Von Jakob Maria Mierscheid

In Sachsen-Anhalt verhält es sich nicht anders als auf Bundesebene oder in anderen Ländern: die Gestaltungsmöglichkeiten einer AfD-Regierung wären enorm. Machen wir uns aber nichts vor: Sollte eine AfD-Regierung irgendwo in einem Bundesland gebildet werden, würde man diese sofort mit allen Mitteln bekämpfen. Ein Instrument hierzu wäre der Bundeszwang, früher „Reichsexekution“ genannt. Darüber wird bereits offen nachgedacht. Da die AfD darüber nicht reflektiert, muss davon ausgegangen werden, dass sie sich auf entsprechende Krisen nicht vorbereitet. So heißt es beispielsweise in einem Beitrag auf LTO von Christian Rath:

„Angesichts der Wahlerfolge einer sich seit Jahren stetig weiter radikalisierenden AfD wird derzeit viel über Szenarien nachgedacht. Wie können die demokratischen und rechtsstaatlichen Institutionen vor Missbrauch und Blockade geschützt werden? Wie kann der Bund reagieren, wenn ein Bundesland, z.B. Thüringen oder Sachsen, beginnt, die freiheitlich-demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen. Ein mächtiges Mittel kann hier der Bundeszwang gem. Artikel 37 Grundgesetz sein. Er wurde seit 1949 zwar noch kein einziges Mal angewandt. Konflikte zwischen Bund und Ländern wurden eher über Verfassungsklagen ausgetragen. Es gibt daher keine Staatspraxis zum Bundeszwang, keine Rechtsprechung und damit auch keine Diskussion der Rechtsprechung. Da die Reichsexekution (als Vorläufer des Bundeszwangs) in der Weimarer Republik mehrfach angewandt wurde, wurde der Bundeszwang in der Anfangszeit der Bundesrepublik dennoch lebhaft diskutiert. Gerade der Preußenschlag, bei dem eine autoritäre Reichsregierung 1932 das noch demokratisch regierte Land Preußen unter Reichsverwaltung stellte, weckt ungute Assoziationen. Allerdings wäre die Konstellation heute wohl eher umgekehrt. Der freiheitlich-rechtsstaatlich regierte Bund könnte den Bundeszwang nutzen, um ein auf autoritäre Abwege geratenes Land auf Kurs zu halten.“

Die von der Militärbehörde verhafteten und ihres Amtes enthobenen preussischen Polizeiminister Carl Severing, Albert Grzesinsky, Dr. Bernhardt Weiss und Kommandeur Magnus Heimannsberg.
Polizei- Vizepräsident Dr. Weiss (rechts) und der Kommandeur der Schutzpolizei Heimannsberg (links) welche verhaftet wurden.

Der Preußenschlag wird heute oft als Grundstein auf dem Weg zur Machtergreifung der Nationalsozialisten dargestellt
In Wirklichkeit richtete sich der Preußenschlag gegen die NSDAP. Zwar entmachtete Reichskanzler von Papen mit seinem von Hindenburg gedeckten „Preußenschlag“ eine SPD-Regierung. Diese damalige Regierung Preußens war jedoch eigentlich seit dem 24. April 1932 abgewählt worden. Denn Preußen war seit 1920 von einer Koalition aus SPD, Zentrum und DDP regiert worden. Im Vorfeld der Wahlen war den Parteien der Weimarer Koalition klar, dass sie ihre Mehrheit verlieren würden. Daraufhin änderten sie die Geschäftsordnung des Landtags: Während bisher im dritten Wahlgang eine relative Mehrheit genügte, um den Ministerpräsidenten zu wählen, war dazu nun eine absolute Mehrheit nötig. Ja, das kommt uns jetzt sehr bekannt vor. In diesem Zusammenhang muss an die Geschäftsordnungstricks der Altparteien bei der Wahl oder Nichtwahl von Parlamentspräsidenten erinnert werden: wenn es um tatsächliche Machtausübung geht, wird jedes Amt mit Händen und Füßen verteidigt. Im Falle Thüringens konnten wir beobachten mit welchen juristisch-praktischen Schwierigkeiten sich AfD-Funktionäre konfrontiert sehen, wenn sie „nach der Macht greifen“. Denn genau das warf ein Altparteienvertreter einem rührselig-ahnungslos wirkenden AfD-Abgeordneten Treutler vor und die Medien griffen es begierig auf: der parlamentarische Geschäftsführer der CDU, Andreas Bühl, rief dem Alterspräsidenten Treutler zu: „Was Sie hier betreiben, ist Machtergreifung.“

