Von Achim Baumann
Die Medien gehen nicht gerade pfleglich um mit der AfD in Nordrhein-Westfalen. Das Neue Deutschland nennt die AfD in dem einwohnerstärksten Landesteil eine „Skandaltruppe“, die TAZ etikettiert sie als „überfordert“ und die ZEIT unterstellt gleich ein System der Vetternwirtschaft, in der Art, wie es die Mafia kultiviert. Da es sich um sattsam bekannte linkslastige Medien handelt, ist eine positive Berichterstatttung freilich nicht zu erwarten. Aber was ist tatsächlich dran an den Vorwürfen, die zunehmend belastbarer werden und nach neusten Einschätzungen sogar den Wahlantritt bei der Bundestagswahl gefährden könnten?
Mitgliederstarker Verband
Die AfD in Nordrhein-Westfalen ist zerstritten. Das ist Fakt und dürfte von niemandem vor Ort bestritten werden. Das hat bereits eine lange Tradition und das ist auch nichts Neues innerhalb der gesamten AfD. Es gibt zahlreiche Mandate, Stellen und Versorgungsposten zu vergeben – und diese sind nun einmal heiß begehrt und umstritten. Denn nicht allen Funktionären geht es um die Politik. Während es in früheren Jahren eher Interessengruppen waren, die sich um die Posten stritten, ist zunehmend eine ideologische Bruchlinie zu erkennen. So spricht man vom Helferich-Lager und vom Vincentz-Lager, die sich befehden. Dr. Martin Vincentz, der Landesvorsitzende, stand bis vor Kurzem eher in der Tradition des bürgerlich-konservativen Leisetreters. Nicht gerade Vorfeld-affin und stets bemüht, „anschlussfähig“ zu werden, träumte er sogar in Rundbriefen von realitätsfernen Regierungskoalitionen – so wie seine Kollegen Robert Lambrou in Hessen und Dr. Jan Bollinger in Rheinland-Pfalz auch. Die drei westlichen Landesvorsitzenden ähneln sich nicht nur politisch. Charismatisch sind alle drei nicht, vertreten indes liberal-konservative Standpunkte und agieren alle drei mit rechtsstaatlich fragwürdigen Parteiordnungsverfahren. Ein Instrumentarium, das der selbsternannten Rechtstaatspartei nicht gut zu Gesicht steht, werden doch zahlreiche Verfahren vor den Schiedsgerichten offensichtlich nur zur Kaltstellung der innerparteilichen Rivalen genutzt. Wer die Schiedsgerichte kontrolliert, sitzt mitunter am längeren Hebel. Dass die Bundespartei in Nordrhein-Westfalen nicht besonders aktiv eingreift, dürfte dagegen dem Umstand zu verdanken sein, dass der Landesverband bei Parteitagen die meisten Delegierten stellt. Und da könnte ein Rüffel Richtung NRW im ungünstigsten Fall dazu führen, dass ein Kandidat auf Bundesebene den Rückhalt der nordrhein-westfälischen Delegierten verliert. Das kann sich beispielsweise Alice Weidel nicht erlauben, wenn sie sich auf dem kommenden Parteitag mit einer überzeugenden Quote zur Kanzlerkandidatin küren lassen möchte.
Doch kein „Durchmarsch“
Der aktuelle Landesvorstand in NRW steht kurz vor der Implosion, sofern man manchen Beobachtern Glauben schenken möchte. Dabei sah vor wenigen Monaten die Welt noch ganz anders aus. Man sprach im Vincentz-Lager vom „Durchmarsch“ der eigenen Leute und der „Vernichtung“ des feindlichen Lagers. Kein Wunder, war die Landesvorstandswahl doch ein Erfolg für das Vincentz-Lager. Bis auf den Dortmunder Rechtsanwalt Matthias Helferich und zwei Gefolgsleute setzte sich Martin Vincentz und sein Gefolge durch. Das könnte sich nun rächen, sind doch zahlreiche Fehler, Versäumnisse und fragwürdige Entscheidungen klar dem Rumpf-Vorstand um Martin Vincentz zuzurechnen.
Der Fall Klaus Esser
Dass Vincentz einmal über die Personalie Klaus Esser stolpern könnte, hätte der Landesvorsitzende vor wenigen Monaten wohl noch für eine böswillige Unterstellung gehalten. Nun kommt in kleinen, aber durchaus skandalösen Happen immer mehr über den Dürener Klaus Esser heraus: Mehrere Punkte seines Lebenslaufs inklusive Studienabschluß soll er erstunken und erlogen, dazu Steuergeld veruntreut haben. Neben fragwürdigen politischen Entscheidungen, die nicht anders als unpatriotisch zu qualifizieren sind (wir berichteten), soll der Vincentz-Mann, der auch Landtagsabgeordneter ist, darüber hinaus Personen in den Dürener Kreisverband aufgenommen haben, die zu dem Zeitpunkt gar nicht in Düren wohnten. Dazu wurden Aufnahmeanträge gefälscht. Erst sehr zögerlich wurde im Landesvorstand ein Parteiausschlußverfahren beschlossen, aber erst einmal gar nicht an das verantwortliche Landesschiedsgericht weitergeleitet. Erst rund drei Monate später bekam das Schgiedsgericht den Antrag auf Ausschluß auf seinen Tisch. Zufall? Oder eher beabsichtigt? Wenn man bedenkt, wie schnell das Vincentz-Lager ansonsten Parteiordnungsverfahren förmlich „ausspuckt“, muss man sich fragen lassen, ob Klaus Esser etwa gehalten werden soll? So gibt es zahlreiche Indizien für diese Vermutung.
