Musik wird von Menschen gemacht. Menschen, die ihre Emotionen in Töne und Rhythmen legen. Eine der wertvollsten Kunstformen überhaupt und durch ihre immanente Vergänglichkeit sehr fragil. Anders als bei anderen Künsten erklärt sich Musik meist selbst und fesselt den Zuhörer – und noch viel mehr den Musiker – direkt und ohne Umwege. Natürlich lohnt sich auch in der Musik eine nähere intellektuelle Beschäftigung mit dem Künstler oder dem Werk – dies ist aber keine Voraussetzung, um daraus Genuss zu ziehen.
Inwiefern es ethisch vertretbar ist, von Menschen gemachte Äußerungen in Ton und Bild festzuhalten, wäre eine eigene Betrachtung wert. Diese Bedenken haben es aber nie in den Debattenvordergrund geschafft. Daher die Bild- und Tonflut, unter der wir heute eher leiden als uns zu erfreuen.
Musikhören gehört zu den schönsten Dingen im Leben. Anders als viele andere Beschäftigungen, die nur kostbare Lebenszeit rauben, erhebt Musik unsere Sinne in andere Sphären. Nehmen Sie daher Abstand von sinnloser Berieselung. Als erstes werfen Sie den Fernseher in hohem Bogen aus dem Fenster und stellen alltagsbegleitendes Musikgedudel ab. Wieso das?
Der Askese wegen. Wenn Sie jeden Tag Schlachtplatte (schöne Buchstabenanalogie – finden Sie nicht?) serviert bekommen, ist das nichts Besonderes mehr. Aber wenn sie im Herbst zum ersten Mal wieder angeboten wird, ist die Freude riesig. So ist es mit jedem Genussmittel.
Analog
Es geht hier nicht darum, alles Digitale schlecht zu machen. Das macht keinen Sinn. Im Kommunikationsverkehr hat das alles seine Berechtigung – aber nicht in der Tonkunst.
Kleiner Exkurs: Wer erinnert sich nicht mehr an die Dia-Abende, bei denen mit Käseigel bewaffnet jüngere und ältere Urlaubsbilder durch einen lauten Projektor, in dessen Linse immer ein Haar war, auf eine verwellte Leinwand projiziert wurden. Farben wurden mit einer Leuchtkraft dargestellt, wie es ein Flachbildschirm niemals schaffen wird. Wir verklären nicht die Vergangenheit, sondern bemerken klar definierbare, sensorische Dinge. Wir Menschen sind analoge Wesen – wir besitzen keine Sensorik fürs Digitale. Deshalb ist unser Wahrnehmungsapparat auch von digitalen Reizen grundsätzlich gestört und in Stress versetzt, während er von analogen Reizen, und seien sie technisch noch so minderwertig, stimuliert wird.
Der Fotograf Robert Polidori:
digital is made to forget – analog is made to remember
Wir sind uns einig: nach mathematischen und physikalischen Maßstäben ist es unsinnig, heute noch Musik von der Schallplatte zu hören. Zu groß sind die Verlockungen digitaler Musikdienstleister mit einer Bibliothek von mehreren Millionen Titeln, die Sie ohne aufzustehen mit nur einer Hand sofort griffbereit haben.
Diese Abhandlung handelt nicht von einer gefühlsduseligen Retroverherrlichung. Was das neuerlich zu beobachtende Revival der Musiccassette soll, erschließt sich mir nicht. Diese war, ist und bleibt technisch, klanglich und damit musikalisch Ausschuss.
Bei der Schallplatte hingegen geht es um einen klaren Mehrwert. Das werden Sie nach Lektüre dieses Artikels verstehen. Wer heute Schallplatte hört, tut dies aus einer aktiv getroffenen Entscheidung heraus. Nicht wenige Fans berichten, sie hätten den digitalen Musikdienstaccount nur, um Musikempfehlungen anzutesten und für sich zu prüfen, ob es sich lohnt die Schallplatte zu kaufen. Der seit gut 10 Jahren wieder stetig anwachsende analoge Musikmarkt beweist: wenn Sie sich für die analoge Schallplattenwiedergabe begeistern, sind Sie nicht alleine und das hat seine guten Gründe.