Können Wahlen Macht verschieben?
Die AfD hätte an diesem Tag keinen Kandidaten durchbekommen, weil sie nicht die Mehrheit hatte. Aber die alte Geschäftsordnung sah vor, dass nur sie als stärkste Fraktion Kandidaten vorschlagen durfte. Am Ende zog man nicht alle Register und gab sich mit einem Richterspruch zufrieden. Man gab klein bei. Jedes Mal wenn die Regeln verdreht werden, muss die AfD tatenlos zusehen und am Ende ganz staatsmännisch betonen, dass man die demokratischen Spielregeln akzeptiert. Die eigentliche Macht im Staat verschiebt sich nicht durch Wahlen. Wahlen können dafür sorgen, dass sich die Lage zuspitzt. Die Lage spitzt sich wie beim Preußenschlag dann zu, wenn die Altparteien keine sicheren Mehrheiten mehr bilden können. Der eigentliche Machttransfer findet jedoch an einem anderen Punkt statt. Eine Transformation und Machtübergabe findet in Krisenzeiten statt, wenn die bisherigen Machthaber die Bühne verlassen, ohne von ihren Machtmitteln Gebrauch zu machen.

Es sind rein praktische Machtfragen
Auf wen hört die Landespolizei, wenn eine AfD-Regierung übernimmt? Auf wen hört die Parlamentsverwaltung in der Interimszeit, wenn der AfD-Alterspräsident seine Agenda durchpeitschen will? Wie kann er konkret von seinem Hausrecht Gebrauch machen? Kann er laut störende Abgeordnete der Altparteien des Saales verweisen? Von wem? Immer wenn ein gewählter AfD-Amtsinhaber etwas gegen den Willen der Altparteien durchsetzen möchte, wird er sich den Vorwurf der Machtergreifung gefallen lassen müssen. Es sind dann diese Unwägbarkeiten des Ausnahmezustandes, wo die Macht eigentlich neu verteilt wird. Dort gewinnen die, die auch etwas wagen.

Das Wagnis wagen!
Als von Papen staatsstreichartig den preußischen Innenminister Severing aufforderte, die Amtsgeschäfte freiwillig abzugeben, antwortete Severing: „Ich weiche nur der Gewalt“. Finanzminister Otto Klepper berichtete später, dass er nach diesem Satz erhofft habe, Severing werde sich zur Wehr setzen, zumal Papen und der ebenfalls anwesende Reichs-Innenminister Gayl sehr unsicher gewirkt hätten. Am Nachmittag des gleichen Tages ließ sich Severing, der über eine Polizeimacht von 90.000 preußischen Polizeibeamten gebot, von einer Delegation, bestehend aus dem von Papen neu ernannten Polizeipräsidenten mit zwei Polizisten, aus seinem Büro und Ministerium vertreiben. Solche Situationen werden sich wohl in Kürze auch für AfD-Funktionäre ergeben, etwa wenn die AfD-Landesregierung eine Abschiebeoffensive beginnt und die Bundesregierung einen offenen Verfassungsbruch aufgrund eklatanter Menschrechtsverletzungen feststellt und Bundeszwang anordnet.

Klingt zu abgefahren? Mitnichten!
Darüber wird schon laut nachgedacht, siehe oben genannten LTO-Artikel von Christian Rath:

