Von Jakob Maria Mierscheid

Neben der Studie „Die Angst vor dem Verbot – was der Volksbegriff für die AfD bedeutet“ (die Rezension dazu findet sich hier!) hat das Bürgernetzwerk „Ein Prozent“ auch die Studie „Eine Frage des Überlebens: Wer ist Deutscher?“ veröffentlicht. Mit der parallelen Veröffentlichung beweist das Netzwerk, dass die Schwächen der Studie „Angst vor dem Verbot“ nicht ihm anzulasten sind, denn bei „Eine Frage des Überlebens“ handelt es sich um eine hervorragende Arbeit. Wenn man Max Webers Satz anwendet, dass die Politik „ein starkes langsames Bohren von harten Brettern mit Leidenschaft und Augenmaß zugleich“ sei, dann liegt hier eine politische Studie per excellence vor. Dies deshalb, weil es dem Autor gelingt, eine große Menge an unterschiedlichsten Fakten aus verschiedenen Bereichen mit einem eingängigen und teils unterhaltsamen essayistischen Stil zu vereinen.

Buchcover der gelungenen Analyse.

Guter Stil trotz oder wegen Wissenschaftlichkeit
Der Stil schadet dabei nicht der Wissenschaftlichkeit der Arbeit, sondern dürfte vielmehr helfen, die oft sehr theoretischen und teils trockenen verfassungs- und staatsrechtlichen Auseinandersetzungen auch der nichtjuristischen Leserschaft zu vermitteln. Mittelpunkt ist dabei, wie der Titel schon verrät, die Frage, wer eigentlich Deutscher ist. Bei dieser entscheidenden Frage kommt man nicht umhin, die verfassungs- und einfachgesetzlichen Regelungen und Interpretationen zu behandeln. Dies allein schon deshalb, da der Streit um den Volksbegriff und die Volkszugehörigkeit im Mittelpunkt der juristischen Auseinandersetzung zwischen Repressionsbehörden und Opposition steht. Besonders gelungen ist es dabei, die Widersprüche zwischen der Interpretation der Repressionsbehörden und teils auch der Gerichte und dem offiziellen Regierungshandeln und verschiedenen gesetzlichen Regelungen, etwa zur dänischen Minderheit in Schleswig-Holstein, aufzuzeigen. Ironisch, aber nicht ohne Grundlage lautet das letzte Kapitel daher auch „Auslandsdeutsche: die Bundesregierung als identitäre Bewegung“, in der die Förderung einer ethnokulturellen Identität der Auslandsdeutschen durch das Innenministerium – also dem Ministerium, dem auch der Verfassungsschutz untersteht – mit der Bekämpfung der ethnokulturellen Identität der Inlandsdeutschen verglichen wird. Nicht die einzige Schizophrenie der Bundesrepublik, die der Autor gekonnt und mit oft spitzem Humor offenlegt. Jedoch werden nicht nur zahlreiche falsche Annahmen, Interpretationen oder Widersprüche der offiziellen Institutionen offen gelegt, auch manche Korrekturen an Fehlvorstellungen im patriotischen Lager (so etwa das Zitat aus einem BVerfG-Urteil bezüglich der „verfassungsrechtlichen Pflicht, die Identität des deutschen Staatsvolkes zu erhalten“) wird vorgenommen.

Ein Steinbruch voller Argumente
Hinsichtlich dieser zahlreichen, unterschiedlichsten Aspekte und Beispiele ist die Studie im besten Sinne ein „Steinbruch“, wie der Autor es selbst in der Einleitung schreibt, aus dem sich Juristen wie auch politische Aktivisten, Abgeordnete und Journalisten die passenden Bausteine für ihre Argumentation herausholen können. Selbst solche Leser, die sich schon eingehend mit der Thematik beschäftigt haben, werden neue Fakten und Argumente präsentiert bekommen. In den 116 Fußnoten wird zudem reichhaltiger Stoff für eine weitere Vertiefung geboten. Ebenso betonenswert und erfreulich ist, dass hier nicht nur ein theoretischer Jurist schreibt, sondern auch ein Autor mit klarer politischer Analyse. Denn am Ende ist der politische Wille und das Innehaben der Hegemonie das Entscheidende, wie auch an den zahlreichen Widersprüchen, Fehlinterpretationen und teils bewussten falschen Tatsachen der Repressionsbehörden und Gerichte deutlich wird. Bedeutsamer als die Frage, wer die überzeugenderen Argumente hat, ist letztendlich, wer über die Definition entscheidet. Hier ist vielleicht auch der einzige Kritikpunkt zu finden, nämlich der, dass der Autor nicht noch mehr Aspekte behandelt hat. Bereits in dieser Form ist die Studie mit 60 Seiten jedoch sehr umfangreich, sodass es schlicht der Länge geschuldet sein dürfte, dass der Autor in seinen vielseitigen und in die Tiefe gehenden Betrachtungen nicht auch noch weitere, verwandte Themen ausführlich analysiert. Hier bleibt aber zu hoffen, dass der Autor noch weitere „dicke Bretter“ bohren wird.

Verbreitung ausdrücklich erwünscht
Bis dahin ist der Studie die größtmögliche Verbreitung zu wünschen, denn so ziemlich jeder Akteur des rechten Mosaiks dürfte von der Lektüre profitieren. Warum abermals das Bürgernetzwerk „Ein Prozent“ eine solche Studie, deren Wert kaum überschätzt werden kann, realisiert und nicht etwa die Desiderius-Erasmus-Stiftung oder gleich die Alternative für Deutschland selbst, obwohl es das wohl wichtigste politische wie auch juristische Thema der Partei betrifft, ist eine Frage, auf die man wohl auch in diesem Fall keine Antwort erhalten wird.

Wer die Studie sträflicherweise noch nicht sein Eigen nennt, kann sie hier für gerade einmal 2 Euro erwerben.

Beitragsbild / Symbolbild: Andres Sonne / Shutterstock.com; Bild in der Mitte: Buchcover / „Ein Prozent“.

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