Von Roderich A. H. Blümel
Im Jahr 2026 besteht erstmals in der bundesdeutschen Nachkriegsgeschichte die Möglichkeit einer rechten Landesregierung, sei es in einer Koalition oder als Alleinregierung, im Raum. Was für Patrioten Grund zur Hoffnung ist, ist für Linke ein Schreckgespenst. Klar ist allen: Eine AfD-Regierung, in welcher Konstellation auch immer, wird eben nicht ein einfacher Regierungswechsel werden. Das Feld ist offen, von einer tatsächlichen Wende über Repressalien des Bundes gegen das Land hin zu einer großen Enttäuschung (siehe etwa Meloni) ist alles möglich. Doch Erfolg oder Misserfolg müssen sich daran messen lassen, was überhaupt im Rahmen des Möglichen liegt. Was kann eine Landesregierung im föderalen System der Bundesregierung überhaupt ändern, worauf hat sie Einfluss – und worauf nicht? Ein Überblick:
I. Gesetzeskompetenz
Art. 70 I GG ist dahingehend eindeutig: „Die Länder haben das Recht der Gesetzgebung, soweit dieses Grundgesetz nicht dem Bunde Gesetzgebungsbefugnisse verleiht.“ Daneben muss unterteilt werden zwischen Gebieten der ausschließlichen Gesetzgebungskompetenzen des Bundes und konkurrierende Gesetzgebung zwischen Bund und Länder, bei der die Länder nur dann die Gesetzgebungskompetenz haben, soweit der Bund keine gesetzlichen Regelungen für diese Bereiche erlassen hat. Bis auf die explizit genannten Bereiche ist also jede Gesetzgebung Sache der Länder. Fragen, bei denen der Bund die ausschließliche Gesetzgebungskompetenz hat, sind etwa solche der Staatsangehörigkeit, der Verteidigung oder auch der Währung. In diesen Bereichen kann eine Landesregierung also zumindest auf gesetzgeberischer Ebene nichts machen.
Nach Art. 72 I GG haben die Länder im Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung die Befugnis zur Gesetzgebung, solange und soweit der Bund von seiner Gesetzgebungszuständigkeit nicht durch Gesetz Gebrauch gemacht hat. Die konkurrierende Gesetzgebung erstreckt sich unter anderem auf das Zivil- und Strafrecht oder das Jagdwesen.
Hier ist also zu sehen, wo der Bund bereits von seiner Gesetzgebungskompetenz Gebrauch gemacht hat. So kann eine Landesregierung etwa kein neues Strafgesetzbuch einführen, weil der Bund mit dem StGB seine Gesetzgebungskompetenz bereits erfüllt hat. Bei den Hochschulen wiederum sieht es etwas anders aus, hier gibt es zwar ein Hochschulrahmengesetz (HRG) des Bundes mit wesentlichen Rahmenbedingungen, jedoch liegt die Hauptkompetenz der Regelung des Hochschulzugangs bei den Ländern. Hier könnte beispielsweise eine Landesregierung im vom Hochschulrahmengesetz vorgegebenen Rahmen Änderungen durchführen.
Auf den Gebieten des Artikels 74 Abs. 1 Nr. 4, 7, 11, 13, 15, 19a, 20, 22, 25 und 26 hat der Bund das Gesetzgebungsrecht, wenn und soweit die Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse im Bundesgebiet oder die Wahrung der Rechts- oder Wirtschaftseinheit im gesamtstaatlichen Interesse eine bundesgesetzliche Regelung erforderlich macht (Art. 72 II GG). Das sind für die hier interessanten Bereiche konkret das Aufenthalts- und Niederlassungsrecht der Ausländer und das Recht der Wirtschaft (Bergbau, Industrie, Energiewirtschaft, Handwerk, Gewerbe, Handel, Bank- und Börsenwesen, privatrechtliches Versicherungswesen) ohne das Recht des Ladenschlusses, der Gaststätten, der Spielhallen, der Schaustellung von Personen, der Messen, der Ausstellungen und der Märkte.
Alles, was nicht davon umfasst ist, ist also Sache des jeweiligen Landes. Und das ist – um auf die Ausgangsfrage zurückzukommen – eine Menge! So fällt das Schulrecht, das Polizeiweisen, Bauordnungs- und Gaststättenrecht, Rundfunk- und Medienrecht, das Landesbeamtengesetz und auch das Strafvollzugsrecht in die Landeskompetenz – und natürlich die Landesverfassung.
