Die Urteile des gestrigen Verhandlungstages fasste das VG Köln in einer Pressemitteilung zusammen. Sie ist unter https://www.vg-koeln.nrw.de/behoerde/presse/Pressemitteilungen/06_08032022/index.php abrufbar.
Die im unvertrauten Umfeld eines Messegeländes für Recht erkannten Tatsachen sollen im Folgenden zusammengefasst und politisch wie juristisch eingeordnet werden. Es kann sich hierbei nur um vorläufige Anmerkungen handeln, da das VG Köln seine Urteile bislang noch nicht schriftlich begründet hat.
I. Verfahren zur Einstufung der AfD als Verdachtsfall
Die Klägerin wandte sich hier gegen die Einstufung der AfD als Verdachtsfall für verfassungsfeindliche Bestrebungen durch das BfV sowie gegen die öffentliche Bekanntmachung dieser.
Zur Begründung führte sie aus, eine solche Einstufung komme in ihrer Wirkung einem Parteiverbot gleich, weshalb auch die für ein solches Verbot geltenden Maßstäbe anzulegen seien. Auch fehle es an tatsächlichen Anhaltspunkten für verfassungsfeindliche Bestrebungen der Partei. Der so genannte Flügel habe sich bereits 2020 aufgelöst. Die Partei propagiere keinen ethnischen Volksbegriff. Im Übrigen fehle es an Erklärungen, die Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen der Partei lieferten. Gegebenenfalls auch polemische Kritik einer Oppositionspartei gegenüber den übrigen Parteien oder der Bundesregierung sei nicht sogleich Kritik am parlamentarischen Regierungssystem. Zudem habe sich das BfV von sachfremden Erwägungen leiten lassen und handele politisch.
Die Kammer ist dieser Argumentation nicht gefolgt.
Vielmehr sieht sie in den vom Verfassungsschutz vorgebrachten Tatsachen ausreichende Anknüpfungspunkte für einen Verdacht gegeben. Dabei stellt sie fest, dass eine insgesamt verfassungsfeindliche Grundtendenz nicht zu den Tatbestandsvoraussetzungen einer Beobachtung zählt. Die einen konkreten Verdacht erhärtenden Anhaltspunkte erkennt die Kammer in den fortgesetzten Aktivitäten (ehemaliger) Flügel-Protagonisten, die zusammen mit Mitgliedern der JA einen ethnisch exklusiv verstandenen Volksbegriff in der Gesamtpartei den Vorschub leisteten. Auch sei eine „ausländerfeindliche Agitation“ zu erkennen. Und auch aus der übrigen Betrachtung ergebe sich ein hinreichend konkreter Verdacht. Daher dürfe der Verdachtsfall iSe öffentlichen Diskussion auch bekanntgegeben werden.
Diese Argumentation vermag nicht zu überraschen, bedient sie sich doch im Wesentlichen die im NPD-Urteil des Bundesverfassungsgerichts aufgestellten Maßstäbe. Dort sah das Bundesverfassungsgericht die Verfassungsfeindlichkeit der NPD darin begründet, dass sie im Widerspruch zu Art. 116 II GG und der Menschenwürdegarantie nicht volksdeutschen Staatsbürgern die Zugehörigkeit zum Staatsvolk abspreche. Damit richte sich die Partei auch gegen das Demokratieprinzip.
Vereinfacht gesagt ist eine Partei/Organisation aus Sicht des BVerfG dann verfassungsfeindlich, wenn sie Volk und Staatsvolk gegeneinander ausspielt.
Offensichtlich übersah das VG Köln in seiner Urteilsfindung, dass die AfD sich in zahlreichen Verlautbarungen zum Volksbegriff des Grundgesetzes bekannt hatte. Auch sind zahlreiche Mitglieder nicht in einem rein „ethnischen“ Sinne Deutsche. Denkbar ist aber natürlich auch, dass das VG Köln dies lediglich für ein Täuschungsmanöver der Partei hält. In diesem Falle wäre es aber gesondert begründungsbedürftig, weshalb die Kammer diese einem „biologistischen“ Volksbegriff entgegenstehenden Tatsachen für unbeachtlich hält.
