Von Brutus Crombie

Das schärfste Sanktionsmittel einer Partei gegen unliebsame Mitglieder ist das Parteiausschlußverfahren (PAV). Voraussetzung dafür ist in der Regel ein gravierendes Fehlverhalten. Mit einem Parteiausschlußverfahren wird somit parteischädigendes Verhalten sanktioniert. In der Theorie verständlich und man denkt an schwerste Straftaten wie Betrug, Unterschlagung oder Nötigung im Parteiumfeld. Das ist im Sinne des Rechtsstaates, auch eine Partei muss das Recht haben, sich von Mitgliedern zu trennen, die der Partei schweren Schaden zufügen. Aber in dieser Republik ist es mittlerweile auch üblich, Mitglieder mit Ausschlußverfahren zu überziehen, die einer angeblichen Parteilinie widersprechen, die andere Vorstellungen des Parteikurses haben. Zwar ist das Thema Ausschluß wegen falscher Meinung auch bei den Etablierten zu finden, die Namen Sarrazin (SPD) und Max Otte (CDU) sind aktuelle Zeugen davon, aber was innerhalb der AfD mittlerweile üblich ist, ist sicherlich nicht rechtsstaatlich und nimmt Überhand. Aber warum schaut der Verfassungsschutz dabei weg und thematisiert das zum Teil skandalöse Verhalten nicht in seinen Klageschriften? Hat er etwa ein Eigeninteresse?

Das PAV: In der AfD beliebtes Sanktionsmittel
Der AfD-Bundesvorstand mag Daniel Halemba nicht. Nicht anders ist es zu bewerten, dass auf Druck des Bundesvorstands ein Parteiausschlußverfahren gegen den jungen bayerischen Abgeordneten eingeleitet wurde. Zum Vorwurf macht man ihm unter anderem die inkorrekte Aufnahme von drei (!!!) Personen in seinen Kreisverband. Dabei soll er für die Aufnahmen gar nicht selbst verantwortlich gewesen sein. Hätte da ein Parteiordnungsverfahren nicht ausgereicht? Nein, wenn man die Chance hat, jemanden aus der Partei zu entfernen, der einem anderen Lager angehört, der beliebtes Ziel der Presse ist, ist es gerade im Lager der betont liberalkonservativen Vertreter üblich, gleich Parteiausschlußverfahren zu initiieren. Nun könnte man denken, dass selbst ein Parteiausschlußverfahren nicht allzu schlimm sein kann, wenn man nichts gemacht hat. Denn die Partei müsste sich ja an Recht und Gesetz halten, keine Willkürrechtsprechung an den Tag legen, immerhin betont man ja ständig, dass man „die“ Rechtsstaatspartei überhaupt ist. Da müsste man doch gute Chancen haben, einem Willkürurteil zu entgehen. Vor Gericht und auf hoher See ist man bekanntlich in Gottes Hand. Vor einem AfD-Schiedsgericht ist man nocht nicht einmal das, wenn man Pech hat.

Lange Historie von willkürlichen Parteiausschlüssen
Erinnert sei an die Personalie Kalbitz, aktuell an Olga Petersen, aber auch an die Fürstin von Sayn-Wittgenstein oder das gescheiterte PAV gegen Björn Höcke. Wer die Parteiausschlußverfahren juristisch verfolgt hat, muss konstatieren: Man kann Fan oder Gegner von den Genannten sein, aber das grundlegende rechtsstaatliche Prozedere nicht einzuhalten, ist eben einer Rechtsstaatspartei nicht würdig. Erinnern wir uns: Die ordentlichen Gerichte haben der AfD im Zuge des Falls der ehemaligen Landesvorsitzenden Sayn-Wittgenstein beispielsweise attestiert: Es sei nicht in Ordnung, wenn der Dame beispielsweise das rechtliche Gehör, also die Möglichkeit, sich gegen Vorwürfe überhaupt äußern zu können, verwehrt würde. Man bedenke: Das rechtliche Gehör ist, das lernt bereits ein Jura-Student im ersten Semester, das A und O eines rechtsstaatlich ordentlichen Prozeßes. Gelernt hat die AfD daraus aber nicht. Es sind interessanterweise die gleichen Kreise, die hier immer wieder auffallen. Besonders der nordrhein-westfälische Landesverband tut sich hier hervor, aber auch aus Hessen und Rheinland-Pfalz sind zahlreiche Parteiordnungsverfahren bekannt, die als geplante Kaltstellungen von innerparteilichen Rivalen interpretiert werden können.