Dabei muss ich zu meiner Verteidigung anführen, dass ich hier kein wohlfeiles Hinterherhecheln eines Trends betreibe, sondern beruflich wie privat der Schallplatte immer, auch durch das tiefe Jammertal der 90er und 00er-Jahre, die Treue hielt. Und wo passt dieser Bericht besser als in dieses – konservative – Blatt. Mein berufliches Engagement bleibt hier außen vor – ich benutze den Freiburger Standard nicht als billige Werbeplattform. Sie dürfen die Praxistipps vom Profi einfach so – kostenlos, aber nicht umsonst – abgreifen.
Unsere Thematik
Eigentlich gehört hier die Geschichte von Emil Berliner hin, der als Erfinder der Schallplatte gilt. Aber nennen Sie mir einen vernünftigen Grund, weshalb wir hier die sattsam bekannte Geschichte, die in so vielen Dokumentationen bis zum Erbrechen schon dargestellt wurde, nochmal betrachten sollten. Auch interessiert uns nicht die, aus betriebswirtschaftlicher Sicht, vollkommen falsche Entscheidung der Firma Pallas in Diepholz, Mitte der 90er die Plattenpresswerkzeuge nicht zu entsorgen und Platz für Wichtigeres zu schaffen. Heute kommen die dort vor Lachen nicht mehr in den Schlaf.
Das ist alles Material für Dokusender. Deshalb erzähle ich auch nicht, wie viele Fußballfelder meine Plattensammlung belegen würde oder was die teuerste Platte ist, die jemals verkauft wurde. Das lenkt alles nur vom Thema ab. Hier geht es darum, wie Sie Ihre Plattensammlung neu aufbauen, oder die bestehende sinnvoll erweitern.
Die Gefühlsebene
So wie die Musiker vor dem Konzert ihre Instrumente stimmen, bereitet man mit gleicher Sorgfalt den analogen Genuss vor. Das richtige Getränk eingießen, das Licht dämpfen, der Hülle, der gerade zu spielenden Platte, einen dekorativen Platz anbieten… Dieses Prozedere gehört einfach dazu. In beiden Fällen können Sie mit den Augen den Ort der Schallentstehung – dort die Musiker auf der Bühne, hier der sich drehende Plattenteller – lokalisieren. Eine sinnliche Erfahrung. Gleichzeitig halten Sie ein Plattencover von stattlichem Ausmaß in der Hand, dessen künstlerische Gestaltung ein eigener Kunstzweig ist (link).
Bei gestreamter Musik hingegen hält man mit Smartphone oder Tablet eine gigantische Bibliothek in Händen, tippt mal hier und mal da auf den Bildschirm. Am Ende sind zwei Stunden vergangen, doch nichts bleibt und man fühlt sich einfach nur leer. Ein Gefühl, das Sie nach dem Hören einer Schallplatte niemals haben werden.
Der Klang
Eine Schallplatte klingt nicht warm und anheimelnd. Dies liest man immer wieder – geschrieben von Ahnungslosen oder Besitzern des falschen Equipments – dazu später. Nein eine Schallplatte vermittelt das musikalische Sujet direkt, ehrlich, ohne Filter, ohne Geschmacksverstärker in den Gehörgang und dann unter die Haut. Dies vor allem unter rhythmischem Aspekt. Musik von Schallplatte fließt immer wie an einem Gummiband gezogen, sie arbeitet die Phrasierung des Künstlers aus, nimmt Spannungsbögen auf und steht nicht statisch unbewegt, wie bei grundsätzlich jeder digitalen Wiedergabe. Wer es nicht selbst erlebt hat und womöglich dagegen polemisiert hat, hat sich bisher eines großen Erlebnisses beraubt und schwere Schuld auf sich geladen.
mp3, iPod usw.
Wir sind uns in der Branche uneins. Wir wissen nicht, ob wir Steve Jobbs für die Markteinführung des iPods 2001 dankbar sein sollen oder nicht. Einerseits hat er das Musikhören aus der vollkommenen Versenkung wieder herausgeholt, andererseits sorgte er damit für die komplette klangqualitative und musikalische Anspruchslosigkeit einer ganzen Generation. Klingt doch wie CD! Erstens stimmt das nicht und zweitens ist das auch nicht unser Anspruch hier – dieser liegt weit höher. Oder wie es nur der Engländer richtig ausdrücken kann: far beyond.
Zum Thema mp3 nur so viel: In meinen Vorführungen – in denen ich zugegebenermaßen etwas Hilfestellung gebe, auf was man gezielt hören soll – bestimmen 10 von 10 ungeschulten Ohrenpaare korrekt den minderwertigen mp3-Codec im Vergleich zur CD.
