Ein Kommentar zum BZ-Artikel: Treffen im Europa-Park. Herrenknecht über Ex-Kanzler Schröder: „Wir bleiben Freunde“ (https://www.badische-zeitung.de/herrenknecht-ueber-ex-kanzler-schroeder-wir-bleiben-freunde–210103522.html)

Altbundeskanzler Gerhard Schröder hat vergangene Woche sein Aufsichtsratsmandat bei der Firma Herrenknecht aufgegeben. Mitgeteilt wurde diese Nachricht auf dem Kulturstammtisch in Lahr.

Es ist schon bemerkenswert, mit welchen Samthandschuhen die Moderatorin beim Kulturstammtisch die für die Sozialdemokraten (SPD) delikate Situation anspricht: „Wie sagt man einem ehemaligen Bundeskanzler, dass er sich zurückziehen möge? War es ein schwieriges Gespräch?“

Interessant ist die Antwort von Schröders Freund Martin Herrenknecht, einem angesehenen und länderübergreifend bekannten Bauunternehmer für Tunnelvortriebsmaschinen in Lahr. Schröder habe das Amt niedergelegt, weil die Amerikaner Druck gemacht hätten. Mehr erfährt man an dieser Stelle nicht, doch man erkennt klar, dass die alten deutsch-amerikanischen Beziehungen selbst einen mit Auszeichnungen und Ehrendoktorwürden überhäuften deutschen Altkanzler sehr rasch in die Knie zwingen.

Insgesamt sind die Ausführungen des Artikels ein psychologisch gut abgestimmter Versuch, beim Leser Mitgefühl mit dem – scheinbar völlig zu Unrecht – nun isolierten Altkanzler Schröder zu erzeugen. Herrenknecht bezweifle, ob Schröder „dies verdient habe“, bezeichnete die Politik als „brutal“. Und er werde auch nach dem Ausscheiden Schröders aus dem Aufsichtsrat mit ihm verbunden bleiben: „Wir bleiben Freunde… Mir geht das heute noch nach. Das ist ein Abschied, den ich keinem wünsche.“ Ja und natürlich muss auch die Gefühlslage des Altkanzlers genauestens beschrieben werden: „Er ist momentan wie im Käfig.“ Und „unter Tränen“ musste er die Teilnahme an Herrenknechts 80. Geburtstag im Juni schon vorab absagen.

Was dem Leser vorenthalten wird: Laut Wikipedia erhält Schröder als Aufsichtsratsvorsitzender der Nord Stream AG, die zu 51% der russischen Gazprom gehört, 250.000€ als Jahresgehalt. Außerdem erhält er beim russischen Energiekonzern Rosneft ebenfalls als Chef des Aufsichtsrats eine jährliche Vergütung von 600.000€.

Man erfährt weiter: „Schröder habe sich vom Ukraine-Krieg distanziert, werde aber … an seiner Position zu Wladimir Putin festhalten.“ Wie kann man sich von einem gegenwärtigen Krieg distanzieren? Das ist sachlich nicht möglich. Der Krieg ist im Gange und bringt viel Leid über die dortige betroffene Bevölkerung, zerstört die Weltwirtschaft, bringt Hungersnöte auch nach Westafrika (welches das Getreide aus der Ukraine importiert) und könnte sich zu einem ungeahnten Flächenbrand ausweiten.

Kein normal denkender Mensch hat Freude an einem Krieg, doch was heißt das, er distanziere sich vom Ukraine-Krieg, wolle im gleichen Atemzuge aber „an seiner Position zu Wladimir Putin festhalten“? – Ein Spagat, der nicht möglich ist. Denn hält Schröder an seiner Position zu Putin fest, dann muss er zwangsläufig den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj kritisieren, der doch den Schulterschluss mit den USA und der Nato anstrebt. Schröder glaube einfach an eine „Zeit danach“, in der Putin eine „zweite Chance“ bekomme.

Die Darstellung im Artikel der Badischen Zeitung geht weiter und man kann nur noch staunen. Dass weder Herrenknecht noch Schröder mit einem Einmarsch Russlands in die Ukraine gerechnet haben, kann man einigermaßen nachvollziehen. Doch dass die beiden Herren darauf „fast gewettet“ hätten, „das er (Putin) nie in die Ukraine reingeht“, das ist schon ein starkes Stück. Da wäre man also beinahe bereit, bei so einer gefährlichen und völkerrechtswidrigen Sache Wetten abzuschließen. Es kommt noch schlimmer: Eine solche Beinahwette würde dann der „Ehrenrettung“ Schröders dienen: „Er war fest überzeugt davon. Das muss ich zu seiner Ehrenrettung sagen.“

Aha. Dem Leser wird spätestens jetzt überdeutlich klar: Hier geht es um die Ehre eines Altkanzlers der SPD, mithin die Rettung der Ehre der gesamten Sozialdemokraten, die ja gegenwärtig den Kanzler stellen. Auch wenn Bundeskanzler Olaf Scholz früher selbst Generalsekretär unter Schröder (Oktober 2002 bis März 2004) gewesen ist …, diesen Makel Schröders, seine offene Freundschaft zu Putin, gilt es, so schnell wie möglich abzuschütteln.

Als besonders geschichtsvergessen empfinde ich den Versuch, beim Leser ein kurzes Verständnis für Putin hervorzulocken, damit der Leser mit dem deutschen Altkanzler mitfühle, doch kurze Zeit später auch wieder fähig ist, zur gegenwärtigen Linie der Bundesregierung zurückzukehren. Der US-Expräsident Obama habe einmal Russland als eine „Regionalmacht bezeichnet… Und da sind die Russen sauempfindlich.“ Ach so: Eine kleine Ehrverletzung haben den stolzen Russen in den Krieg getrieben… Ach so…

Und nun wird es ganz kurios: Herrenknecht macht den Vorschlag, dass doch „die frühere Bundeskanzlerin Angela Merkel gemeinsam mit Gerhard Schröder zu Gesprächen mit Wladimir Putin nach Moskau fliegen“ sollte, um sozusagen für den jetzigen SPD-Kanzler Scholz als Friedensvermittler aufzutreten. Hierfür bräuchte Putin die Zusicherung, dass „die Ukraine nicht in die Nato komme.“

Herrenknecht ist wahrlich ein guter Freund, der seinem im Käfig sitzenden Lobbyistenfreund und der fast vergessenen Altkanzlerin helfen will, ein neues Comeback zu erleben.

m_

 

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