von Harald Noth
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier erlebte eine tiefe Demütigung, als Wolodymyr Selenskyj ihn sozusagen zur unerwünschten Person in der Ukraine erklärte und sich seinen Besuch verbat. Dem heutigen ukrainischen Präsidenten war die frühere Politik Steinmeiers als Außenminister zu russenfreundlich gewesen. Aber da Deutschland einer der besten Goldesel der Ukraine ist, gab er nach und lud Steinmeier doch ein.
Was hat Steinmeier in seiner Zeit als Außenminister gegenüber Russland falsch gemacht?
Einer der beiden entscheidenden „Fehler“ dürfte Steinmeiers Intervention in der Ukraine im Februar 2014 gewesen sein. Gerade hierüber legen die Qualitätsmedien heute meistens einen Schleier des Schweigens.
Seit 21. November 2013 gab es in Kiew Unruhen, zum Teil gewalttätige Proteste gegen Präsident Wiktor Janukowytsch. Der Präsident hatte ein zunächst in Aussicht genommenes Assoziierungsabkommen mit der EU nach Abwägung der Bedingungen abgelehnt und ein Abkommen mit Russland bevorzugt, nach dem der Ukraine erhebliche Preisnachlässe beim Gasimport gewährt worden wären; Russland wollte auch für 15 Milliarden Euro ukrainische Staatsanleihen kaufen und damit dem Land aus der Schuldenkrise helfen. Es war auch ein Beitritt der Ukraine in die Eurasische Wirtschaftsunion vorgesehen.
Die US-Botschafterin Victoria Nuland
Das führte zu heftigen Demonstrationen EU-freundlicher Kreise gegen den rechtmäßig gewählten Präsidenten. Der deutsche Außenminister Guido Westerwelle rief die Ukraine in seinen letzten Tagen im Amt öffentlich dazu auf, der EU beizutreten. Gleiches tat Victoria Nuland, ehemalige US-Botschafterin bei der NATO. Sie plante als Beauftragte des US-Außenministeriums bereits eine neue Regierung für die Ukraine, hatte genaue Vorstellungen, wer den Posten des Ministerpräsidenten zu übernehmen hätte. Ihr Favorit Arsenij Jazenjuk wurde später beim Machtwechsel tatsächlich ernannt. Aber die EU mochte sich dem amerikanischen Prozedere nicht anschließen. Nuland war darüber erbost. Das alles drang an die Öffentlichkeit durch, auch ihre Bemerkung
Fuck the EU.
Ein Alleingang ohne die USA – zunächst
Nun wollten Europäer ohne die USA handeln; der neue Außenminister Steinmeier und seine Amtskollegen aus Frankreich und Polen reisten nach Kiew und verhandelten mit Präsident Janukowytsch, den drei Führern der Opposition und einem Vertreter Russlands. Zugegen waren auch Vertreter der Mehrheit der Demonstranten. Die USA waren nicht eingeladen. Man einigte sich unter anderem auf Präsidentschaftswahlen im Dezember.
Der Kompromiss schien das monatelange Chaos zu beenden und für alle wichtigen Beteiligten ein gangbarer Weg zu sein. Der diplomatische Kompromiss hielt nicht einmal 12 Stunden. Dann brach die Hölle los,
schreibt F. Willam Engdahl in seinem 2014 erschienenen Buch „Krieg in der Ukraine“.
Scharfschützen auf dem Majdan
Scharfschützen schossen auf dem Majdan, dem Unabhängigkeitsplatz in Kiew, in die Menge und zwar auf Polizisten und Demonstranten. Sie waren auf einem Gebäude postiert, das unter der Kontrolle der neonazistischen Partei „Rechter Sektor“ stand.
Eine Massenpanik entstand, die Polizeieinheit zog sich zurück, 70 Todesopfer waren zu beklagen. Witalij Klytschko, der spätere Bürgermeister von Kiew, scherte mit seiner oppositionellen Partei aus der erzielten Einigung aus. Präsident Janukowytsch floh aus Kiew. William Engdahl ist der Ansicht, dass es sich bei den Scharfschützen um Bandera-Nazi-Kräfte handelt.
Eine neue, nicht gewählte, selbst ernannte Regierung
Es entstand eine neue, nicht gewählte, selbsternannte Regierung. In der Ostukraine wurden drei Gouverneure eingesetzt und zwar drei Oligarchen, darunter der reichste Mann der Ukraine, der 14-fache Milliardär Rinat Achmetow, dessen Wirtschaftsimperium sich im Osten der Ukraine befand. Seine „Beteiligungsgesellschaft ‚System Capital Management (SCM)‘ beherrschte 2014 fast die Hälfte des Kohle-, Stahl-, Erz- und Thermoelektrizitätsektors“.
Die „antisemitische und faschistische Swoboda-Partei“ besetzte sechs wichtige Ministerposten in der Regierung Arsenij Jazenjuk, unter den anderen Ministern waren nach Engdahl weitere Neonazis, Oligarchen, Gangster und Korrupte.
2014 ein Putsch der NATO?
F. William Engdahl betonte 2014, dass es sich hier um einen Putsch der NATO handele, der gegen Russland gerichtet sei. Das Militärbündnis habe im Hintergrund die Fäden gezogen. Involviert war damals schon Joe Biden, Vizepräsident unter Obama. Engdahl schreibt Ende April, CIA-Chef John Bennan und Joe Biden seien
nach Kiew geflogen, um der stümperhaft agierenden Putschregierung Anweisungen zu erteilen.