Ich soll also nochmal damit anfangen?
obwohl ich in den 80ern alle Platten entsorgt habe? Glauben Sie mir, Sie haben in Ihrem Leben schon genug Fehlentscheidungen getroffen, die Sie hinterher nicht nur bereut, sondern tatsächlich korrigiert haben. Und, da bin ich mir ganz sicher: da waren garantiert folgenschwerere und teurere dabei.
Plattensammeln – aber richtig
Wir betrachten hier nur das musikhörende Plattensammeln. Das spekulative Sammeln finde ich widerlich, weil den anderen Musikliebhabern damit ein knappes Gut, die gebrauchte Schallplatte, vorenthalten wird.
Die musikalische Menschwerdung
Jeder Musikliebhaber kann relativ genau ein Jahr (meinetwegen ein halbes Jahrzehnt) ausmachen, in dem seine musikalische Menschwerdung stattfand.
Bei mir war es das Jahr 1989. Aus jenem Jahr stapeln sich zu Hause Platten in rauen Mengen. Diese habe ich seinerzeit natürlich nicht als Platte gekauft. Als 13jähriger und auch noch danach war der Satz prägend: an mein Ohr kommt nur Wasser und CD (in leichter Abwandlung des Werbeslogans einer Seife). Aber mit Kauf des ersten Plattenspielers ging ich auf Flohmärkten und in Second-Hand-Vinyl-Läden auf die Suche nach meinen Idolen. Und seinerzeit waren diese Platten auch zum Spottpreis zu bekommen. Tears for Fears, Gloria Estefan, Phil Collins, Toto usw. Damals wurde man als Popper gescholten – heute fließt vielen das Wasser im Mund zusammen.
Herbert, was soll ich kaufen?
Kaufen Sie daher erst mal die Musik, mit der Sie Musikliebhaber geworden sind. Das füllt locker das erste Fach eines (Achtung: einzige – leider unbezahlte – Werbung) IKEA-Kallax – das perfekte Plattenregal.
Vermeiden Sie konsequent, Blödsinn zu kaufen, nur um das Regal beeindruckend voll aussehen zu lassen. In kürzester Zeit bekommen Sie nämlich das einzige Problem: das Platzproblem. Kaufen Sie die analogen Erstausgaben eines Werks. Keine Reissues, keine neu abgemischten „Remasters“. Meine Erfahrung hat gelehrt, dass von 20 Remasters gerade mal eines besser ist als das Original. Der Rest mag zwar vielleicht einen strafferen Bass oder eine höhere Auflösung haben – entfernt sich aber meist in gravierendem und, wie ich finde, unerlaubtem Maß vom Original – so wie es der Künstler seinerzeit freigab. Dass der Künstler heute einen Remaster toll findet, hat weniger künstlerische als finanzielle Aspekte – rückt er doch so durch die Neuveröffentlichungslisten wieder ins Beobachtungsfeld.
Kaufen Sie keine Best-Of-Kompilationen und schon gar keine Hitmischungen. Selbst wenn Sie auf diese Weise günstig an ihren Lieblingssong kommen, ist die Klanqualität auf den Hitmischungen meist katastrophal, da auf eine Plattenseite 10 Titel gequetscht werden – der Killer jeder Klangdynamik.
Kaufen Sie Alben. Das war der Einfall des Künstlers. Und Gott sei Dank kann man beim Plattenspieler nicht ohne weiteres Titel vor- und zurückspringen. Auch der etwas langsamere dritte Titel der B-Seite hat seine künstlerische Berechtigung. Sollte man Kunst nicht als solche erkennen, darf man das Defizit gerne auch mal bei sich selbst suchen – und nicht immer zuerst beim Künstler. Dies gilt natürlich für alle Künste.
Kaufen Sie keine Singles – sehr wohl aber Maxis. Beide Sonderformen bieten pro Seite nur einen, maximal zwei Titel. Die sportlichste Art des Musikhörens – schließlich müssen Sie alle paar Minuten aufstehen. Singles, und seien sie noch so billig, und sei der Titel von Ihnen noch so heiß begehrt, sind meist Ausschuss. Durch das papierdünne Cover ohne weitere Innenhülle sind sie meist technisch am Ende und auch auffällig oft dermaßen verdreckt, dass es sinnlos ist. Das Gegenteil gilt für Maxis. Diese drehen (wie die Singles) mit 45 Umdrehungen pro Minute und bieten daher in der gleichen Zeiteinheit mehr Rillenweg. Maxis klingen deshalb meist druckvoller und knackiger. Nicht umsonst haben die DJs seinerzeit darauf gesetzt. Gerade diesen DJs, den Musikgenres Hip-Hop, House und Techno sowie uns verschwurbelten HighEndern ist es zu verdanken, dass es die Schallplatte überhaupt noch gibt.
