Von Achim Baumann

Es gibt Worte, die zwar fallen, aber deren Bedeutung für die große Politik offenbar nachrangig ist. Diese Worte tauchen nur verpackt in anderen Sachverhalten auf, meist hinten auf Regionalseiten oder in langen Interviews versteckt. Ein solches Wort ist „Deindustrialisierung“. Der Duden versteht unter ihr den „Rückgang der volkswirtschaftlichen Bedeutung industrieller Produktion bei gleichzeitigem Zuwachs des Dienstleistungssektors“. Rückgang? Steht also wirklich ein Rückgang bevor? Warum wird das in den Mainstreammedien nicht breit diskutiert? Und müsste man jetzt nicht bei den Staatsaufgaben sparen? Jetzt endlich umschwenken?

Wirtschaftswunder oder Niedergang des produzierenden Gewerbes?
„Scholz verspricht sich Wachstum wie zu Zeiten des Wirtschaftswunders“, schlagzeilte die WELT Anfang des vergangenen Monats. Wie passt das mit Äußerungen von Managern führender produzierender Wirtschaftsunternehmen zusammen, die vor einer Deindustrialisierung warnen? Die Stahl-, Chemie, und Papierindustrie beispielsweise verbraucht unheimlich viel Energie. Und diese ist in der rohstoffarmen Bundesrepublik nun einmal sehr, sehr teuer. Und dürfte in den nächsten Jahren nicht günstiger werden, den Grünen sei Dank! Standorte zu verlagern, reizt daher zahlreiche Unternehmen, das wird offen kommuniziert. Scholz indes meint, die hohen Investitionen im Rahmen der Energiewende könnten Deutschland wirtschaftlichen Aufschwung bringen. Soso, ein beträchtlicher Teil der Ausgaben für die Energiewende stammt immerhin aus dem Staatshaushalt und dieser wiederum finanziert sich aus Abgaben und Steuern. Und diese werden von Steuerpflichtigen und Unternehmen geleistet. Nichts neues, das dürfte jedem Schüler klar sein. Aber Milchmädchen-Rechnungen liegen der großen Politik, wenn sie zur eigenen Agenda passen. Aber wie sieht die Realität aus?

Beispiele gefällig?
Der Pharmakonzern BAYER streicht in Deutschland jede siebte Stelle. Das sind rund 4500 Mitarbeiter. „Standort Deutschland? Pharma-Riese Bayer bevorzugt USA und China“, heißt es bei der Financial Times ziemlich klar. Und beim Merkur heißt es: „Industriestandort Deutschland verlagert Arbeitsplätze zunehmend ins Ausland“. Weiter heißt es dort: „Eine Studie der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft PwC kam Ende 2022 zur These, dass bereits in wenigen Jahren mehr Autos nach Europa und Deutschland importiert werden, als ins Ausland exportiert“. Ins Land der Automobilwirtschaft? „Wir sehen momentan eine Deindustrialisierung der Autobranche, die durch den Wandel zur E-Mobilität zustande kommt“, heißt es warnend beim renommierten IFO-Institut. Das Abrücken vom Verbrenner führt also direkt zur Arbeitslosigkeit. Dabei investieren nichtdeutsche Autobauer weiterhin in den Verbrenner. General Motors investiert zum Beispiel aktuell eine Milliarde US-Dollar in weitere Verbrenner-Projekte, so heißt es: „Bei General Motors (GM) stemmt man sich aber dem Ende des Verbrenners eisern entgegen“.

Kompetenz bei Habeck?
Gut, diese Überschrift ist lediglich rhetorisch gemeint! Denn unser Wirtschaftsminister, der immerhin fertigstudierte frühere Kinderbuchautor, hat sich bereits in der Vergangenheit auf wirtschaftlichen Gebieten nicht besonders versiert gezeigt, Stichwort “Pendlerpauschale”, macht es sich einfach: Er spricht erst gar nicht großartig mit den Wirtschaftsverbänden! Denn zwanzig (!!!) Wirtschaftsverbände haben sich kürzlich in einem bekanntgewordenen Brandbrief über die spärliche Kommunikation mit der Regierung beschwert. Kein Wunder, steht das Gespenst der Deindustrialisierung im Raum. Die konkrete Kritik: Bei Gesetzesvorhaben werde die Wirtschaft zu wenig und zu spät eingebunden. Dies sei „undemokratisch und auch verfassungsrechtlich bedenklich“, protestierten unter den zwanzig Verbänden beispielsweise das Deutsche Baugewerbe und der Außenhandelsverband BGA.

Das Ergebnis: Abwanderung, Standortverlagerung, Rezession
Wer Habeck gerne als unfähig bezeichnet, ist indes schlecht informiert. Erst gestern wurde bekannt, dass er seit seinem Amtsantritt neun Referatsleiterposten in seiner Behörde nach seiner eigenen persönlichen Auswahl besetzt hat, obwohl diese Positionen eigentlich ausgeschrieben hätten werden müssen. Wo ist der mediale Aufschrei? Der Mann mag zwar keine Ahnung von Wirtschaft haben, aber geht knallhart vor, holt sich Wissensverstärkung durch Gesinnungsgenossen und wird auch weiterhin der Deindustrialisierung Vorschub leisten – bis der umgangssprachliche Kuchen des Staatshaushaltes so klein geworden ist, dass man sich keine planwirtschaftlichen Spiele und Ausgaben für Klientelpolitik leisten wird können. Aber dann könnte es zu spät sein…

Beitragsbild / Symbolbild: Engineer Studio / Shutterstock.com

Abonnieren Sie auch unseren Telegram-Channel unter: https://t.me/FreiburgerStandard

Treten Sie dem Freiburger Standard bei

Wir senden keinen Spam! Erfahren Sie mehr in unserer Datenschutzerklärung.