Von Peter Snorkel

In Nordrhein-Westfalen spitzt sich der Kampf innerhalb der AfD zu. Es ist vor allem ein Kampf um Inhalte, um die Ausrichtung. Der Landeschef Martin Vincentz agiert mit harter Hand gegen tatsächliche oder vermeintliche Rechte, gegen das sogenannte Helferich-Lager. Namensgeber dieses Lagers ist der Rechtsanwalt und Bundestagsabgeordnete Matthias Helferich. Gegen diesen wurde mittlerweile durch Vincentz und dessen Mehrheit im Landesvorstand ein Parteiausschlußverfahren eröffnet (wir berichteten). Und von der Jungen Alternative wird sich ebenfalls abgegrenzt, Gelder gesperrt. Das Instrument “Parteiordnungsverfahren” dagegen wird zum ausgiebigen Kampfmittel der innerparteilichen Richtungsentscheidung eingesetzt. Nun ist der Vize von Martin Vincentz, der Dürener Landtagsabgeordnete Klaus Esser, indes selbst Gegenstand von Unregelmäßigkeiten geworden. Und die zunehmende Gängelung mit Ordnungsmaßnahmen und sogar Parteiausschlußverfahren (wir berichteten) führt dazu, dass sich immer mehr Mitglieder und Parteigliederungen in Nordrhein-Westfalen den Landeschef und seine ihm ergebenen Landesvorstandsmitglieder näher anschauen. Dass es eng werden könnte für Martin Vincentz beweist nun ebenfalls sein Gastbeitrag in der Onlineversion des Magazins “Freilich“. Unter dem Titel “Von der FPÖ lernen heißt siegen lernen – Die AfD als moderne Rechtspartei” debattiert ein Martin Vincentz über die österreichische Partnerpartei der AfD – und würdigt sie als Vorbild. Nur, warum macht Martin Vincentz dann alles anders als die FPÖ?

Nachgefragt – ein hochrangiger Insider antwortet
Der Freiburger Standard hat mit einem hochrangigen Insider gesprochen. Mit einem Insider, der beide Seiten, die der AfD und der FPÖ bestens kennt. Nennen wir ihn “Herrn Müller”, der Name ist der Redaktion natürlich bekannt. Da er in beiden Parteien nach wie vor engagiert ist, sind wir bereit, auf die Namensnennung zu verzichten. Also, was ist dran an der FPÖ als Vorbild? Wir fragen Herrn Müller.

Herr Müller, Sie kennen die FPÖ sehr gut und auch die AfD, kann man beide Parteien miteinander vergleichen?

Herr Müller: Ein direkter Vergleich ist schwer. Natürlich sind beide im deutschen Kulturraum verortet und die Probleme der beiden Staaten Bundesrepublik Deutschland und Republik Österreich sind sehr ähnlich. Da liegt es auf der Hand, das ältere Modell, das derzeit sehr erfolgreich ist, die Umfragen taxieren die FPÖ bei zirka 30 Prozent, als Vorbild anzunehmen. Nur existiert die FPÖ bereits seit 1955, das nationalliberale Lager in Österreich gibt es allerdings bereits seit rund 150 Jahren, ist eng mit den Freiheitsbestrebungen der Burschenschafter verworben. Die AfD gibt es allerdings erst seit dem Jahr 2013. Da ist es verständlich, dass es innerhalb der deutschen Partei noch gärt, wie Alexander Gauland einmal befand. Die FPÖ hingegen ist gefestigt, stark geworden auch aus Niederlagen wie der gescheiterten Regierungsbeteiligung mit der ÖVP im Jahr 1999, der dann erfolgten Abspaltung des BZÖ unter Haider.

Martin Vincentz schreibt in seinem Freilich-Gastbeitrag “Der Anspruch, Volkspartei zu sein, bedeutet: unterschiedliche Strömungen in der Partei zuzulassen, deren Ideen miteinander zu harmonisieren und nicht den alleinigen Wahrheitsanspruch für sich zu erheben.” Das ist doch ein Allgemeinplatz, oder? Und wie ist das in der FPÖ?