„Der Bundeszwang ist anwendbar, wenn das Land Bundespflichten verletzt. Artikel 37 steht deshalb im Grundgesetz-Abschnitt „Der Bund und die Länder“. Seine Bedeutung geht aber weit über Föderalismus-Fragen hinaus. Dies ergibt sich schon aus Artikel 28 Abs. 3 GG: „Der Bund gewährleistet, daß die verfassungsmäßige Ordnung der Länder den Grundrechten und den Bestimmungen der Absätze 1 und 2 entspricht.“ Es geht also um das große Ganze: die Bewahrung des „republikanischen, demokratischen und sozialen Rechtsstaates“ (Art. 28 Abs. 1 GG). Der Bundeszwang gem. Art. 37 GG ist ein Mittel, dieses Ziel zu erreichen.  Konkret sind zum Beispiel folgende Anwendungsfälle denkbar:
Ein Bundesland weigert sich, bestimmte Bundesgesetze umzusetzen, zum Beispiel die Unterbringung von Asyl-Antragsteller:innen, die im Asylgesetz geregelt ist.
Ein Bundesland ignoriert Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, obwohl diese gem. § 31 Bundesverfassungsgerichtsgesetz bindend sind.
Ein Bundesland verletzt seine grundgesetzlichen Schutzpflichten, indem es tatenlos zusieht, wenn Personen mit Migrationshintergrund durch rechtsextremistische Gruppen schikaniert und angegriffen werden, um diese zu vertreiben.
Die Mittel des Bundeszwangs
Laut Art. 37 GG kann die Bundesregierung beim Bundeszwang die „notwendigen Maßnahmen“ ergreifen. Diese Bestimmung ist denkbar weit und soll es auch sein.  So kann der Bund zeitweise treuhänderisch die Staatsgewalt in den Ländern übernehmen. Im Wege der Ersatzvornahme kann er so ausnahmsweise Landesgesetze beschließen oder Entscheidungen im Namen von Landesbehörden treffen.  Er kann eine Person als Beauftragte benennen, die die Staatsgewalt im Land zeitweise übernimmt, eine Art Staatskommissar:in. Diese Beauftragte ist in Art. 37 Abs. 2 GG ausdrücklich erwähnt. Der Bund und/oder die Beauftragte können Weisungen erteilen, die im Land umzusetzen sind. Auch dies ergibt sich aus Art. 37 Abs. 2 GG.

Weil es beim Bundeszwang um Zwang geht, braucht der Bund starke Zwangsmittel. So kann er sich die Polizei des Landes unterstellen, aber auch die Bundespolizei einsetzen. Auch die Landespolizeien anderer Länder kann er für den Bundeszwang einsetzen.“

Was tut Siegmund also, wenn Berlin einen neuen „Reichskommissar“ nach Magdeburg schickt und ihn aus der Kanzlei bittet?

Viele Wähler setzen große Hoffnungen in die AfD
Dabei kann die AfD auf vielfältige Weise zum Scheitern gebracht werden. In letzter Zeit ist man eher nur berauscht von den großen Wahlerfolgen und hofft auf den großen Umschwung, der über die Beteiligung oder gar die Übernahme einer Landesregierung herbeigeführt werden könnte. Wenn die Brandmauer fiele, dann wäre der Weg frei für die ganz großen Veränderungen. Tatsächlich wäre das die größte Gefahr für eine reformorientierte AfD: die feindliche Umarmung und folgende Eigen-Mäßigung, die Preisgabe wichtiger Überzeugungen. Die Verbotsrhetorik wird flankiert von Umarmungsversuchen. Jene, die die AfD seit einem Jahrzehnt bekämpfen, scheuen sich nicht, gleichzeitig als Berater aufzutreten:

„Die AfD muss sich entscheiden, ob sie wirklich regieren will, um die Wünsche ihrer Wähler wahr werden zu lassen und ihr Leben besser zu machen, denn das geht nur in der Regierung. Wenn sie gar nicht erst regieren will, betrügt und missbraucht sie ihre Wähler. Wenn sie regieren will, hat die AfD eine Verpflichtung, anschlussfähig zu werden, denn eine absolute Mehrheit mag zwar in den Allmachtsphantasien einiger ihrer Kader existieren, wird aber niemals kommen. Die AfD könnte innerhalb weniger Jahre Regierungsverantwortung übernehmen, wenn sie bereit ist, sich zu verändern. Derzeit aber leidet diese Partei, die sich als deutscheste Partei des Landes präsentiert, genau am selben Syndrom wie Deutschland: Sie hält sich für zu erfolgreich, um sich radikal zu verändern. Parlamentarisch wird sie dadurch immer bedeutungsloser, während die wirklich klugen – und anschlussfähigen – Rechten Europas wie Geert Wilders und Giorgia Meloni Land um Land, Parlament um Parlament, Regierung um Regierung erobern. Hier ist, was die AfD radikal ändern muss: Erstens, Björn Höcke muss weg. Seine Sprache der „wohltemperierten Grausamkeiten“ ist schlicht abschreckend, wenn man mehr will als einen wertlosen Wahlsieg in Thüringen. Ich weiß nicht, ob er die SA-Parole „Alles für Deutschland“ ganz bewusst genutzt hat, aber ich weiß, was ein Mann meint, der sich seine Haare so aus dem Gesicht streicht, wie er es tut.“