Indem die Kammer die Wertung des BfV zum Volksbegriff als insgesamt zutreffend ansieht, verkennt sie aber auch Bedeutung und Tragweite des Volksbegriffes im deutschen Verfassungsstaat:
Denn das Grundgesetz ist ausdrücklich als Nationalstaat der Deutschen konzipiert. Als völkerrechtliches Kontinuum zum 1871 gegründeten Reich wahrt die Bundesrepublik das Selbstbestimmungsrecht des Deutschen Volkes in freiheitlich-demokratischer Verfasstheit.
Verfassungsrechtliches Schutzgut ist daher nicht die abstrakte Gemeinschaft von „Demokraten“, die sich aus mehr oder minder zufälligen Gründen auf dem Staatsgebiet eingefunden haben, sondern die demokratische Selbstbestimmung des konkreten Subjekts der Demokratie, dem deutschen Staatsvolk.
Doch wer ist das Volk und wie setzt es sich zusammen?
Oftmals wird in der politischen Debatte allein auf Art. 116 I abgestellt, der regelt, dass Deutscher iSd Grundgesetzes diejenigen sind, welche die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen. Diese wiederum wird im Staatsangehörigkeitsrecht geregelt. Daraus meint man schließen zu können, dass das Subjekt der deutschen Demokratie einfachgesetzlich bestimmbar ist.
Doch ist ein solcher Schluss fragwürdig:
- So spricht auch Art. 116 I auch von deutscher Volkszugehörigkeit der Vertriebenen. Unterscheidet also die selbe Norm zwischen Staatsvolk und Volkszugehörigkeit?
- Auch stellt es einen methodischen Missgriff dar, eine Verfassungsnorm anhand einer einfachgesetzlichen Norm zu konkretisieren, zum anderen liefe eine solche Auslegung auf einen normenlogischen Zirkelschluss und ein demokratietheoretisch problematisches Ideologem heraus.
Denn wenn Art 20 II GG festlegt, dass alle Staatsgewalt vom Volke iSd Staatsvolks ausgehe, es aber gleichzeitig Sache der Staatsgewalt sei, festzulegen, wer das deutsche Staatsvolk ist, wäre der Ursprung der Legitimationskette immer nur die Staatsgewalt selbst.
Eine solche Schlussfolgerung kann mit der grundgesetzlichen Entscheidung für die nationalstaatliche Demokratie nicht gemeint sein. So spricht die Präambel des GG selbst davon, dass das „Deutsche Volk kraft seiner verfassungsgebenden Gewalt“ sich dieses Grundgesetz gegeben habe.
Die Unteilbarkeit der Volkssouveränität und ihrer verfassungsgebenden Gewalt wird hier offensichtlich vorausgesetzt.
