Von Klaus Schäfer
Vor dem Jugendgericht im Amtsgericht Freiburg wurde In der letzten Septemberwoche unter Leitung von Richter Graf eine Verhandlung geführt, in welcher es um die Frage ging, ob ein Motorroller in der Nähe eines Freiburger Asylheims aufgebrochen worden war. Aus der Anklage der Staatsanwaltschaft ging hervor, dass am 8. Mai des Jahres gegen 22.45 Uhr die Angeklagten versucht hätten, einen abgestellten Motorroller aufzubrechen. Der Wert des Rollers wurde mit etwa 1000 Euro angegeben. Die Staatsanwaltschaft ordnete die Tat als gemeinschaftlich versuchten Diebstahl in besonders schwerem Fall ein.
Befragung der Angeklagten
Zunächst erfolgte, wie üblich, die Befragung der nach eigenen Angaben unter einundzwanzigjährigen Angeklagten nach ihrer Herkunft und ihrem Lebenslauf. Für die Übersetzung ins Arabische wurde ein offiziell vereidigter Übersetzer aus dem arabischen Raum bestellt. Ebenfalls anwesend war neben dem Anwalt der Betreuer der Angeklagten. Wie vom Verfasser dieser Zeilen schon bei früheren Prozessen mit Dolmetscher beobachtet, wurden die Fragen des Richters zum persönlichen Lebenslauf nicht klar beantwortet, wodurch das eine oder andere Detail verschwommen blieb. Die Öffentlichkeit war durch etwa 50 Jurastudenten vertreten, die im Rahmen ihrer Ausbildung Zuhörer bei dieser Verhandlung waren. Zunächst wurde Angeklagter A. befragt: Syrischer Staatsbürger, geboren in Syrien, besuchte zwei Jahre lang die Grundschule im Libanon, wohin auch seine Familie gezogen war. 2015 reiste der Großteil der Familie nach Deutschland, nach Freiburg zog die Familie ein Jahr später. Der Asylantrag wurde abgelehnt, die Aufenthaltsgenehmigung ist abgelaufen. So wartet die Familie auf eine neue Aufenthaltsgenehmigung. Die Familie sei wegen des damaligen Bürgerkriegs hierhergekommen. Die Eltern arbeiten nicht, der Vater sei aus gesundheitlichen Gründen nicht arbeitsfähig. Mustafa wohnt in einer Freiburger Flüchtlingsunterkunft und hat dort ein Einzelzimmer. In Freiburg besuchte er drei Schulen; den Hauptschulabschluss bestand er nicht, was er im Wesentlichen mit der Krankheit des Vaters begründete. Dieser leide an Krebs und sei deswegen schon in ein Krankenhaus eingeliefert worden. Zuletzt sei ihm, von der Schule gekündigt worden. Jetzt sei er auf Jobsuche im Sicherheitsdienst. Er wolle dort einen zweiwöchigen Kursus absolvieren, erhalte danach eine Bescheinigung als Security-Dienstleister. Ein anderer Job sei nicht in Aussicht.
Der zweite Angeklagte, H., ebenfalls syrischer Staatsbürger und dort geboren, besuchte in seiner Heimat sechs Monate lang die Schule. Mit seinen sieben Geschwistern und seinen Eltern kam er 2016 nach Deutschland. In Freiburg besuchte er drei Schulen und bestand fünf Jahre später an der dritten Schule den Hauptschulabschluss. Sein Asylantrag war erfolgreich, seine für drei Jahre erstellte Aufenthaltsgenehmigung ist abgelaufen. Zurzeit wartet er auf eine Verlängerung derselben. Zwischendurch arbeitete er im Sicherheitsdienst und als Lagerist, ansonsten hatte er keine Arbeit. Er beabsichtigt, sich für eine Kurzausbildung als Pflegehelfer zu bewerben. Einen entsprechenden Kontakt habe er aufgenommen. Er wolle erst einmal Geld verdienen und verzichte daher auf eine baldige Ausbildung in einem gelernten Beruf. Vom Jobcenter erhalte er monatlich 230 Euro, von der Familienkasse 250 Euro. Die Miete für seine Wohnung, in welcher er mit einem Freund und zwei Brüdern lebt, werde vom Amt gestellt. Der Vater arbeite als Reinigungskraft. Von der Staatsanwaltschaft erfuhr man, dass beide Angeklagte über einen Eintrag wegen Hausfriedensbruch verfügen, bei A. noch ein zweiter Eintrag, welcher inzwischen gelöscht wurde. Der Betreuer der beiden wurde vom Gericht nach seiner Einschätzung für die persönliche Entwicklung der Angeklagten befragt. Der Betreuer schätzte diese als positiv ein. Der Tatvorwurf selbst wurde von den Angeklagten bestritten. Sie hätten sich lediglich auf den Roller gesetzt und dort miteinander geredet.