Liveaufnahmen bevorzugen
Noch mehr als bei lange geplanten und sauber durchorganisierten Studioaufnahmen unter besten Bedingungen fesselt Musik, die live vor Publikum gespielt wird, meist auf direktem Weg. Falsche Töne, ein schlecht positioniertes Mikrofon oder andere Widrigkeiten spielen nach wenigen Augenblicken keine Rolle mehr. Man taucht recht schnell in die Musik ein. Woran liegt das?
Live gespielte Musik fordert von den Ausführenden eine Kommunikation untereinander. Bei klassischer Musik kennen wir den Dirigenten, der diese Kommunikation organisiert. Andere Musikarten leben von einer Kommunikation, die oft unsichtbar funktioniert. Das sind ganz feine Schwebungen, die während der Improvisation dem Spielpartner aufzeigen, wohin die Reise gehen soll.
Hinzu kommt der Aspekt, dass live echt ist. Es gibt keine zweite Chance – ähnlich dem Knistern in der Luft bei einer Theaterpremiere. Diese innere Spannung spüren Sie. Und wenn die Musiker gut sind, brauchen sie diese Spannung und das Publikum als forderndes Gegenüber, um Ihr ganzes Inneres nach außen zu kehren und über sich selbst heraus zu wachsen. Diese subtilen Schwebungen reißen Sie als Zuhörer förmlich mit.
Studioaufnahmen hingegen sind solcherlei Dinge meist beraubt, da meist mehrere „Takes“ gemacht werden, bis der Toningenieur endlich zufrieden ist. Die musikalische Spontaneität geht so verloren.
Japanpressungen
Falls Ihnen die analoge Erstausgabe Ihrer Lieblingsplatte noch zu billig ist, empfehle ich das Ausweichen auf die entsprechende Pressung aus Japan. Der Musikmarkt ist dort wesentlich teurer als bei uns. Um Importe aus dem Ausland möglichst effektiv zu verhindern, tat man in Japan das, was in der japanischen Seele liegt. Man bietet einen Mehrwert. Ein japanischer Ingenieur würde sich lieber umbringen, als etwas freizugeben, von dem er nicht 100%ig überzeugt ist. Und so ist es auch mit den Schallplatten. Bis 1988 in Japan gepresste Platten liegen klanglich meist Lichtjahre vor den europäischen oder amerikanischen Pressungen. Ab 1988 haben die Majors dann die meisten Plattenpressen aufgegeben. Daher bricht ab diesem Datum der dortige Markt zusammen.
Als Beispiel hatte ich schon in Vorführungen das Duell zweier Pressungen der Platte TOTO – THE SEVENTH ONE ausgefochten. Das hatte jeder sofort und in wenigen Sekunden richtig herausgehört.
Auf der anderen preislichen Seite empfehlenswerter Pressungen liegen die Ausgaben aus der damaligen DDR. Diese sind von wirklich guter Qualität – am Markt aber noch verkannt und deshalb recht günstig. Namentlich die beiden Labels AMIGA (U-Musik) und ETERNA/MELODIA (E-Musik).
Das Normale wird zur Rarität
Und wenn es dann doch mal eine Neupressung (Neuerscheinung) sein soll, hier der Pro-Tipp: kaufen Sie die billigste Ausgabe. Den Musikvertrieben ist aufgefallen, dass der Markt von den Fans leergekauft wird. Von großen Neuerscheinungen, wie die aktuelle Tears For Fears dürfen Sie als Kunde bei einem Onlineversender beispielsweise nur eine Kopie pro Haushalt kaufen. Die Fans geben auch bereitwillig viel Geld aus, weshalb es von großen Titeln meistens zwei oder sogar drei Ausgaben gibt. Eine limitierte in klarem oder einfarbig eingefärbtem Vinyl, dann die noch limitiertere in grün-marmoriert samt signiertem Poster und die normale schwarze Version. Diese letzte Version – die billigste – führt das Limited-Edition-Marketing nicht selten ad absurdum, weil sie neben allen Spezialausgaben am Ende die kleinste Auflage hat. Das Normale wird zur Rarität. Begegnet uns dieses Phänomen nicht allerorten auch in anderen gesellschaftlichen Debatten?
