Von Achim Baumann
Wie man mit deutschen Flutopfern umgeht, zeigt exemplarisch, welchen Stellenwert der eigene Bürger für „die da oben“, für die Regierungen und Verantwortlichen im politisch-medialen Komplex genießt. Wir erinnern uns: Vor knapp drei Jahren, am 14. Juli 2021 brach sich eine Flutkatastrophe Bahn und überflutete an Rhein und Ahr zig Tausende Häuser. Viel schlimmer war die Zahl der Toten. An der Ahr waren 136, am Rhein 49 Tote zu beklagen, die ihr Leben in den Fluten liessen. Heute weiß man, dass mehrere politische Verwaltungsebenen kläglich versagten. Nur wird niemand zur Rechenschaft gezogen. Nun ist jüngst ein besonders im Fokus stehendes Strafverfahren eingestellt worden.
Skandal reiht sich an Skandal
Eine Flut kann passieren, keine Frage. Wo in unmittelbarer Nähe zu einem Fluß gebaut worden ist, besteht immer die Gefahr, dass Wasser Grundstücke und darauf befindliche Häuser überschwemmt. Nur, warum warnte niemand davor? Immerhin steht unzweifelhaft fest, dass die europäische Wetterbehörde rund fünf Tage vorher die verantwortlichen Stellen in der Bundesrepublik warnte. Aber weder auf Landesebene noch auf kommunaler Ebene griff jemand die Warnungen auf. Und als der Brunnen nicht nur sprichwörtlich in den Brunnen gefallen war, kam die Hilfe zu spät. Im Nachgang tat man sich mit einer klaren Aufklärung schwer, und obendrein konnte die EU keine Mittel zur Verfügung stellen, da der betreffende Topf für solche Fälle angeblich schon leer war. Bis heute sieht es in den betroffenen Gebieten zum Teil schlimm aus – und zahlreiche Betroffene warten immer noch auf entsprechende Ausgleichszahlungen und Zahlungen der Versicherungen.
Versagen auch der alimentierten Medien
Und auch der öffentlich-rechtliche Rundfunk versagte damals auf ganzer Linie. Ein Bespiel: Man könnte meinen, dass der WDR in Extremsituationen umgehend eine umfassende Live-Berichterstattung gewährleisten könnte, immerhin verfügt er über elf Landesstudios innerhalb von NRW. Aber nein, in der Flutnacht liefen allenfalls Kurzhinweise. Konkrete umfangreiche Warnungen u.ä. konnte man nicht hören. Und spätestens nach dem Überlaufen der Talsperre in Wuppertal hätten die Radioverantwortlichen das Programm komplett ändern, permanent hautnah berichten müssen, waren aber offenbar überfordert. Der Branchendienst DWDL sprach im Rahmen eines Kommentars diesbezüglich sogar von „unterlassener Hilfeleistung“. Und in der Tat kann man dem Zwangsrundfunk eine Mitschuld an vielen Toten, Verletzten und zahlreichen vernichteten Existenzen geben.
Fakt ist ein totales politisches Versagen
Die Landesregierungen von Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz haben bei der Einrichtung und der Durchsetzung eines wirksamen Hochwasserrisikomanagements, der Finanzierung und Organisation des Katastrophenschutzes und der Warnung und Unterstützung der kommunalen Entscheidungsträger im Vorfeld und besonders während der Flutkatastrophe katastrophal versagt. Spätestens, als sich das Unglück anbahnte, hätten die kommunal Verantwortlichen vor Ort, die Bürgermeister und Landräte, als gesamtverantwortliche Einsatzleiter tätig werden müssen. Sie hätten ihre Aufgaben ernst nehmen und als Koordinatoren zwischen ihrem Zuständigkeitsbereich und den Landesinstitutionen fungieren müssen.Wer das nicht gemacht hat, hat kläglich versagt. Wie es anders hätte gehen können, zeigte die ähnlich tödliche Sturmflut 1962 in Hamburg und ein damaliger Polizeisenator, der alles in die Hand nahm und schnell und besonnen reagierte. Das war der spätere Bundeskanzler Helmut Schmidt (SPD). Solche Persönlichkeiten sucht man heute in der Sozialdemokratie leider vergebens.
Rücktritte reichen nicht
Rücktritte hat es zwar gegebnen, aber diese waren nicht gerade von Einsicht geprägt. Der damalige Innenminister Roger Lewentz (SPD) trat beispielsweise zurück, da in seinem Bereich zwar Fehler aufgetreten seien, aber nicht, weil er eigene Fehler gemacht habe, so die verquere Logik des Politikers. Und auch Alina Spiegel (GRÜNE) trat zurück, als der Groll gegen die zeitweise Bundesministerin und damals verantwortliche rheinland-pfälzische Landesministerin für Umwelt und Familien zu groß wurde – sie war zehn Tage nach der Flutkatastrophe mit ihrer Familie für vier Wochen in den Urlaub gefahren. Die Opfer waren ihr wohl völlig egal.