Zwei Zeugen
Zum Vorwurf des versuchten Aufbruchs des Motorrollers wurden zwei Zeugen geladen, zunächst ein Herr mittleren Alters, der den Vorfall beobachtet und der Polizei mitgeteilt hatte. Der Zeuge sagte aus, dass er von seinem Balkon aus beobachtet habe, wie sich die Angeklagten zunächst auf den Motorroller gesetzt hätten. Der eine der beiden habe dann mit einer etwa 25 Zentimeter langen oben umgebogenen Eisenstange, die er aus der Innentasche seines Jacketts gezogen habe, in der Nähe des Lenkers, innerhalb einer Plastikverkleidung, hantiert. Schließlich gab es einen sehr lauten Knacks, wie wenn ein hartes Plastik bricht. Danach hätten sich beide schnell vom Tatort entfernt. Die schnell herbeigeeilte Polizei konnte zwei Männer stellen. Der Zeuge hatte daraufhin die Polizisten gebeten, ihm die Männer gegenüberzustellen, um zu erkennen, ob es sich um die beiden von ihm Beobachteten handele. Dies habe die Polizei abgelehnt mit der Begründung, dass sie dies nicht dürfe. Sodann wurde die zweite Zeugin in den Zeugenstand gerufen. Sie stellte sich als die Besitzerin des Motorrollers heraus. Dieser habe etwa 1500 Euro gekostet und sei zehn Jahre alt. Sie, die Eigentümerin und Fahrerin des Rollers, habe am nächsten Morgen keine Veränderung oder Einschränkung der Fahrtauglichkeit an ihrem Fahrzeug festgestellt.
Einstellung des Verfahrens
Aufgrund der Aussage der Zeugin waren sich Gericht und Staatsanwaltschaft schnell einig, dass das Verfahren einzustellen sei.
Ein offener Widerspruch
Über die widersprüchlichen Zeugenaussagen kann nur gerätselt werden. Dem Autor erschließen sich hier drei Möglichkeiten der Deutung: Technisch gesehen könnte der vom Zeugen im Zeugenstand mehrfach bestätigte laute Knacks nicht durch splitterndes Hartplastik, sondern durch ein Aufbrechen des Schlosses entstanden sein. Eine niedere Stufe einer mechanischen Sperre des Schlosses könnte überwunden worden sein, ohne dass das Schloss in seiner Funktionalität beeinträchtigt wurde. Schließlich könnte man dem Zeugen unterstellen, rein willkürlich die Polizei gerufen und eine Falschaussage sowohl dieser gegenüber als auch im Zeugenstand getätigt zu haben. Wirklich? Ein vergleichbarer Fall ist dem Gerichtsreporter nicht bekannt und erscheint ihm höchst unwahrscheinlich. Schließlich ist noch denkbar, dass die Zeugin zwar einen Schaden an ihrem Fahrzeug festgestellt, diesen jedoch ohne Kenntnis der Beteiligten hat reparieren lassen. Könnte Mitleid mit den Angeklagten, ihrer Herkunft, ihren Chancen auf ein ordentliches Leben in Deutschland eine Rolle gespielt haben? Oder könnte es Angst gewesen sein, hier in eine Sache verwickelt zu werden, die persönliche, unter Umständen nicht unerhebliche Folgen für die Betroffene hätte haben können? Fragen über Fragen. Der Verfasser dieser Zeilen will niemandem etwas unterstellen. Die widersprüchlichen Zeugenaussagen bleiben dennoch im Gedächtnis…
Beitragsbild / Symbolbild: corgarashu / Shutterstock.com, oben: Salivanchuk-Semen / Shutterstock.com
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