Herr Müller: In der Tat, das sollte für jede Partei gelten, die den Anspruch erhebt, eine Volkspartei zu sein. In der FPÖ ist das gegeben. In ihr gibt es völlig unterschiedliche Strömungen, die aber miteinder konstruktiv zusammenarbeiten, es geht immerhin um den gemeinsamen Erfolg. Da gibt es beispielsweise den oberösterreichischen Landesvorsitzenden Manfred Haimbuchner, der in einer Koalition mit der ÖVP erfolgreich Landespolitik betreibt. Von ihm ist bekannt, dass er eher der Typ der leisen Töne ist. Er wägt vorsichtig ab, was er sagt. Der derzeitige Parteivorsitzende Herbert Kickl ist dann eher das Gegenteil, jemand, der Klartext redet. Er lässt sich nicht vorschreiben, was er sagen darf und was nicht. Ein Beispiel: Er kritisiert die festgewachsenen parteipolitisch bedingten Strukturen in Österreich konkret als “System”, das abgeschafft werden muss. Ein AfD-Politiker wird schon allein aus Angst vor einer Erwähnung im Verfassungsschutzbericht vorsichtig sein und das Wort “System” vermeiden. Die FPÖ spricht somit unterschiedliche Wählergruppen an. Da gibt es beispielsweise Martin Graf, der das Format “Elder Statesman” darstellt oder Dagmar Belakowitsch und Petra Steger, die selbsbewusste Frauen sind. Die FPÖ ist sich darüber im Klaren, dass man den Wähler auf verschiedenen Ebenen ansprechen muss. Bei der AfD in Nordrhein-Westfalen sehe ich das allerdings nicht. Der Landesvorstand betreibt eine einseitige Lagerpolitik. Dabei sind die beiden tonangebenden Lager so stark, dass es ein ewiger Kampf sein wird. Anstatt sich zusammenzuraufen, beispielsweise Vorstandsposten im Reißverschlußverfahren zu besetzen, wird sich munter weitergestritten. Anstatt einzusehen, dass es mehrere Flügel in der Partei gibt, ist man fast in Todfeindschaft miteinander verbunden, bekämpft sich aufs Messer. Das ist ein großer Unterschied zur FPÖ, in der es aber naturgemäß auch Richtungsstreit geben kann, keine Frage, dieser aber in der Regel sachlich geklärt wird.

Martin Vincentz fordert in seinem Gatbeitrag: “Wir müssen also in Sachen Verwurzelung, Professionalität und Umfragewerten endlich nachhaltig zur FPÖ aufschließen. Dafür braucht es klare Strukturen, klare Kommunikation und ein gewinnendes Auftreten. Die AfD ist nicht käuflich.” Was sagen Sie dazu, ist das bei der FPÖ auch so?

Herr Müller: Mich wundert, dass Martin Vincentz so spricht, denn sein Landesverband handelt völlig konträr. Ein Beispiel? Für eine erfolgreiche Kommunikation ist es nicht wichtig, wie man in den öffentlich-rechtlichen Medien ankommt. Der ÖRF ist vergleichbar mit dem Rotfunk WDR, vielleicht noch schlimmer. Da gibt es nichts zu gewinnen. Die FPÖ setzt deshalb bereits seit Jahren auf Medien des Vorfelds. Nahezu jeder kennt das Freilich-Magazin, die Wochenzeitschrift ZurZeit, das Info-DIREKT-Projekt, früher die AULA, den Heimatkurier, aber auch den Attersee-Report oder das Junge Leben, den Eckart, das ehemals sehr reichweitenstarke Online-Portal unzensuriert.at, die Seite Status.at, den Info-Dienstleister Auf1 mit TV- und angegliedertem Nachrichtenportal. Das ist für ein kleines Land mit lediglich 8 Millionen Einwohnern recht viel. Und in allen genannten Medien kommen FPÖ-Mandatare zu Wort, die Medien sind zum Teil im Besitz von FPÖ-Politikern. Dagegen sieht die AfD in NRW überhaupt nicht ansatzweise die Notwendigkeit, über eigene oder nahestehende Medien eine Öffentlichkeit herzustellen. Man versucht es lieber bei den Mainstreammedien – und wird trotzdem benachteiligt. Dagegen distanziert man sich auch gerne von anderen Parteifreunden, um anerkannt zu sein. Von Martin Vincentz sind mehrere Interviews bekannt, in denen er sich beispielsweise scharf von Björn Höcke distanziert. Anstatt zu sagen, man folgt in NRW einer anderen inhaltliche Linie als in Thüringen, macht man in NRW den Parteifreund einfach schlecht. Das ist eine desaströse Kommunikationspolitik. Das macht die FPÖ völlig anders. So distanziert man sich bei der FPÖ beispielsweise auch nicht von den Identitären, Martin Vincentz geht aber gegen identitäre Strömungen vor. Von Kickl heißt es da lediglich: “Die machen ihre Politik, wir unsere”. Er erklärt die Identitäre Bewegung sogar zur NGO, adelt sie damit. Es muss sich eben von nichts distanziert werden. Der Vincentz-Gegenspieler Matthias Helferich hat das allerdings erkannt, bespielt die Medien des Vorfelds sehr geschickt, ist offen für Politikansätze außerhalb der Partei.