Was hat Klaus Esser in der Hand?
Laut ZEIT soll Klaus Esser auf einer Fraktionssitzung einmal geäußert haben, dass er die Hälfte der Anwesenden mit in den Abgrund reißen würde, wenn er aus der Partei geworfen werden würde. Und weiter berichtet die ZEIT darüber, dass Esser einem Parteimitglied geschrieben habe, dass er „einen gut gefüllten Giftschrank“ gegen alle möglichen Weggefärten habe. Aufgrund dieser zum Teil von Esser sogar ausdrücklich bestätigten Aussagen ist es wenig verwunderlich, dass er auch nach wie vor Mitglied der Düsseldorfer Landtagsfraktion ist. Man darf also mutmaßen, dass die Zurückhaltung des Vincentz-Lagers, Esser fallen zu lassen, der eigenen Protektion dient. Nun möchte sich der Freiburger Standard nicht einer reinen Verdachtsberichterstattung schuldig machen und hätte gerne konkrete Äußerungen der Beteiligten widergegeben, aber um Klaus Esser herum scheint ein eisernes Schweigegelübde zu bestehen. Nicht einmal die akademische Burschenschaft Germania Köln, der Klaus Esser angehört, hat sich auf kritische Fragen hin zurückgemeldet. Dabei ist das Ehrverhalten gerade in burschenschaftlichen Kreisen für gewöhnlich äußerst ausgeprägt. Seine Burschenschaft macht sich nun zum Gespött in ihren Kreisen, denn ein Mitglied, das seinen Studienabschluß erfunden und sich die Mitgliedschaft förmlich erschlichen hat, würde in anderen Burschenschaften in hohem Bogen ausgeschlossen. Bei der für Düren zuständigen Staatsanwaltschaft Aachen liegen derweil wegen unterschiedlicher Vorwürfe Anzeigen gegen Esser vor. Die Behörde will sich dazu nicht weiter äußern, auch der Freiburger Standard fragte dort nach.
Ein Schweigegelübde aus Angst?
Nun haben Parteimitglieder, die sich über Klaus Esser beschwert haben beziehungsweise als sie Kritik an dem mutmaßlichen Gebahren äußerten, auch schon einmal Besuch aus dem Rotlichtmilieu erhalten. Und auch ein mutmaßlicher Geschäftspartner von Esser, der in dessen Steuerbetrugsverfahren involviert ist, soll über Kontakte ins Rotlichtmilieu verfügen. Von der Landesspitze kommt indes unisono der ständig wiederholte hehre Wunsch, die Vorwürfe würden sich sicherlich in Luft auflösen und die Steuerbetrugsangelegenheit sei reine Privatsache. Das korrespondiert auch in dem Unwillen, ihn für die Zeit, in der er in der Landesgeschäftsstelle tätig war, zu verklagen, da er die geforderten und nötigen akademischen Weihen nicht hatte, sich die Stelle erschwindelt haben soll. Aber man will einfach nicht gegen ihn vorgehen. Man hat ihm noch nicht einmal die Mitgliedsrechte entzogen, ein Instrument, das beispielsweise gegen den Bundestagsabgeordneten Matthias Helferich ohne großes Zögern angewendet wurde.