Die Verfassung
Die Landesverfassungen fristen oft ein stiefmütterliches Dasein und stehen gänzlich im Schatten der Bundesgesetzgebung. Eine Verfassungsbeschwerde kann zum jeweiligen Landesverfassungsgericht, jedoch auch zum Bundesverfassungsgericht erhoben werden und nicht wenige gehen angesichts der Wahl gleich auf die große Bühne nach Karlsruhe. Jedoch hat der Fall rund um einen patriotischen Rechtsreferendar in Sachsen potenzielle Konflikte zwischen Landesverfassung und Bundesrecht gezeigt: Während der sächsische Verfassungsgerichtshof die Nichteinstellung des Patrioten als verfassungswidrig beurteilte und ihm die Absolvierung des juristischen Vorbereitungsdienstes (Referendariat) in Sachsen ermöglichte, hat das Bundesverwaltungsgericht mittlerweile im gleichen Fall ein Urteil gefällt, welches ein praktisches Berufsverbot für rechte Juristen bedeutet. Die Verwaltung und die Gerichte in Sachsen haben nun den Konflikt, sich an die Rechtsprechung des eigenen Landesverfassungsgerichts oder an die des Bundesverwaltungsgerichts zu halten – ein Konflikt, für den es gesetzlich und in der Rechtswissenschaft keine klare Antwort gibt, da das Rangverhältnis zwischen Landesverfassungsgericht und Bundesverwaltungsgericht nicht geklärt ist. Dieses bereits jetzt bestehende Beispiel zeigt, dass die Landesverfassungen theoretisch wirkmächtige Konstitutionen sein können.
Eine patriotische Regierung kann daher die entsprechende Landesverfassung in weiten Teilen den eigenen Zielen anpassen. Dies ist beispielsweise bei den Staatszielartikeln möglich. So heißt es in der Landesverfassung von Sachsen-Anhalt aktuell:
Artikel 34
Gleichstellung von Frauen und Männern
Das Land und die Kommunen sind verpflichtet, die tatsächliche Gleichstellung von Frauen und Männern in allen Bereichen der Gesellschaft durch geeignete Maßnahmen zu fördern.Artikel 37a
Nichtverbreitung nationalsozialistischen, rassistischen und antisemitischen Gedankenguts
Die Wiederbelebung oder Verbreitung nationalsozialistischen Gedankenguts, die Verherrlichung des nationalsozialistischen Herrschaftssystems sowie rassistische und antisemitische Aktivitäten nicht zuzulassen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt und Verantwortung jedes Einzelnen.
Eine patriotische Regierung könnte diese Staatsziele etwa wie folgt abändern:
Artikel 34
Bewahrung der Familie
Das Land und die Kommunen sind verpflichtet, die Familie aus Mann, Frau und Kindern als Grundlage der staatlichen Ordnung zu erhalten und zu fördern.Artikel 37a
Förderung der ethnokulturellen Identität
Die Wiederbelebung und Förderung der ethnokulturellen Identität des deutschen Volkes, die Bewahrung und Pflege seiner Geschichte und Traditionen und die Förderung einer positiven Selbstidentifikation sind Verpflichtung aller staatlichen Gewalt und Verantwortung jedes Einzelnen.
Diese Staatszielbestimmungen geben zwar keine unmittelbar einklagbare Rechtsposition, jedoch sind sie bei der Auslegung und bei Entscheidungen mit Ermessensspielraum heranzuziehen und anzuwenden. In Verbindung mit einer Änderung des Landesverfassungsgerichtsgesetzes und einer Umbesetzung der Personalien bietet sich hier eine großangelegte Möglichkeit. In Ungarn etwa wurde in die Verfassung implementiert, dass ein Mensch ausschließlich als Mann oder Frau definiert werden kann. Die Präambel der ungarischen Verfassung, die 2011 geändert wurde, gibt ebenfalls ein gutes Beispiel für die Möglichkeit, die eigene Weltanschauung in die Konstitution zu implementieren:
