Von Jan Ackermeier
Am 22. April 1915 setzt Deutschland in der Zweiten Flandernschlacht des Ersten Weltkrieges bei Ypern in Belgien als erstes Land in der Geschichte Giftgas in großem Umfang ein. 5.000 französische Soldaten werden durch Chlorgas sofort getötet, doppelt so viele schwer verletzt. Beim ersten Einsatz wurde das Chlorgas unter etwa 7 bar Druck verflüssigt und in 6.000 Stahlflaschen zu 40 Kilogramm und in 24.000 Stahlflaschen zu 20 Kilogramm an die Westfront geliefert. In Abwesenheit von Wasser greift Chlor Eisen nur oberflächlich an. Ab dem 10. März 1915 waren die Randbedingungen für den Einsatz des Gases beim südlichen Ypernbogen getroffen worden, wurden aber wegen technischer Probleme, Feindbeschuß, Reparaturen und Einbaus zusätzlicher Flaschen in den Nordbogen bei Ypern verschoben. Die Vorbereitungen wurden am 11. April 1915 endgültig fertiggestellt. Am 22. April 1915 um 18 Uhr konnte das Gas bei Nordostwind abgeblasen werden. Den Befehl zum Einsatz gab General Berthold Deimling – entgegen dem Rat aller seiner Regimentskommandeure, aber vor Ort technisch unterstützt durch Haber und weitere Wissenschaftler. Deimlings Truppen ließen bei günstiger Windrichtung 150 Tonnen Chlorgas abblasen. Es bildete sich eine 6 Kilometer breite, 600–900 Meter tiefe Gaswolke, die auf die französischen Truppen zutrieb. Deutsche Sturmtruppen, die selbst nur mit Natriumthiosulfat- und Sodalösung getränkten Mullkissen geschützt waren, starteten einen erfolgreichen Angriff, der einige der Bedenken von Militärs gegen den Einsatz von Giftgas hatten, zerstreute.
Alle Kriegsparteien nutzten Giftgas
Gegen die Briten erfolgten bei Loos-en-Gohelle am 1., 6., 10. und 24. Mai weitere Blasangriffe. Während des Ersten Weltkrieges wurden ca. 50 Blasangriffe von den Deutschen geführt, bei denen durch wechselnde Windrichtung teilweise auch eigene Truppen gefährdet wurden. Den mengenmäßigen Höhepunkt der Blasangriffe stellen der 19. und 20. Januar 1916 dar. Bei diesem Angriff wurden 500 Tonnen Chlor bei Reims abgeblasen. Nach dem wohl effektivsten Blasangriff der k.u.k. Armee gegen die Italiener waren am 29. Juni 1916 am Monte San Michele an der Isonzofront etwa 5.000 bis 8.000 Tote zu beklagen. Alle kriegführenden Nationen, vor allem Deutschland, stellten die Blasangriffe zugunsten neu entwickelter Gasgeschosse ein. So sollte ein von Wind und Wetter unabhängiger Gaseinsatz ermöglicht werden.
Beim Gaskrieg während des Ersten Weltkrieges wurden von allen Kriegsparteien rund 120.000 Tonnen Kampfstoffe 38 verschiedener Typen eingesetzt, wobei ca. 100.000 Soldaten starben und 1,2 Millionen Soldaten verwundet wurden. Trotz der individuellen Wirkung des Giftgases auf die Soldaten und seines noch heute schrecklichen Rufes war die Todesrate mit knapp unter einem Prozent aller Weltkriegstoten äußerst gering. Nachträglich betrachtet gilt Giftgas – wie es während des Ersten Weltkrieges eingesetzt wurde – als ineffektive Waffe. Das häufig in der Literatur zu findende Argument, dass im Zweiten Weltkrieg kein Gas eingesetzt wurde, weil die Kriegsparteien Vergeltung befürchteten, läßt sich nur begrenzt halten. Die aktuelle Geschichtsforschung sieht den Hauptgrund vor allem darin, dass der Zweite Weltkrieg in weiten Teilen ein Bewegungskrieg war, wohingegen Giftgas speziell im Graben- und Stellungskrieg seine größte Wirkung entfalten konnte.Beitragsbild: Luftbild des ersten Gasangriffs mittels Ausblasen bei Ypern im April 1915. Urheber unbekannt.
Abonnieren Sie auch unseren Telegram-Channel unter: https://t.me/FreiburgerStandard
Hinterlassen Sie einen Kommentar