Wer ist mein Dealer
Der erste Anlaufpunkt, und da sind wir in Freiburg ja gut bestückt, ist ein Second-Hand-Plattenladen. Die haben jede Platte einmal angeschaut und stellen kratzerfreie Ware ins Regal. Ich kaufe mittlerweile blind – von 100 Platten muss man mal eine aussortieren. Dies gilt nicht für Flohmärkte. Dort lohnt sich ein kritisches Auge.
Und dann einfach stöbern. Selbst wenn mal eine Schallplatte nicht die Mitte Ihres musikalischen Geschmacks trifft, geht von der analogen Wiedergabe so viel Charme aus, dass Sie Ihren musikalischen Horizont unweigerlich erweitern werden – an Nachschub mangelt es jedenfalls nicht.
Wer eine Platte unbedingt sofort haben muß und keine Geduld hat, bis er sie irgendwann mal findet, für den gibt es discogs (link) – das Schallplatten-Wikipedia mit angeschlossenem Marktplatz. Es ist nahezu jede Schallplatte käuflich zu erwerben – alles eine Frage des Preises.
Das Hören
Man hört eine Platte ganz. Beide Seiten. Wenn Sie zwischendurch dazu keine Zeit haben – lassen Sie es. Das bringt nichts. Man nimmt sich dafür Zeit.
Der Stapel an Platten, die Sie aus dem Regal ziehen, weil Sie diese heute Abend unbedingt noch hören wollen, wird regelmäßig mindestens dreimal umfangreicher sein, als die zur Verfügung stehende Zeit. Bedenken Sie: morgen ist auch noch ein Tag.
Und sollten Sie mal völlig uninspiriert vor dem Regal stehen (wie die Damen vor vollem Kleiderschrank nichts zum Anziehen findend): beginnen Sie mit Bach. Seine Musik ist so inspirierend, dass Sie die Platte entweder zu Ende hören oder spätestens nach zwei Minuten genau wissen, wonach Ihnen ist.
Repeat-Taste gibt es nicht
Sie hören eine wahnsinnig gute Platte. Vermeiden Sie es – egal wie groß der Drang ist – nach deren Ende diese gleich nochmal zu spielen. Sie müssen lernen, die unweigerlich entstehende innere Leere zu genießen. So hallt die Kunst im Stillen wesentlich länger nach. Danach auch nichts anderes mehr auflegen.
Rauschen und Knackser
Eine Schallplatte, egal wie neu, klingt nicht so klinisch sauber wie digitales Material. Das war, ist und bleibt so. Rauschen ist dabei allerdings kein systemimmanentes Problem. Das liegt meist an der minderwertigen Wiedergabekette des Anwenders. Bei mir rauscht nichts. Ich lade gern zur Vorführung. Knackser haben drei Gründe:
- falsche Erdung des Abspielsystems: Durch die Reibung der Nadel in der Rille entsteht statische Aufladung. Im Winter, wenn die Luft in Innenräumen trockener ist, ist der Effekt stärker. Diese wird durch korrekte Erdung zuverlässig abgeleitet.
- echte Kratzer auf der bespielten Fläche der Platte: Wegwerfen! – oder eine Wanduhr daraus basteln.
- Schmutz auf der Platte: ist entweder locker aufliegender Staub oder echte Verschmutzung. Auch diese bekommt man tatsächlich rückstandsfrei entfernt. Suchbegriff: Knosti
Trotzdem werden Sie auch bei sauberster Platte immer mal wieder ein Nebengeräusch haben. Dies empfinde ich aber nicht als schlimm. Es ist wie eingangs erwähnt ein anderes Hören. Sie sind bei der analogen Wiedergabe viel dichter, unmittelbarer am musikalischen Geschehen dran. Dieser Benefit kann vom Malus der hier und dort anzutreffenden Unperfektion niemals aufgewogen werden.
Platten stehend lagern
Eine Schallplatte steht immer. Immer. Sie liegt nie – mit Ausnahme der 2x 25 Minuten auf dem Plattenteller. Danach wird sie sofort wieder hingestellt. Ich weiß nicht, ob ich mich präzise genug ausgedrückt habe. Platten liegen nie – und schon gar nicht als Stapel.