„Wir, die Mitglieder der ungarischen Nation, erklären zu Beginn des neuen Jahrtausends, in der Verantwortung für alle Ungarn Folgendes: Wir sind stolz darauf, dass unser König, der Heilige Stephan I., den ungarischen Staat vor tausend Jahren auf festen Fundamenten errichtete und unsere Heimat zu einem Bestandteil des christlichen Europas machte. Wir sind stolz auf unsere Vorfahren, die für das Bestehen, die Freiheit und Unabhängigkeit unseres Landes gekämpft haben. Wir sind stolz auf die großartigen geistigen Schöpfungen ungarischer Menschen. Wir sind stolz darauf, dass unser Volk Jahrhunderte hindurch Europa in Kämpfen verteidigt und mit seinen Begabungen und seinem Fleiß die gemeinsamen Werte Europas vermehrt hat. Wir erkennen die Rolle des Christentums bei der Erhaltung der Nation an. Wir achten die unterschiedlichen religiösen Traditionen unseres Landes. …“
Auch wenn die Präambel maßgeblich Symbolpolitik ist, verfügen auch die jeweiligen Landesverfassungen über (änderbare) Präambeln. Die Landesverfassung kann zwar nur mit Zweidrittelmehrheit geändert werden, jedoch kann eine geschickt agierende Landesregierung gegebenenfalls hier Stimmen anderer Parteien erhalten. Auch in anderen Bereichen sieht es nicht anders aus: So kann etwa ein Richter beim Landesverfassungsgericht nicht einfach entlassen werden, jedoch kann natürlich das entsprechende Landesverfassungsgerichtsgesetz geändert werden. So hat Sachsen-Anhalt beispielsweise aktuell nach dem Landesverfassungsgerichtsgesetz sieben Verfassungsrichter, genauso gut könnten aber auch zwei Kammern mit unterschiedlichem Aufgabenbereich und jeweils sieben Richtern gebildet werden und die Richterwahl durch einfache Mehrheit (statt, wie bislang, durch Zweidrittelmehrheit) beschlossen werden. Wenn die Kammer der Altparteienrichter dann nur noch vernachlässigbare Themen behandelt, die neu gebildete und besetzte aber die politisch relevanten Themen, so ist dies völlig zulässig. Patriotische Verfassungsrichter könnten in einer solchen Konstellation jedes Verwaltungshandeln (auch) daraufhin überprüfen, ob dieses der Erhaltung der ethnokulturellen Identität dient – oder ob es (landes)verfassungswidrig ist.
Denn die Bundesrepublik Deutschland ist ein föderativ gestalteter Bundesstaat. Sowohl die Verfassungsbereiche des Bundes und der Länder als auch die Verfassungsgerichtsbarkeit des Bundes und der Länder stehen selbstständig nebeneinander. Aufgrund dessen entfalten die Normprüfungsentscheidungen der Verfassungsgerichte keine absolute Bindungswirkung für andere Verfassungsgerichte. Das Bundesverfassungsgericht führte hierzu aus:
„Jedem Verfassungsgericht kommt in „seinem“ Rechtskreis die Funktion als oberster Hüter des Rechts und die Aufgaben dessen letztverbindlicher Auslegung zu; sie sollen den Maßstab ‚ihrer‘ Verfassung auch dann noch zur Geltung bringen können, wenn ein anderes (Verfassungs-)Gericht diesen bereits angewendet hat.“ (BVerfGE 69, 112, 117)
Zum anderen können die Landesverfassungsgerichte auch Rechtssätze nach einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zusätzlich auf die Vereinbarkeit mit der Landesverfassung prüfen und für unvereinbar mit der Landesverfassung erklären. (BVerfGE 69, 112, 116 ff; Lange, Das Bundesverfassungsgericht und die Landesverfassungsgerichte, in: Badura/Dreier (Hrsg.), Festschrift 50 Jahre Bundesverfassungsgericht, Erster Band Verfassungsgerichtsbarkeit, Verfassungsprozess, 2001, S. 308.)
Aus der Selbstständigkeit der Verfassungsbereiche des Bundes und der Länder folgt, dass der Bereich der Verfassungsgerichtsbarkeit der Länder vom Bundesverfassungsgericht möglichst unangetastet bleiben muss und die Landesverfassungsgerichtsbarkeit von der Bundesverfassungsgerichtsbarkeit nicht in größere Abhängigkeit gebracht werden darf, als es nach dem Grundgesetz unvermeidbar ist.
