl Marxs Neue Rheinische Zeitung verboten. Dies kann gewissermaßen als Auftakt zu einem neuen Abschnitt der Geschichte der Repression in Deutschland gewertet werden: Die gegen die sich formierende Arbeiterbewegung.
Sozialistengesetze und Volksverhetzung
Geprägt ist diese zu ihrem Beginn neben Karl Marx vor allem auch durch Ferdinand Lasalle, der bereits aufgrund seiner Beteiligung an der Märzrevolution 1849 zu einer Haftstrafte verurteilt und dessen Arbeiterprogramm unmittelbar nach seiner Veröffentlichung beschlagnahmt wurde. Es sollte nicht seine einzige Repressionserfahrung sein, denn Lasalle wurde später erneut wegen seiner Forderung nach einem allgemeinen, gleichen und geheimen Wahlrecht in Preußen verurteilt. Ein Beginn der Repression gegen die Arbeiterbewegung kann jedoch im Kölner Kommunistenprozess von 1852 gesehen werden, der preußische König Wilhelm IV. gab zuvor in einem Brief an seinen Ministerpräsidenten kund, dass es die Aufgabe sein müsse, mit allen Mitteln „das Gewebe der Befreiungsverschwörung“ auszuspionieren. Dem „preußischen Publikum“ solle das „ersehnte Schauspiel eines aufgedeckten und (vor allem) bestraften Komplotts“ geliefert werden. Der politische Charakter der Repression kommt hier deutlich hervor. Eine solche Verschwörung wurde unter Mitwirkung der Polizeibehörden anderer Bundesstaaten schließlich 1851 gefunden, angeklagt wurden Mitglieder des Bundes der Kommunisten, die für die Revolution 1848/49 verantwortlich gemacht wurden. Konkret wurden sie beschuldigt „im Laufe der Jahre 1848, 1849, 1850 und 1851 zu Köln ein Komplott gestiftet zu haben, dessen Zweck war, die Staatsverfassung umzustürzen und die Bürger und Einwohner gegen die königliche Gewalt und gegeneinander zur Erregung eines Bürgerkrieges zu bewaffnen. Verbrechen gegen Art. 87, 89 und 91 des Rheinischen und § 61 Nr. 2 und § 63 des Strafgesetzbuches für die preußischen Staaten.“ Aufgrund gefälschter Beweise kam es zu sieben Verurteilungen mit bis zu sechs Jahren Festungshaft und lebenslanger Polizeiaufsicht.
Verfolgung per Gesetz
Bekannter als solche Prozesse ist jedoch vor allem das allgemein als Sozialistengesetz bezeichnete Gesetz gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie, das von 1878 bis 189 Bestand hatte. Mit seinen insgesamt 30 Paragraphen verbot es sozialistische, sozialdemokratische und kommunistische Vereine sowie Versammlungen und Schriften, deren Zweck der Umsturz der bestehenden Staats- und Gesellschaftsordnung sei. Die parlamentarische Immunität der sozialdemokratischen Reichtstagsabgeordneten blieb dabei interessanterweise unangetastet, sodass die Sozialdemokratie zwar organisatorisch eigentlich verboten war, dennoch immer größere Wahlerfolge erzielte. Unabhängig davon weichten viele Sozialisten ins Ausland aus, 797 Sozialdemokraten wurden nach § 28 des Sozialistengesetz als „Agitatoren“ aus Hochburgen der Arbeiterbewegung wie Berlin, Hamburg oder Frankfurt am Main ausgewiesen. Insgesamt wurden dem Historiker Ulrich Herbert zufolge rund 900 Sozialisten verbannt, 1500 zu teils langen Haftstraften verurteilt. Ob man auch die Verurteilung August Bebels und Wilhelm Liebknechts 1871 und 1872 zu zwei Jahren Festungshaft wegen Hochverrat – sie hatten sich gegen den Deutsch-Französischen Krieg 1870/71 ausgesprochen und mit der sozialistischen Pariser Kommune von 1871 solidarisiert – als Repression zählen will, ist sicherlich diskutierbar. Ebenso kann man darüber streiten, ob die Strafbarkeit der Majestätsbeleidigung ein repressiver Straftatbestand war – immerhin gab es zwischen 1882 und 1918 mehr als 12.000 Verurteilungen deswegen. Rosa Luxemburg wurde etwa noch 1904 wegen des Satzes „Der Mann, der von der guten und gesicherten Existenz der deutschen Arbeiter spricht, hat keine Ahnung von den Tatsachen“, der Bezug auf die Behauptung Kaiser Wilhelms II., er verstehe die Probleme des deutschen Arbeiters besser als jeder Sozialdemokrat, nahm, zu drei Monaten Festungshaft verurteilt.