Angelehnt an Ernst-Wolfgang Böckenförde handelt es sich dabei um ein durch objektive Merkmale bestimmbares Kollektivsubjekt, das zu politischem Selbstbewusstsein gelangt ist. Diese objektiven Merkmale können sehr verschieden sein. Neben Abstammung und Sprache ist ebenso Religion, Kultur, ja auch eine äußere Bedrohung als objektiv verbindendes Merkmal denkbar. Politisch bedeutsam wird dies aber erst, wenn in einem Akt kollektiver Willensbetätigung die konkrete Entscheidung über Art und Weise der eigenen Existenz getroffen wird (Vgl. etwa Schmitt, Verfassungslehre). Die journalistische Diskussion, der die Kammer leider gefolgt ist, übersieht oft, dass der Begriff ethnos keinesfalls auf die reine Abstammungsgemeinschaft beschränkt ist. Vielmehr kennzeichnet er die oben bereits beispielhaft aufgeführten objektiven Merkmale, die ein Kollektivsubjekt hinreichend von anderen abgrenzen und somit als Voraussetzung eines politischen Wir-Gefühls fungieren (können). Es reicht daher nicht aus einer Partei oder Organisation einen „ethnischen Volksbegriff“ vorzuwerfen. Als verfassungsschutzrechtlich problematisch wäre nach richtiger Auffassung nur die biologistische Verkürzung des ethnisch-kulturell verstandenen Volksbegriffs anzusehen. Eine solche ist aber der AfD nicht vorzuwerfen. Selbst die aufgeführten „Belege“ anhand des Gebrauchs von Ausdrücken wie „Passdeutsche“ etc. halten einer inhaltlichen Gesamtbetrachtung nicht stand. So war die Reform des deutschen Staatsbürgerschaftsrechts im Jahr 1999 auch innerhalb der Rechtswissenschaft umstritten. Der Staatsrechtler J. Isensee warnte eindrücklich vor einer Umstrukturierung des Deutschen Staatsvolks in Nur-Deutsche und Auch-Deutsche und sprach gar von einem „Staatsstreich des Parlaments“ (https://www.welt.de/print-welt/article563971/Ein-Staatsstreich-des-Parlaments.html).
So juristisch zweifelhaft der vom VG Köln angelegte Maßstab ist, so effektiv ist er als Waffe im politischen Raum. Denn indem die Kammer der Begründung des BfV folgt, rückt sie auch die AfD in die Nähe der in ihrer Programmatik für verfassungsfeindlich befundenen NPD.
Die Entscheidung kann daher als politischer Warnschuss verstanden werden. Es ist daher Aufgabe künftiger juristischer Vertretungen der AfD die oben bereits angedeuteten Klarstellungen zum Volksbegriff offensiv zu vertreten.
II. Einstufung des sogenannten Flügels
Hier gab das Gericht der Klägerin teilweise recht.
So sei die Einstufung als „gesichert rechtsextrem“ aufgrund der Intensität des Eingriffs deshalb rechtswidrig, weil keine Gewissheit über die Existenz des Beobachtungsobjekts selbst bestehe.
Man hätte sich bereits in der Pressemitteilung eine Präzisierung gewünscht, inwieweit ein in seiner Existenz nicht gesichertes Personennetzwerk einen verfassungsrechtlich bedenklichen Volksbegriff (s.o.) innerparteilich protegieren kann.
III. Einstufung der Jungen Alternative (JA)
Diese Klage blieb erfolglos.
Im sogenannten Deutschlandplan der JA sah die Kammer hinreichende Anhaltspunkte für einen Verdachtsfall. Eine nähere Begründung steht damit noch aus.
IV. Mitgliederzahlen des Flügels
Diese Klage hatte hingegen Erfolg. Die Behauptung des BfV, der Flügel habe um die 7000 Mitglieder, ist aus Sicht des VG Köln nicht hinreichend substantiiert.
V. Résumé
Positiv dürfte der Umstand zu bewerten seien, dass die Kammer den Einfluss, Programmatik und Existenz des sog. Flügels anders bewertet als das BfV. Damit ist ein wesentlicher verfassungsschutzrechtlicher Zurechnungszusammenhang zwischen möglicherweise problematischen Einzeläußerungen und der Gesamtpartei nicht ohne weiteres gegeben und damit gesondert begründungbedürftig.
Insgesamt dürften jedoch die Entscheidungen als juristische Niederlage zu werten seien.
Triumphierend gab sich auch Bundesverfassungsschutzpräsident Thomas Haldenwang im Interview mit den Tagesthemen. So wiederholte er die wesentlichen politischen Schlagwörter (Rassismus, Fremdenfeindlichkeit etc.) und sprach von einem guten Tag für „unsere Demokratie“.
Es ist daher Aufgabe des politischen Meinungskampfes und der juristischen Auseinandersetzung, dass „unsere Demokratie“ die unsrige bleibt, und nicht zu der Thomas Haldenwangs wird.
Ernst Schmidt
Beitragsbild von Killian Cartignies via Unsplash
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