Das Bundesverfassungsgericht ist daher grundsätzlich keine zweite Instanz beziehungsweise kein Superrevisionsgericht über den Landesverfassungsgerichten, die befugt wäre, jedes Urteil vollumfänglich zu überprüfen. (Vgl. Schlaich/Korioth, Das Bundesverfassungsgericht, 12. Auflage 2021, Rn. 283 ff.; siehe auch: BVerfGE 18, 85, 92.BVerfGE 6, 445, 449; Morgenthaler, in: Epping/Hillgruber (Hrsg.), BeckOK Grundgesetz, 48. Edition). Ausgangspunkt ist dabei die Exklusivität des jeweiligen Entscheidungsmaßstabs. Diese Exklusivität folgt aus der bildhaften Annahme, dass die jeweils von den Verfassungsgerichten zu hütenden „Verfassungsräume“ getrennt seien. Danach sind die Landesverfassungsgerichte zuständig für die Wahrung und Auslegung der Landesverfassung, das Bundesverfassungsgericht hütet das Grundgesetz, der EuGH das europäische Gemeinschafts – und Unionsrecht und der EGMR die Europäische Menschenrechtskonvention. (Vgl. BVerfGE 4, 178 <189> und BVerfGE 96, 345 <368>: Die Verfassungsräume des Bundes und der Länder stehen „grundsätzlich selbständig nebeneinander“; s. auch BVerfGE 36, 342 <357>: „Landesverfassungsgerichtsbarkeit und Bundesverfassungsgerichtsbarkeit vollziehen sich im Bundesstaat in grundsätzlich getrennten Räumen“; zu diesem Ausgangspunkt „getrennter Verfassungsräume“ auch Friesenhahn, Zur Zuständigkeitsabgrenzung zwischen Bundesverfassungsgerichtsbarkeit und Landesverfassungsgerichtsbarkeit, FG 25 Jahre BVerfG, Bd. 1, 1976, 748 <749 ff.>: „Über die Eigenart der Verfassungsgerichtsbarkeit und die daraus folgende Bezogenheit der Bundesverfassungsgerichtsbarkeit und der Landesverfassungsgerichtsbarkeit je auf die Bundesverfassung und die Landesverfassung als getrennte Kompetenzbereiche“; Steinberg, Landesverfassungsgerichtsbarkeit und Bundesrecht, in: FS 50 Jahre Verfassung des Landes Hessen, 1997, 356 <357 ff.>, <363>.)
Das Grundgesetz setzt die Verfassungsautonomie der Länder einerseits voraus, begrenzt diese andererseits aber auch. Nach dem Homogenitätsgebot des Artikels 28 Absatz 1 des Grundgesetzes müssen die Länder ihre verfassungsmäßige Ordnung an den Grundsätzen des republikanischen, demokratischen und sozialen Rechtsstaats im Sinn des Grundgesetzes ausrichten. Viele verfassungsrechtliche Fragen können sich daher im Bund und in den Ländern in gleicher oder ähnlicher Weise stellen. „Homogenität“ bedeutet aber nicht „Uniformität“. Die Notwendigkeit einer eigenen Landesverfassungsgerichtsbarkeit lässt sich im Übrigen bereits aus diesem Homogenitätsgebot ableiten, der auch in den Ländern jedenfalls ein Minimum an Gewaltenteilung mit einer jeweiligen institutionellen Spitze fordert. Anders als bei den Fachgerichten der Länder, bei denen gemäß Artikel 95 GG in der gerichtsverfassungsrechtlichen Hierarchie jeweils ein Bundesgericht an der Spitze steht, kann bei der Landesverfassungsgerichtsbarkeit nur ein eigenständiges Verfassungsgericht diese institutionelle Spitze bilden. Das heißt auch, dass die Definition des republikanischen, demokratischen und sozialen Rechtsstaats im Sinn des Grundgesetzes voneinander abweichen kann – in einer linksliberalen wie auch in einer rechtsilliberalen Definition.
Der Bund kann – natürlich immer in den Grenzen der Verfassung – sowohl den Instanzenzug als auch die Ausgestaltung des jeweiligen Gerichtsverfahrens regeln. Gemäß Artikel 74 Absatz 1 Nr. 1 GG erstreckt sich die konkurrierende Gesetzgebung unter anderem auf das bürgerliche Recht, das Strafrecht, die Gerichtsverfassung und das gerichtliche Verfahren (vgl. „Die dritte Gewalt aus Sicht der Landesgerichtsbarkeit“ des Präsidenten des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs Peter Küspert wurde im 2020 im Sammelband „Die dritte Gewalt in Deutschland und Europa: Symposium zur Verfassungspolitik zum 75. Geburtstag von Hans-Jürgen Papier“ veröffentlicht.) Über das Landesrecht gilt dies aber explizit nicht.
Konsequent angewandt und mit genügend juristischem wie machtpolitischem Willen bildet die Landesverfassung sowie die Landesverfassungsgerichtsbarkeit daher nicht nur enormen Gestaltungsspielraum, sondern auch erhebliches Sprengpotential. Diese sind aufgrund der bislang in der rechtswissenschaftlicher Lehre wie auch in der juristischen Praxis – und auch von gegnerischen Projekten wie dem Verfassungsblog – bislang kaum behandelt, es stellt mithin blinder Fleck und Einfallstor der Opposition gleichermaßen dar.
Hinweis: Es handelt sich um den ersten von zwei Teilen eines Grundsatzbeitrages. Der zweite Teil wird am morgigen Montagabend, 03. November 2025, an gleicher Stelle veröffentlicht.
Beitragsbild / Symbolbild und Bild in der Mitte und unten: DesignRage / Shutterstock.com
Hinterlassen Sie einen Kommentar