Ich wurde neulich (23.04.) Zeuge eines Telefonats, dessen Inhalt ich kurz wiedergeben darf – die Beteiligten sind selbstverständlich anonymisiert und über den Artikel informiert.

Ein lieber Bekannter – nennen wir ihn A – war mein Gastgeber, als er unvermittelt von B, einem Bekannten von A angerufen wurde. A und B sind beide fortgeschrittenen Alters – erfreuen sich aber jeweils bester Verfassung – oder etwa nicht?

B, dreifach geimpft und sehr zurückgezogen lebend, kommt kaum in Austausch mit seinen Mitmenschen. Irgendwie stutzig geworden fing er an, auf eigene Faust zu recherchieren.

Was ist ein Schwurbler? Die täten ja per Definition nur Unsinn erzählen. Man hatte ihm dargelegt, dass er als Geimpfter für andere eine Gefahr darstelle. Das wolle er natürlich nicht. Er hätte hier und da gelesen. Er komme diesbezüglich immer nur mit Leuten ins Gespräch, die 30 bis 40 Jahre jünger seien als er. Und er wolle jetzt mal mit einem erfahrenen Altersgenossen reden. Und so ging das gut 20 Minuten als Monolog weiter. A hatte das Telefon auf laut gestellt – um noch jemanden dabei zu haben, falls er argumentativ in Bedrängnis kommen sollte.

A kam nicht zu Wort, konnte nicht mal, wie man es von Telefonaten mit der Ehefrau kennt, immer wieder mal “ja” sagen. Keine Chance.

Als es dann A doch mal gelang, dazwischen zu gehen, lud er B auf die 2 Stunden später stattfindende Schwurbler-Demo ein. Dort könne er sich selbst ein Bild davon machen, wer diese Schwurbler sind und was sie antreibt. Es würde sicher allen Seiten gut tun, vernünftig miteinander ins Gespräch zu kommen. B kennt A gut, weiß auch, dass A bei den Schwurblern aktiv ist – hätte also Vertrauen schöpfen können.

Nein, viel er sofort ein, das wolle er nicht, und so endete das Telefonat wie jedes gute Theaterstück. Der Vorhang gefallen und alle Fragen offen.

Wer Fragen stellt, bekommt, das liegt in der Natur der Sache, eventuell Antworten. Aber – wir wissen es: Antworten oder konkrete Lösungsangebote sind nicht immer das Ziel des Fragens.

Ein Punkt hallte in mir länger nach:

Ja halten die sich denn alle für unverwundbar?

Halten sich die willentlich Ungeimpften für unverwundbar? Das ist mir zu pauschal. Ich denke, ein gewisser Prozentsatz sieht das so und ich gestehe, dass ich gar nicht so genau weiß, ob ich dort dazugehöre. Angst hatte ich nie, und wie das alles schon ein gutes Weilchen vor sich herging war ich doch ein wenig verwundert, dass es mich bis heute noch nicht (wissentlich) erwischt hat. Mein Büro ist in den Räumen einer internationalen Spedition. Wenn einer an der Infektionsfront ist, dann ich.

Die Unverwundbarkeitsfrage geht für mich aber tiefer. Niemand ist unverwundbar. Man denke sich das Horrorszenario aus, dass wir wegen Krankheiten nicht mehr sterben könnten – sehr wohl aber wegen Unfällen oder Tätlichkeiten. Jeder würde sich zu Hause einschließen und tunlichst vermeiden, Auto oder Fahrrad zu fahren. Viel zu gefährlich.

Wer spürt den Punkt? Das Leben ist die einzige Krankheit, die definitiv tödlich ausgeht. Welchen Grund gibt es, auf einem Grat wandernd einen Gipfel zu erklimmen: eigentlich keinen. Aber nie fühlt man sich so lebendig, wie am Rande des Todes. Und so weckte die Pandemie bei dem einen den Hang zur stillen und ängstlichen Mitläuferschaft und bei den anderen, die früh Unstimmigkeiten erkannt haben, neue Lebensgeister – die Geburtsstunde der Schwurbler.

Ich will heute aber auf eine andere Gruppe der deutschen Bevölkerung hinaus. Die Generation Ü65 – die Generation meiner Eltern und Schwiegereltern.

Menschen, die sich aus dem Elend der Nachkriegszeit in ein angenehmes Leben gearbeitet haben – mit viel Blut, Schweiß und Tränen. Dass es diese Annehmlichkeiten für die nachfolgende Generation nicht mehr geben wird, haben sie nicht erkannt.

Wie auch? Jede Verantwortung, die über das eigene Grundstück hinausgeht, wurde gern und bereitwillig an sogenannte oder soll ich sagen selbsternannte Abgeordnete abgegeben – diese durften gern schwarz eingefärbt sein. Ob die jetzt gerade im Gemeinderat, dem Kreistag, dem Landtag, dem Bundestag oder gar in einer der unzähligen europäischen Gremien sitzen (war es nun der Europarat, der europäische Rat oder doch der Rat der Europäer?) war ihnen vollkommen egal. Hauptsache der junge Kopfsalat wird nicht wieder – wie jedes Jahr – von den Schnecken gefressen.

Ihr Ü65 da draußen: Ihr müsst keine Babys mehr stillen, ihr müsst nicht mehr die Ethik-Hausaufgaben kontrollieren. Ihr habt Zeit. Und bei maximal der Hälfte Eurer Kohorte akzeptiere ich die Ausrede, irgendwelche Zipperlein pflegen zu müssen.

Und im Übrigen: Euer Elektrofahrrad, auf dem Ihr Eure Zeit, die Mosel entlang radelnd, verschwendet, ist angetrieben mit Lithium und Kobalt. Wenn Ihr schon alles richtig machen wollt – dann bringt diese Klapperkisten endlich zum Recyclinghof.

Mit diesen Provokationen wird es mir kaum gelingen, die angesprochene Generation dazu zu bewegen, Verantwortung zu übernehmen.

Nehmt es als Hilferuf.

So wie der nicht anders zu verstehende Anruf B’s bei A. Ein lauter, nicht enden wollender Schrei nach Hilfe.

Dabei ist B die Speerspitze einer völlig neuen Bewegung. Die bislang willenlosen Mitmacher (nicht Mitläufer – da waren genug Macher mit dabei) wachen auf. Zunächst logischerweise völlig verunsichert, den Boden unter den Füßen verlierend. Aber auch in einem äußerlich matten und müden Körper schlummern noch immer weltbewegende Kräfte.

Nehmt Eure Erfahrung und Euren Weitblick in die Hand und helft dieses Land zu retten, an dem die Abgeordneten, hinter denen Ihr Euch zu lange schweigend verschanzt habt, sich unentschuldbar vergreifen.

Die Kommentarspalte ist offen. Gerne laut und unverschämt. Aber mit Herz – wenn ich bitten darf.

mb

Bild von marinabridger auf Pixabay

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