Und das Argument, man sei “nicht käuflich”? Wie begegnet man dem Argument?

Herr Müller: Da unterscheidet sich die FPÖ grundlegend von der AfD. Man nehme zum Beispiel die Abgeordneten des Nationalrats, dem Pendant zum Bundestag. Jeder FPÖ-Abgeordneter hat eine abgeschlossene Ausbildung. Die Quote der Freiberufler und Selbständigen ist sehr hoch. Die Abgeordneten sind sich bewusst, dass sie nur auf Zeit gewählt sind. Wird jemand nicht ins Parlament gewählt, ist das in der Regel kein Beinbruch, man arbeitet im alten Beruf einfach weiter. Bei der AfD hingegen ist die Quote derjenigen hoch, die von der Partei leben. Das ist für eine Partei immer gefährlich. In nicht wenigen Parlamenten in Deutschland sitzen AfD-Vertreter, die strenggenommen nicht qualifiziert sind. Das fällt mittlerweile auch auf: So geraten durch Seilschaften Vertreter in Positionen, die sie völlig überfordern. Aus einem Landesparlament sind mir beispielsweise Abgeordnete bekannt, die rein gar nichts machen, in Ausschüssen nicht eine einzige Meinung äußern, sich an Themen nicht abarbeiten. Dieses völlige Versagen ist bei der FPÖ nahezu ausgeschlossen. Da gibt es auch normalerweise den “Stallgeruch”, der Versager abhält. Um höhere Weihen zu erhalten, gibt es nur den Weg durch die Partei, so dass die Qualität gesichert bleibt. In der AfD allerdings geraten Glücksritter, Ex-CDU- und Ex-FDP-Mitglieder ohne Stallgeruch in Posten, in denen sie entweder nichts tun – oder gar das Falsche! Da muss sich die AfD dringend professionalisieren.

Martin Vincentz behauptet ferner “Wer Volkspartei sein will, der muss glaubwürdig und verlässlich zu seinen Inhalten stehen und darf nicht FDP 2.0 werden. ” Wie stehen Sie zu der Aussage?

Herr Müller: Auch das ist ein Allgemeinplatz, der für jede rechte Partei in Europa gilt. Man darf sich eben nicht anbiedern und nicht die bessere CDU oder FDP sein wollen. Das gesamte System krankt – und die genannten Parteien sind dafür maßgeblich verantwortlich. Daher wundert mich die Aussage von Martin Vincentz, denn er tut doch genau das Gegenteil davon. Er sprich mehrfach von einem Wunsch, in Regierungsverantwortung zu kommen und dafür koalitionsfähig zu werden. Das funktioniert aber nicht, indem man auf nationalkonservative Grundpfeiler verzichtet. Nur wer eine konsequente alternative Politik anbietet, wird Erfolg haben – dann kommen irgendwann auch Koalitionsangebote. Aber jetzt schon darauf zu spekulieren, ist zumindest in der Bundesrepublik und besonders in Nordrhein-Westfalen völlig unrealistisch. Bei der FPÖ hat man dagegen aus den Verwerfungen mit dem abgespaltenen Liberalen Forum von Heide Schmidt (1993) und dem abgespaltenen BZÖ gelernt. Nicht das Anbiedern steht für Erfolg, sondern das Beharren auf seine Forderungen. Das sehe ich bei der AfD in NRW aber derzeit nicht.

Der Gastbeitrag von Martin Vincentz bei Freilich ist in Ihren Augen also…

Herr Müller: Ein untauglicher Versuch, erfolgreich sein zu wollen wie die FPÖ, aber dabei nicht zu beachten, was die FPÖ zum Erfolg geführt hat. Martin Vincentz hat, so scheint es, keine Ahnung von der FPÖ. Neben zahlreicher Allgemeinplätze, man könnte auch von Plattitüden sprechen, sind im Gastbeitrag hehre Wünsche artikuliert, die aber mit dem tatsächlichen Weg, den die AfD NRW eingeschlagen hat, nicht erreichbar sein werden. Das Erfolgsrezept? Weniger Lagerdenken, Parteiordnungsverfahren und Glücksrittertum, dafür mehr konsequente Kommunikationspolitik und Freundlichkeit gegenüber dem Vorfeld sowie die Akzeptanz unterschiedlicher Strömungen. Und natürlich zahlt sich Standfestigkeit aus, man darf sich wegen eventueller Ministerposten und dergleichen politisch unter keinen Umständen prostituieren!

Wir danken Ihnen für das ausführliche Interview!

Beitragsbild / Symbolbild und unten: vladm / Shutterstock.com; Bild oben und mittig: FPÖ

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