Wenn Julian Reichelt die Melonisierung Deutschlands vorschwebt, dann wirbt er letztlich für die Stärkung und Wiederbelebung des transatlantischen Bündnisses. Die Orientierung an den USA dient letztlich nichts anderem als der bedingungslosen Unterstützung Israels. Die Wahrheit ist: der globale Westen und der Tiefstattkomplex tolerieren oder fördern vielleicht sogar migrationskritische populistische Parteien – solange sie geopolitisch eingehegt sind. Einhegung bedeutet in erster Linie Treue zu den USA/Israel und keine wirtschaftliche Kooperation oder Annäherung an Russland.

Höcke und die Ostverbände sind es, die aktuell eine solche Einhegung der AfD verhindern
Dies wurde zuletzt bei der Frage der Wehrpflicht erneut unter Beweis gestellt. Es spricht viel dafür, dass die Umarmungsversuche auf die Bundes-AfD beschränkt bleiben werden, während man den Osten im Falle einer Regierungsübernahme eher mit Bundesexekutivmaßnahmen belegen würde. Wie weit der Gegner dabei gehen würde, ist den meisten AfD-Funktionären noch immer nicht bewusst. Längst hat man getestet, wie es um die Solidarität innerhalb der AfD bestellt ist. Wenn eine ehemalige Bundestagsabgeordnete wie Mahlsack-Winkelmann unter abstrusen Vorwürfen einfach mal in Haft genommen wird, dann reagiert die Parteispitze mit der Floskel von der Unschuldsvermutung und lässt den Dingen aber ihren freien Lauf. Weil da nicht reagiert wurde, wurde kurz darauf gleich die nächste „Gruppe“ hochgenommen und der nächste AfDler eingesperrt.

Gruppe S, Prinz Reuß – Sächsische Separatisten
Der Tiefstaat kreiert laufend neue Gruppen und Bezeichnungen wie aus der Retorte, die alle dasselbe Thema bespielen: Tag X. An Tag X wolle man zu den Waffen greifen und bürgerkriegsähnliche Zustände herbeiführen und dann mit den etablierten Politikern der Altparteien abrechnen. Als ich noch im Gruppe-S-Verfahren als Verteidiger saß, dachte ich noch, diese Verfahren dienten und entsprängen allein dem schlechten Gewissen der Regimeangehörigen. Tatsächlich dienen diese Verfahren der Gewöhnung der Bevölkerung an den Kampf gegen den inneren Feind auch mit schwersten Mitteln des Strafrechts. Es findet eine Gewöhnung an das Feindstrafrecht statt. Hier hat man auch den Punkt der Verwundbarkeit der AfD ausgemacht. Wenn schwere Geschütze gegen einzelne AfD-Politiker aufgefahren werden, dann schweigt der Rest der Partei. Teile und herrsche.

In den folgenden Artikeln werden reale Szenarien durchgespielt
Welche konkreten Maßnahmen könnte eine AfD Regierung im Osten umsetzen? Was ist nach geltendem Recht innerhalb der Kompetenzordnung für eine Landesregierung möglich? Wie viele Stellen gibt es zu besetzen? Was ist mit neuen Ministerien, Universitäten? Wie könnte sich ein Umbau der Justiz gestalten? Demnächst an dieser Stelle mehr zum Thema!

Beitragsbild / Symbolbild: nitpicker / Shutterstock.com; Bild in der Mitte: Bundesarchiv, Bild 102-13675 / CC-BY-SA 3.0; Bild unten: LizavetaS / Shutterstock.com

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