Von Albrecht Künstle
In ihrem Urteil zur Drohnensteuerung von der US-Militärbasis Ramstein aus setzten sich die höchsten deutschen Richter des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) in ihren roten Roben mit dessen Folgen im fernen Jemen auseinander; hier die entsprechende Pressemitteilung vom 15. Juli. Anscheinend erklärten sich diese Richter für alles zuständig, was irgendwo auf der Welt getan und verbrochen wird. Nicht anders ist zu erklären, dass das Gericht das Begehren der jemenitischen Kläger in ihrem Fall zwar abwies, aber den deutschen Steuerzahlern trotzdem die Hälfte der Prozesskosten aufs Auge drückte. Und die andere Hälfte zahlten die Jemeniten selbst? Hier das vollständige Urteil des Zweiten Senats, das man sich aber nicht zu Gemüte führen muss.
Zuerst ein Blick in das Selbstverständnis von Richtern im Allgemeinen
Bevor diese in einen Streitgegenstand einsteigen, prüfen sie, ob ihr Gericht überhaupt zuständig ist und ob die Anrufung des Gerichts, nebst dem Begehren des Klägers gegenüber dem Prozessgegner, womöglich verfristet ist. Wenn die Klage dann als zulässig befunden wird, wird zunächst einmal eine gütliche Einigung angestrebt, um nicht tiefer in den Rechtsstreit eintauchen und dann ein Urteil fällen und begründen zu müssen. Das ist aber kein Indiz für eine Faulheit von Richtern, sondern der Prozessökonomie geschuldet. Im Fall des Bundesverfassungsgerichts muss eine Verfassungsbeschwerde oder -klage zudem erst einmal zur Entscheidung angenommen werden, was in weniger als zwei Prozent (!) aller Fälle tatsächlich passiert.
Frage nach der Zuständigkeit
Generell gilt auch der Grundsatz „Iudex non calculat“ („die Richter rechnen nicht gerne“), und der ist nicht nur eine Floskel: Oft holen Richter zu relativ einfachen rechnerischen Sachverhalten ein Gutachten ein – und oft rechnen sie auch nicht damit, dass ihre Entscheidungen in Zweifel gezogen werden. Je höher die Ebene der Gerichtsbarkeit, für umso unangreifbarer halten sich Gerichte; neben „Halbgöttern in Weiß“ soll es auch solche in Rot geben. Dieser Eindruck entstand nun erneut auch im eingangs beschriebenen Fall. Es muss ein erhebendes Gefühl sein, bei einer Urteilsverkündung im Mittelpunkt der deutschen und sogar internationalen Öffentlichkeit zu stehen. War das BVerfG hier überhaupt zuständig? Und warum kein internationales Gericht? Meines Erachtens hätten die sechs obersten Richterinnen und Richter sich für unzuständig zu erklären können.
Der Wissenschaftliche Dienst sieht es anders als die Verfassungsrichter
Der Wissenschaftliche Dienst des Bundestags (WD) nahm zu statusrechtlichen Fragen des Militärstützpunktes Ramstein schon 2017 Stellung, nachzulesen hier. Maßgebend für die Stationierung der US-Streitkräfte sind der sogenannte „Aufenthaltsvertrag“ in Deutschland aus den Jahren 1954 und 1990, der Truppenvertrag respektive das Truppenabkommen, außerdem das NATO-Truppenstatut und dessen Zusatzabkommen sowie dessen Änderungen. Die Zuständigkeitsfrage für Ramstein ist damit äußerst ambivalent. Der WD kam gemäß des „Stationierungsrechts“ zwar zu folgendem Ergebnis:
„Ausländische Militärliegenschaften in Deutschland sind kein ‚extraterritoriales‘ Gebiet des Entsendestaates. Die Militärbasis Ramstein liegt auf deutschem Hoheitsgebiet, das heißt, als Konsequenz aus dem Territorialitätsprinzip ist deutsches Recht anwendbar.“
Richter als die besseren Gesetzgeber?