Mittlerweile reagiert das Vincentz-Lager getrieben
Aber Klaus Esser ist nicht die eizige Person aus dem Vincentz-Lager, die für Aufregung sorgt. Ein anderes Landesvorstandsmitglied darf in öffentlichen Foren mit den radikalsten Äußerungen für Furore sorgen. Laut Landesvorstand respektiert man in diesem Fall die Meinungsfreiheit. Das ist erfreulich, aber gilt anscheinend eben nur für Vincentz-Freunde. Aber auch Vincentz selbst hat bei manchem Mitglied an der Basis für entsetztes Augenrollen gesorgt: Bei einem Schiedsgerichtstermin soll er ausfallend geworden sein, rumgebrüllt haben, wie Anwesende bestätigen. Ein souverän agierender Landesvorsitzender reagiert anders. Das sieht auch der ehemalige Landessprecher Rüdiger Lucassen so, der im Nachgang der unrühmlichen Sitzung des Landesschiedsgerichts forderte:
„Ein echter Patriot und Landessprecher, der sich seiner Verantwortung bewusst ist, sollte jetzt die Konsequenzen ziehen. M. Vincentz besitzt die intellektuellen Fähigkeiten und das notwendige Abstraktionsvermögen um zu erkennen, dass er sich verrannt und unseren Landesverband in eine fast aussichtslose Situation geführt hat. Ein sofortiger freiwilliger Rücktritt als Landessprecher wäre für ihn noch gesichtswahrend.“
Das ist in der Tat kein Lob. Es kommt aber für Martin Vincentz noch dicker: Wie zahlreiche Medien melden, könnte der Wahlantritt in Nordrhein-Westfalen gefährdet sein. Nun ist der Partei so etwas schon einmal in Bremen passiert. Aber Bremen ist winzig im Vergleich zu den erwartbaren Stimmen aus Nordrhein-Westfalen. Die AfD wird in dem Bundesland zwar um etwa ein Drittel niedriger taxiert als im Bundesdurchschnitt, also bei 10 bis 12 Prozent, während man in Umfragen bundesweit Werte von bis zu 18 Prouzent erreicht. Aber dafür, dass man die Landespartei öffentlich nicht besonders wahrnimmt, immerhin scheint man sich intensiver mit internen Ordnungsmaßnahmen zu beschäftigen als mit dem Setzen von inhaltlichen Duftmarken, ist die Zahl der Bundestagsabgeordneten in Relation zu den rund 18 Millionen Einwohnern in NRW für die Bundestagsfraktion äußerst wichtig. Derzeit sind es 12 Bundestagsabgeordnete aus NRW, die im Bundestag u.a. die Landesgruppe NRW bilden. Es wäre für die AfD ein schwerer Schlag, wenn 12 – oder tendenziell etwas mehr – Abgeordnete aus Nordrhein-Westfalen im kommenden Bundestag nicht mehr dabei wären. Das alarmiert mittlerweile auch die Bundespartei.
Wer schätzt die Lage realistisch ein?
So kommt es, dass sich mittlerweile die Landeswahlleiterin bei der AfD NRW gemeldet hat und diese aufforderte, zu den Unregelmäßigkeiten Stellung zu beziehen. Immerhin könnten irregulär aufgenommene Mitglieder in Düren Einfluss auf den Delegiertenschlüssel haben und so die Rechtmäßigkeit der anstehenden Wahlversammlung der Bundestagsliste zurecht infrage gestellt werden. Mit der nun bekannt gewordenen Anfrage, sind Martin Vincentz und sein Gefolge bereits als zumindest Verharmloser, wenn nicht sogar als Lügner demaskiert. Nicht nur der Landeschef selbst, auch andere Landesvorstandsmitglieder wie der EU-Abgeordnete Hans Neuhoff haben regelmäßig verkündet, der Wahlantritt sei nicht gefährdet. Kritiker wurden förmlich abgewatscht, ihnen mit Ordnungsmaßnahmen gedroht. Die Glaubwürdigkeit der Vincentz-Truppe hat spätestens nun erheblich gelitten, auch wenn weiterhin erklärt wird, man habe alles im Griff, mögliche Kritikpunkte seien aus der Welt.
Showdown vor der Haustür von Vincentz
Was passiert nun in Nordrhein-Westfalen? Sieht sich der Vincentz-Clan, um im Mafia-Jargon der ZEIT zu bleiben, geschwächt? Wohl kaum. Ihm könnte die kurzfristig angesetzte Bundestagswahl gerade eben noch nützen. Es wenden sich in NRW zwar immer mehr ehemalige Gefährten ab, aber auf der Landesaufstellungsversammlung zum Bundestag, die eigentlich erst im kommenden März hätte stattfinden sollen, könnte sich sein Flügel vielleicht noch einmal durchsetzen und die Kandidaten des anderen Flügels, darunter Roger Beckkamp, Matthias Helferich und Rüdiger Lucassen verhindern, was unzweifelhaft ein Verlust für die Bundestagsfraktion wäre. Dass sich die weithin kritisierten Clanstrukturen noch nachweisen lassen, sieht man am kürzlich stattgefundenen Kreisparteitag der Dürener AfD. Klaus Esser selbst verschickte Abwahlanträge gegen zwei Kritiker im Kreisvorstand. Und wie bestellt, wurden diese aus dem Kreisvorstand abgewählt. Dagegen kontrolliert nun jemand die Kreiskasse, der als überaus Esser-nah bezeichnet werden kann: seine Frau Ingrid. Allerdings muss diese sich selbst wegen möglicher Tricksereien einem Parteiausschlußverfahren stellen. Schon wird parteiintern über weitere Schummeleien spekuliert, die im Kreisverband Düren ihren Anfang genommen haben sollen. Der Fall Esser könnte somit letztlich auch der Anfang vom Ende des Systems Vincentz sein, denn dauerhaft erfolgreiche Paten gibt es nur in Hollywood-Filmen!
Beitragsbild / Symbolbild: vladm; Bild oben: DesignRage / beide Shutterstock.com
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