Inhalte dramatisieren – und rauswerfen?
Hält man sich oft nicht lange an förmliche rechtliche Vorgaben auf, sind auch Begründungen manchmal derart abstrus, dass man nicht selten am Geisteszustand so mancher Antragsteller zweifeln muss. Ein Beispiel? Gegen Matthias Helferich wurde jüngst – also Anfang Juni – ein Parteiausschlußverfahren wegen eines X-Posts aus dem Dezember 2023 angestrengt. Und das kurz vor dem geplanten AfD-Bundesparteitag in Essen. Rechtsmißbräulich möchte man seitens des Landesvorstands NRW wohl verhindern, dass der Bundestagsabgeordnete für einen Posten kandidiert. Das Manöver ist mehr als durchsichtig. Noch abstruser ist das Vorgehen gegen den Siegener Kreisvorstand, der kürzlich in Gänze abgesetzt wurde. Dessen Vorsitzender bekam ebenfalls ein PAV an den Hals. Als parteischädigend wird gewertet, dass Christian Zaum und sein Kreisverband 60 ad-hoc-Aufnahmeanträge kritisch untersuchte und eine Unterwanderung durch inkorrekt ausgefüllte Aufnahmeanträge befürchtete, daher rund 20 Anträge ablehnte, die Medien berichteten ausführlich. Der mittlerweile nachweisbare Versuch einer möglichen Unterwanderung war sogar Gegenstand eines Briefes von Christian Zaum an den AfD-Bundesvorstand. Man erinnere sich: Bei Daniel Halemba reichten 3 inkorrekte Aufnahmen für ein Vorgehen gegen ihn. Hier stehen 60 inkorrekte Aufnahmen im Raum – und der Bundesvorstand äußert sich nicht. Kein Wunder, benötigen Chrupalla und Co. doch dringend die Delegierten aus dem mitgliederstärksten Landesverband NRW für den Parteitag in Essen. Da schlägt man sich gerne auf die Seite des Noch-Landesvorsitzenden Martin Vincentz, dem offenbar nicht klar ist, was er anrichtet. Wer mit dem Instrument der Parteiordnungsverfahren und Parteiausschlüsse arbeiten muss, um seine Macht zu sichern, ist nämlich ein Landesfürst auf Zeit.

Die Gretchenfrage: Warum schweigt der Verfassungsschutz?
Das politische System und dessen Handlanger, die Verfassungsschutzbehörden, geben sich vor den Gerichten erhebliche Mühe, den verschiedenen AfD-Gliederungen nachzuweisen, dass deren Forderungen rechtsextrem seien, mal mit mehr, mal mit weniger Erfolg. Die anderen Parteien sprechen abwertend von den demokratischen Parteien und der AfD. Wenn der Verfassungsschutz indes klug wäre, würde er insbesondere die rechtsstaatlich fragwürdigen Parteiordnungsmaßnahmen kritisieren. Das liegt auf der Hand. Da hätte die AfD erhebliche Probleme, sich zu verteidigen. Denn Parteiausschlüsse auf Halde, Parteiausschlüsse wegen lang zurückliegender Sachverhalte, Parteiausschlüsse, bei denen unterschiedliche Maßstäbe angelegt werden, Parteiausschlüsse wegen geringfügiger Fehler, sind kein Charakteristikum einer demokratisch auch innerparteilich tadellos agierenden Partei.

Oder geschieht das alles „im Einklang“ mit dem Regierungsschutz?
Wenn man bedenkt, dass es meist die liberalkonservativen Kreise sind, die gegen angebliche oder tatsächliche „Rechtsabweichler“ vorgehen, stellt sich die Frage, ob der Verfassungsschutz nicht irgendwie mit am Tisch sitzt. Das heißt nicht, dass die Kreise um Martin Vincentz und Hans Neuhoff alles V-Männer sind. Aber denkbar ist, dass man sich den einen oder anderen Rat bei der Schlapphutbehörde einholt. Von Frauke Petry ist beispielsweise hinlänglich bekannt, dass sie sich während ihrer Vorsitzzeit mehrfach mit dem damaligen Bundes-VS-Chef Hans-Georg Maßen traf. Und auch ein hoher hessischer AfD-Funktionär steht nicht nur im Verdacht, im Austausch mit Ämtern zu sein, da gibt es mittlerweile belastbare Quellen. In solchen Fällen muss man kein offizieller V-Mann sein, aber offen für den „gutgemeinten Ratschlag“ eines VS-Beamten, der ja nur das Wohl der Partei im Kopf hat. Aber selbst wenn bestimmte AfD-Funktionäre keinen Kontakt zu einer VS-Behörde haben, ist auffällig, dass bestimmte Kreise durchaus bereit sind, die zum Teil wortwörtliche Argumentation des Regierungsschutzes zu übernehmen. Ein Beispiel ist da EU-Parlamentsneuling Hans Neuhoff, der sich unlängst nicht nur als Antragssteller gegen Maximilian Krah hervortat, sondern aus dessen Feder die Parteiausschlußanträge gegen mehrere AfD-Mitglieder aus Nordrhein-Westfalen, unter anderem auch gegen Matthias Helferich (MdB) stammen. Die Begründungen der Parteiausschlußanträge hören sich wie Vorwürfe an, die ganz woanders formuliert wurden. Das könnte auch erklären, warum NRW-Chef Martin Vincentz gerne von einer Regierungsbeteiligung schwärmt und deshalb gegen alle vorgehen möchte, die einem solchen Kurs widersprechen könnten. Und das werden erfreulicherweise immer mehr, weshalb das Instrumemt „Parteiausschluß“ fröhliche Urständ feiert. Bis einmal einer nachweist, dass solche meist ungerechtfertigt sind und vor allem nicht rechtsstaatlich geführt werden und die AfD innerhalb der eigenen Partei eben nicht rechtsstaatlich agiert. Bis dahin kann theoretisch jeder der Nächste sein …

Beitragsbild / Symbolbild und oben: Cagkan Sayin; Bild unten: Sergii-Gnatiuk / beide Shutterstock.com

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