Besonders betroffen: Bad Neuenahr-Ahrweiler
Mehr als die Hälfte der 134 rheinland-pfälzischen Fluttoten stammten aus der Kreisstadt Bad Neuenahr-Ahrweiler. 69 von ihnen waren dort gemeldet. Kein Wunder also, dass sich der Fokus besonders auf den Ort und dessen Verantwortlichen richtete: Den Landrat Jürgen Pföhler. Aber das Strafverfahren gegen ihn wurde nun – nach drei Jahren Ermittlungsarbeit – eingestellt. Freuen kann sich auch ein Mitarbeiter aus dem Krisenstab, dessen Verfahren ebenfalls eingestellt wurde. Ein hinreichender Tatverdacht habe sich nicht ergeben, teilte die verantwortliche Staatsanwaltschaft Koblenz in der vergangenen Woche mit. Gegen den damaligen Landrat wird demnach keine Anklage erhoben. Die Staatsanwaltschaft Koblenz ermittelte mehr als zweieinhalb Jahre wegen des Verdachts der fahrlässigen Tötung in 135 Fällen und der fahrlässigen Körperverletzung im Amt durch Unterlassen, kam aber nun zum Schluß: „Die Flut 2021 hat alles, was die Menschen zuvor erlebt haben, weit übertroffen und war für Anwohner, Betroffene, Einsatzkräfte und Einsatzverantwortliche gleichermaßen subjektiv unvorstellbar“.
Eine magere Begründung
„Nach Angaben der Staatsanwaltschaft reichen die Ermittlungsergebnisse nicht aus für eine Anklage. Grundlage der Entscheidung waren mehrere Sachverständigengutachten. Ein Gutachter kam zum Ergebnis, dass es sich bei der Flut um eine extrem ungewöhnliche Naturkatastrophe gehandelt habe, deren Ausmaß niemand hätte vorhersehen können, auch der damalige Landrat und der Einsatzleiter nicht. Das wurde den beiden zugutegehalten“, schreibt der SWR. Dabei ist das einfach falsch! Es gab ausreichend Warnungen, es stand fest, dass eine Flutwelle anrollt und Überschwemmungen fallen nicht vom Himmel, gab es auch vor Ort schon mehrfach. Es wurde jedoch nicht gewarnt. Verantwortlich: Der Landrat. Aber es sollte wohl zu keiner Verurteilung kommen. Die Staatsanwaltschaften sind politischen Weisungen verpflichtet, da wundert die Einstellung nicht. Wirklicher Widerspruch kommt indes nur von der AfD. Die AfD Rheinland-Pfalz erklärte in einer ersten Stellungnahme:
„Die Entscheidung der Staatsanwaltschaft zur Einstellung des Verfahrens ist ein Schlag ins Gesicht für alle Opfer, Hinterbliebenen und Geschädigten. Politisches Versagen bleibt ungestraft, wenn man nur erklärt, dass die Konsequenzen des Nichthandelns unvorhersehbar waren. Wer gesetzliche Auflagen nicht erfüllt und dadurch die Einrichtung eines wirksamen Katastrophenschutzsystems versäumt, kann sich im Katastrophenfall mangels geeigneter Vorbereitung mit der Unvorhersehbarkeit der Ereignisse entlasten. Ein fatales Signal. Die Argumentation der Staatsanwaltschaft, ein Hauptverfahren dürfe nur bei hinreichender Wahrscheinlichkeit einer Verurteilung vorgenommen werden, ist natürlich vom Prinzip her richtig. Die zu Grunde liegenden Annahme der angeblichen Unvorhersehbarkeit der Katastrophe und ihres Ausmaßes teilen wir angesichts mehrerer historischer Hochwässer mit teils noch höheren Abflussmengen als 2021 nicht.“
Ein Verfahren, das wirkliche Aufklärung zum Ziel gehabt hätte, wäre zumindest ein Akt der Gerechtigkeit für die zahlreichen Opfer, den Verletzten und Geschädigten. Aber die akute Gefahr bestand nun einmal, dass das Verfahren gegen den Landrat neue Erkenntnisse in Bezug auf das Versagen der Landesregierung erbracht hätte. Das ist nun verhindert worden. Ein Schlag ins Gesicht der Opfer, wie selbst die Tagesschau einige Opfer zitierend einräumen musste.
Beitragsbild / Symbolbild: SSKH-Pictures / Shutterstock.com
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