Durch den Sturz von Janukowitsch fühlten sich die ethnischen Russen zurückgesetzt. Die Rechtsextremen forderten das Verbot von Russisch als regionale Amtssprache im Osten, Janukowitschs „Partei der Regionen“, die im Osten bis zu 75% erreichte, wollten sie verbieten lassen. Das führte zu einem Separatismus unter den ethnischen Russen, von denen die meisten zunächst nur Autonomie in einer Föderation anstrebten.
Mit Knüppeln bewaffnete Demonstranten stürmten in ihren ostukrainischen Wohngegenden
Verwaltungsgebäude. Später setzten sich radikalere Forderungen durch; die Separatisten bewaffneten sich aus russischen Quellen und mit erbeutetem Material.
Ein immer ausufenderer Krieg
Das Putschregime hatte von Anfang an, teils durchgeführt durch rechtsextreme Formationen, einen immer mehr ausufernden Krieg gegen die Separatisten geführt, in dem bald durch Artillerie und Luftschläge erhebliche Schäden an Gebäuden und Tod und Verletzung von Bewohnern hervorgerufen wurden. Unweigerlich kam es auch zu Opfern der Kriegsführung der Separatisten.
Dieser Krieg dauerte bis zum russischen Einmarsch im Februar 2022 und bis heute. Die Städte im Donbass sehen seit Jahren teilweise aus wie Mariupol. Man geht von 14.000 militärischen und zivilen Todesopfern auf beiden Seiten seit 2014 aus. Schon 2014 flohen ca. 750.000 Ostukrainer nach Russland, 250.000 nach Kiew und andere westukrainische Landesteile. In den Medien wurde der Konflikt all die Jahre nur wenig beachtet.
Steinmeier wollte Kranz niederlegen
In dieses Wespennest begab sich Steinmeier im Mai 2014 erneut. Am 25. des Monats waren Wahlen vorgesehen, die selbsternannte Junta sollte von einer „gewählten“ Regierung abgelöst werden. Frank-Walter Steinmeier und andere aus der EU wollten dringend einen Runden Tisch anregen, bei dem sich die Konfliktparteien noch vor der Wahl in einem „nationalen Dialog“ einander annähern sollten. Doch Steinmeier wurde eisig empfangen und erreichte wenig.
Dem Fass den Boden schlug es aus, als er in Odessa einen Kranz für 38 oder mehr Terroropfer niederlegen wollte. Dort hatte ein wütender Mob ein Zeltlager überwiegend älterer Gegner der Ermächtigung in Kiew angegriffen. Sie trieben diese Menschen in das Gewerkschaftshaus und zündeten es an. Der Brand hatte über 40 Todesopfer zur Folge, von den Verletzten nicht zu sprechen. Die WELT vom 13. Mai 2014 schreibt über das Vorhaben Steinmeiers:
Entscheidend ist aus deutscher Sicht, ob die ukrainische Regierung auf die unzufriedenen Bürger im Osten und Süden des Landes zugeht. Nur so lasse sich der Zerfall des Landes stoppen. Bislang hat Kiew das aus Berliner Sicht nur unzureichend getan. Steinmeier hält das militärische Vorgehen gegen die Separatisten für falsch, weil es die Bevölkerung erst recht in deren Arme treibt. Deshalb will der Außenminister auf seiner Reise auch Signale an die eher prorussische Bevölkerung senden. Am Nachmittag war ein Besuch in Odessa im Süden des Landes geplant. Vor dem Gewerkschaftshaus wollte Steinmeier einen Kranz niederlegen. Dort waren vor knapp zwei Wochen nach gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Nationalisten und Separatisten rund 40 prorussische Aktivisten verbrannt.
Zu dieser Kranzniederlegung sollte es nicht kommen. Die lokalen Behörden vermittelten Steinmeier, dass sein Vorhaben unerwünscht sei.
Gewiss wollte auch Steinmeier damals letztlich die Ukraine an die EU binden. Doch die deutsche Politik, zumindest die von Steinmeier und Scholz, setzte und setzt mehr auf Diplomatie und das ist löblich.
Wenn der US-Chef grollt…
Aber wenn der Chef grollt, wird gehorcht. So lehnte Bundeskanzler Olaf Scholz Anfang diesen Jahres deutsche Waffenlieferungen ins Kriegsgebiet ab, ebenso wollte er bei Sanktionen gegen Russland nicht so recht mitziehen. Bei einer Pressekonferenz in Washington Anfang Februar 2022, noch vor der russischen Invasion, sprach er sich nur sehr allgemein und vage für Sanktionen aus.
Dann aber stellte am anderen Pult Joe Biden klar:
Wenn Panzer und Soldaten die Grenze der Ukraine einmal mehr übertreten, wird es kein Nord Stream 2-Projekt mehr geben.
Danach folgte ein schlecht kaschierter Umfaller. Danach knickte Bundespräsident Steinmeier ein, Nordstream 2 ist vorerst gestorben. Die Ampel droht nun das Deutsche Volk im Winter in den Wohnungen frieren zu lassen, möglicherweise sitzen wir auch im Dunkeln und können den Strom, wenn welcher da ist, fürs Kochen nicht mehr bezahlen. Die Grünen wollen von den fossilen Brennstoffen, zu denen auch Erdgas gehört, wegkommen.
Ein Traum der GRÜNEN Ideologen könnte wahr werden
Mit der Aufgabe von Nordstream 2 will die einstige Friedenspartei nicht nur Putin schaden, sondern auch eine Konkurrenz zu ihrem Wirtschaftssektor „Grüne Energie“ ausschalten – koste es, was es wolle. Ein Traum der grünen Ideologen könnte wahr werden. Zugleich könnte das Interesse der amerikanischen Kriegsfalken an einer Schwächung Russlands und an einem vertieften Zerwürfnis Deutschlands und der EU mit Russland bedient werden.
Beitragsbild: von Christian Bueltemann auf pixabay, Schriftzug mb
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