Von Jan Ackermeier
New York, 24. Oktober 1929. Die Glocke an der Wall Street läutet, doch die Stimmung kippt fast sofort. Verkäufer drängen auf den Markt, Kurse taumeln, die Ticker kommen nicht mehr hinterher. In wenigen Stunden verwandelt sich ein gewöhnlicher Handelstag in ein Warnsignal für eine ganze Epoche. Ort ist die New York Stock Exchange, Zeit kurz vor Mittag. Nach Jahren des Booms sind viele Anleger auf Kredit engagiert. Gerüchte über schwächere Gewinne und steigende Zinsen hatten die Wochen zuvor geprägt. Nun treffen Verkaufswellen auf ein überdehntes System. Zu den Akteuren zählen Banker von J. P. Morgan & Co., Börsenmakler wie Richard Whitney und eine Masse privater Anleger, die auf steigende Kurse vertraut hatten.
Der Moment beginnt mit einem Kursrutsch in führenden Werten
Telefonleitungen glühen, Makler schreien Orders, der Ticker hinkt Minuten hinter der Realität her. Panik greift um sich, als Nachschußforderungen fällig werden und Kredite platzen. Ein Bankenkonsortium versucht, den Absturz zu bremsen. Whitney tritt an das Parkett, kauft große Blöcke „solider“ Aktien und setzt ein Zeichen: „Der Markt ist gesund.“ Für kurze Zeit beruhigt sich die Lage, doch die Nerven liegen blank. Am Ende des Tages wurden 12,9 Millionen Aktien gehandelt – ein Rekord.
Die direkten Folgen sind katastrophal
Viele Kleinanleger verlieren ihr Erspartes, einige Maklerhäuser geben auf. Unternehmen verschieben Investitionen, feuern Personal oder frieren Einstellungen ein. Die Kurserholung am Abend wirkt wie eine Atempause, nicht wie eine Lösung. Die eigentliche Abwärtsspirale setzt sich in den nächsten Tagen fort. Die Bedeutung für heute liegt in drei Punkten. Erstens zeigt der Tag, wie gefährlich Kreditblasen und Spekulationen für ganze Volkswirtschaften werden können. Zweitens unterstreicht er den Wert robuster Marktinfrastruktur: klare Regeln, laufende Offenlegung, wirksame Unterbrechungen bei extremer Volatilität. Drittens prägt er das kollektive Gedächtnis für Generationen von Anlegern, Politikern und Aufsehern – als Mahnung, wie schnell Vertrauen kippt und wie langsam es zurückkehrt. Wer den 24. Oktober 1929 betrachtet, sieht nicht nur einen Kurssturz. Er erkennt ein System unter Spannung, das an diesem Tag seine Schwachstellen offenlegte. Aus den Fehlern folgten Reformen, doch das Jahr 2007 und das Platzen der Immobilienblase in den USA zeigt etwa, daß das System trotzdem immer wieder anfällig ist.
Beitragsbild / Symbolbild: Menschenmassen an der Wall Street am selben Tag kurz nach dem Börsenkrach. Urheber unbekannt.
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