Volksverhetzung: Zum Wandel eines Paragraphen
Auch der heute vielfach bekannte § 130 StGB – Volksverhetzung – begegnet uns in diesem Abschnitt der Geschichte wieder. Ursprünglich als „Klassenkampfparagraph“ bezeichnet, umfasste sein Wortlaut von 1871:
„Wer in einer den öffentlichen Frieden gefährdenden Weise verschiedene Klassen der Bevölkerung zu Gewalttätigkeiten gegen einander öffentlich anreizt, wird mit Geldstrafe bis zu zweihundert Thalern oder mit Gefängniß bis zu zwei Jahren bestraft.“
Ein Vorbild dessen wurde in Frankreich bereits 1819 erlassen, 1849 folgte seine Einführung in Preußen als Verordnung, dem sich 1851 seine Übernahme als § 100 in das Preußische Strafgesetzbuch anschloss. Bekanntermaßen richtet sich der Volksverhetzungsparagraph heute nicht mehr gegen Aufrufe zum Klassenkampf, sondern gegen „rechte“ Aussagen, dennoch kann er damit auf eine mehr als 150-jährige Geschichte zurückblicken. Die Repression gegen „rechts“ war im Kaiserreich – im Gegensatz zu heute – gering. Dies liegt vor allem auch an dem Wesen der „rechten“ Bewegung im Kaiserreich, die maßgeblich eine Kulturbewegung war und kaum tatsächlich politische und erst recht keine revolutionären Aktivitäten entfaltete. Die völkische Bewegung beschäftigte sich maßgeblich mit Runen- und Altertumserforschung sowie Rassenkunde und der sogenannten „Judenfrage“. Auch wenn einzelne ihrer Vertreter wie Julius Langbehn oder Houston Stewart Chamberlain eine große Reichweite erzielten, war sie insgesamt gesehen doch eher marginal. Die Burschenschaften als vorheriger Unruheherd waren zwar teils gesellschaftlich unangepasst, aber politisch nicht grundsätzlich oppositionell zum Kaiserreich und vor allem mehr auf ihre interne Wirkung als auf politische Aktionen nach außen konzentriert. Es gab daher weder in der Sache noch quantitativ einen Grund für repressive Maßnahmen. Anders sah dies einzig in den deutschen Teilen Österreich-Ungarns aus, wo die völkische Position der Alldeutschen Bewegung unter ihrem Leiter Georg Ritter von Schönerer unvereinbar war mit der Staatspolitik des Vielvölkerstaates. Hier kam es, im Gegensatz zum deutschen Kaiserreich, auch zu Vereinsverboten, Pressebeschlagnahmungen und anderen Formen der Repression. Im Kaiserreich machte die völkische Bewegung erst im Ersten Weltkrieg damit wirkliche Erfahrungen, als viele ihrer Zeitschriften wie etwa der „Hammer“ oder die „Deutschvölkischen Blätter“ unter Präventivzensur standen und immer wieder verboten wurden. Nach Jahrzehnten der vergleichsweise geringen staatlichen Repression sollte erst die Weimarer Republik wieder eine neue Welle der Verfolgung mit neuen Institutionen und neuen Paragrafen hervorbringen.
Hinweis: Der zweite Teil des Beitrages erscheint an gleicher Stelle am Freitag, 18. Oktober!
Beitragsbild / Symbolbild: Jorm-Sangsorn / Shutterstock.com; Bilder oben: Urheber unbekannt.
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