Aber: Für die Durchführung von Ermittlungs- und Strafverfahren gelte, dass ausländische Militärbasen „…jedoch ebenso wie diplomatische Missionen (Botschaften) gewisse Vorrechte, steuerliche Befreiungen und Immunitäten“ genießen, welche „die Gebietshoheit des ‚Empfangsstaates‘ funktional einschränke. […] In diesem Zusammenhang bedeutet Immunität die Freistellung von der Gerichtsbarkeit des Empfangsstaates. Da sowohl das Gelände als auch die Räumlichkeiten des Militärstützpunktes unverletzlich sind, ist ein Zugriff durch örtliche Behörden grundsätzlich nicht möglich. Weder Strafverfolgungs- noch sonstige Behörden können sich ohne die vorherige Zustimmung der amerikanischen Behörden Zutritt zu dem Stützpunkt verschaffen…“. Soweit der Wissenschaftliche Dienst (WD). Behörden, die Exekutive und niemand hat also auf US-Militärbasen etwas zu suchen. Aber die Justiz maßt sich an, dort etwas zu „richten“ zu haben? Weiter heißt es in der WD-Expertise:
„Damit erscheint eine Sanktionierung von Straftaten, welche möglicherweise auf dem Stützpunkt Ramstein begangen werden könnten, durch deutsche Behörden schwierig. Nach Art. VII Abs. 1 lit. b) NATO-Truppenstatut i.V.m. Art. 19 ZA-NTS üben die Behörden des Entsendestaates (hier der USA) die Strafgerichtsbarkeit über Mitglieder der Truppe, des zivilen Gefolges sowie deren Angehörige in Bezug auf Straftaten aus, welche im Hoheitsgebiet des Aufnahmestaates begangen werden (hier Deutschland). Der Bundesrepublik Deutschland steht demgegenüber nur eine subsidiäre Strafgerichtsbarkeit zu.“
Das alles scheint die „roten“ Richter und Richterinnen von Karlsruhe jedoch nicht zu beeindrucken. Sie sehen sich gerne, wie andere Richter auch, als die besseren Gesetzgeber.
Unbestimmte Rechtsbegriffe
Eigentlich ist die Befugnis der Justiz auf die Rechtsanwendung respektive -sicherung beschränkt; die Rechtsfortentwicklung ist eine Ausnahme:
„Da Richter – anders als Abgeordnete – nicht gewählt werden, dürfen sie nach dem Demokratieprinzip durch Rechtsfortbildung kein eigenes rechtspolitisches Konzept entwickeln. Nach dem Rechtsstaatsprinzip ist unter anderem eine Rechtsfortbildung unzulässig, die eine Systemänderung mit sich bringt, die wegen ihrer Komplexität nur vom Gesetzgeber geleistet werden kann. Aus dem Gewaltenteilungsprinzip ergibt sich, dass die politische Gestaltung dem Gesetzgeber vorbehalten ist.“
Zugegeben, ich ertappte mich als ehrenamtlicher Landesarbeitsrichter auch schon dabei, mehr entscheiden zu wollen als das, was uns zustand, wenn unbestimmte Rechtsbegriffe und widersprüchliche Rechtsgrundlagen immer wieder dieselben Probleme bereiteten. Was sich aber jetzt das BVerfG herausnahm, ist folgenschwer. Im konkreten Fall wurden zwar nur die Klagen von zwei Jemeniten zurückgewiesen. Aber grundsätzlich entschied das Höchstgericht, Deutschland habe einen „allgemeinen Schutzauftrag“ für Ausländer auch im Ausland – egal wo! Na denn, Politiker, an die Arbeit!?!
Die Büchse der Pandora ist geöffnet
Zur Bekräftigung dieses größenwahnsinnigen Unterfangens wurde von den Verfassungsrichtern die Bundesrepublik zur hälftigen Übernahme der Prozesskosten verurteilt. Das ist eine Winzigkeit, doch Ergebnis wird diese Entscheidung zu noch roteren Zahlen der Staatskasse führen: Denn die Büchse der Pandora ist geöffnet und es wird seinen Preis haben, wenn von deutschen Anwaltskanzleien angespornte Ausländer fortan deutsche Gerichte stürmen, sobald Deutschland nur im Entferntesten tangiert sein könnte.
Postskriptum
Bisher wurde mir vom Verfassungsschutz bescheinigt, dass ich mir in Sachen Grundgesetztreue bisher nichts zuschulden kommen ließ und über mich keine belastende Akte geführt wird. Bleibt zu hoffen, dass mir jetzt nicht ein Strick wegen einer angeblichen Delegitimierung der Justiz gedreht wird… So wie Anderen wegen einer angeblichen „Delegitimierung des Staates“; ein Tatbestand, der bekanntlich im Strafgesetzbuch nicht zu finden ist, aber als neues Folterwerkzeug staatlicher Gewalt zunehmend Einzug hält.
Beitragsbild / Symbolbild und Bild oben: nitpicker; Bild darunter: Cameris / beide Shutterstock.com
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