Hintergrund: PVC (das Material aus dem die Schallplatte besteht) ist im Grunde thermisch so empfindlich wie Schokolade. Der Schmelzpunkt liegt zwar höher – aber unsere Probleme beginnen nicht erst, wenn schon alles geschmolzen ist. Daher lagern Platten dort, wo sich Schokolade auch wohlfühlen würde. Ihr Plattenregal steht also an einer Wand, die über das gesamte Jahr nicht eine Sekunde Sonne abbekommt. Platten bleiben auch nicht im Auto liegen. Und nur Ahnungslose bestellen sich im Sommer Platten online. Die liegen viel zu lange im 60° heißen DHL-Laster. Und da das Label in der Mitte etwas dicker als die bespielte Fläche der Platte ist, verbiegt sich eine liegende Schallplatte relativ schnell zum Regenschirm > Müll.
Das Equipment
Hier bleibe ich mit konkreten Empfehlungen absichtlich vage, da das mein Hauptberuf ist und beschränke mich auf allgemein gültige Dinge.
Ob Wagners Liebestod oder ein Harfensolo: mitreißende Musikwiedergabe lebt von zupackender Kraft. Echte Kraft ermöglicht es Ihnen, die dynamischen Schattierungen der Musik in ihrer ganzen Spannbreite zu genießen.
Schall ist energetisch gesehen recht undankbar. Die Luftmoleküle lieben es, der Auslenkung der Lautsprechermembran auszuweichen. Nur wenig der zugeführten Energie gelangt am Ende effektiv an Ihr Ohr.
Natürlich können wir fast alle zu Hause ein Sinfonieorchester nicht in Originallautstärke spielen – aber die dynamischen Größenverhältnisse zwischen einem Soloinstrument und dem vollen Orchester müssen stimmen.
Woher kommt nur diese Anspruchslosigkeit heutzutage?
Wie bei jeder Liebhaberei kann man auch Musikhören seitens des Aufwandes, den man dafür treibt, ad absurdum führen. Der Schreiber des Artikels ist, wie er sich hat sagen lassen müssen, ein Opfer dieses Faktums geworden. Daher bin ich ein schlechter Berater für günstige Lösungen. Aber tun Sie mir wenigstens den einen Gefallen, und kaufen Sie nicht beim Discounter diese lächerliche Holztruhe, die neulich wieder im Werbeprospekt war.
Grundausstattung: Ein vernünftiger Plattenspieler, ein Verstärker mit Phonoeingang und zwei anständige Lautsprecher. Nein, Sie kaufen keinen Plattenspieler, der per Bluetooth an die Soundbar des Fernsehers streamt – schließlich haben Sie den Fernseher ja schon eingangs des Artikels aus dem Fenster geworfen – und die Soundbar gleich mit.
Der Zubehörmarkt ist etwas unübersichtlich. Viel brauchen Sie nicht. Eine Karbonfaserbürste für den Staub, eine Nadelbürste für den Tonabnehmer und eine Korkmatte als Bett für die Schallplatte auf dem Plattenteller. Die Filzmatten, die allerorten Grundausstattung sind, taugen nichts, da Sie die Platte statisch aufladen und somit den Staub anziehen. Wer es dann weiter treiben will, kauft sich eine günstige Plattenwaschmaschine. Damit bekommt man die Platten wieder fast wie neu.
Wir Opfer des Perfektionswahns ergötzen uns an den Unterschieden zwischen verschiedenen Tonabnehmern und ähnliches. Soweit muss es ja nicht gehen. Aber es ist für Neulinge schlicht nicht vorstellbar, wie gut die analoge Schallplatte klingen kann und jede digitale Tonquelle musikalisch mühelos an die Wand spielt.
mb
PS: Wer sich für alte Grammophone und die Geschichte des Sujets gesamt interessiert, sollte das Deutsche Phonomuseum in St. Georgen im Schwarzwald (link) besuchen.
Bild von Bruno /Germany, Tibor Janosi Mozes, Ranya, S. Hermann & F. Richter, press 👍 and ⭐ und Jenny Friedrichs auf Pixabay
Analog klingt viel wärmer.
Hallo Herr Lauert, vielen Dank für Ihren Kommentar.
Wärmer ist dabei natürlich Interpretationssache. Wenn sie damit angenehmer meinen gehe ich d’accord. Klangliche Wärme definieren wir in der Branche allerdings über den Frequenzgang. So haben britische Lautsprecher bis weit in die 90er-Jahre alle einen Frequenzgang, der schon bei 15 kHz deutlich absinkt – und damit eine gewisse klangliche Wärme mit sich bringen. Das wohnt der Schallplatte aber nicht grundsätzlich inne. Mit dem richtigen Equipment können Sie Hochtonfeuerwerke abbrennen, dass es einem Angst und Bange wird.
So long – stay analog!